Mitte März fand das traditionelle Spitzengespräch von Bund, Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden statt. Zwei der angesprochenen Themen und Vereinbarungen sind für den Deutschen Kulturrat und seine Mitglieder von aktueller Relevanz. Der Deutsche Kulturrat wird sich in die anstehenden Beratungen mit seiner Expertise einbringen.

NS-Raubgut

Im vergangenen Jahr wurde 25 Jahre Gemeinsamer Erklärung von Bund, Ländern und Kommunen zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts und 20 Jahre Beratender Kommission in Symposien und Gedenkveranstaltungen gedacht. Diese Zeitung hat in der Ausgabe 12/2023-1/2024 (politikkultur.de/themen/umgang-mit-ns-raubgut/) dem Thema den Schwerpunkt gewidmet.

Bei allen erreichten Erfolgen, der im Vergleich zum Ende der 1990er Jahre deutlich besser aufgestellten Provenienzforschung, der verdienstvollen Arbeit des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste und den inzwischen stattgefundenen Restitutionen blieb ein schaler Rest zurück. Zu langsam geht die Aufarbeitung voran. Zu schwierig ist es für die Nachkommen der NS-Verfolgten, das ihren Vorfahren entzogene Kulturgut zurückzuerhalten. Zu selten wird die Beratende Kommission angerufen, um eine faire und gerechte Lösung zu finden. Zu sehr stehen oft die spektakulären Fälle im Vordergrund, zu wenig werden das Unrecht und der ideelle Wert von entzogenem Kulturgut thematisiert. Oftmals sind die Kulturgüter das einzige Erbe, das von einer Familie übrig geblieben ist.

Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben im März entschieden, die Beratende Kommission zu einem Schiedsgericht weiterzuentwickeln und eine einseitige Anrufung zu ermöglichen. Nach dieser Grundsatzentscheidung geht es nun um die Konkretisierung und rechtliche Umsetzung, die bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein sollen. Weiter soll die Provenienzforschung vorangetrieben und verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, das in öffentlichen Kultureinrichtungen präsentiert wird, entsprechend gekennzeichnet werden.

Der Fachausschuss Kulturerbe des Deutschen Kulturrates wird sich mit den Planungen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden befassen.

Mit Klauseln gegen Antisemitismus

Rassismus, Antisemitismus und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind auch im Kulturbereich vertreten. So schmerzlich es ist, an dieser Aussage führt kein Weg vorbei. Seit der documenta 15 wird in der kulturpolitischen Öffentlichkeit ein besonderes Augenmerk auf Antisemitismus, speziell israelbezogenen Antisemitismus, gerichtet. Auch diese Zeitung und das Buch »Mein kulturpolitisches Pflichtenheft« (kulturrat.de/publikationen/mein-kulturpolitisches-pflichtenheft/) befassten sich intensiv mit dem Thema.

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober letzten Jahres und die darauffolgenden Beifallsbekundungen auch in Deutschland sowie das vielfach beklagte Schweigen im Kulturbetrieb haben den dringenden Handlungs bedarf aufgezeigt.

Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben bei ihrem erwähnten März-Treffen eine gemeinsame Erklärung »Freiheit und Respekt in Kunst und Kultur« verabschiedet. Sie wollen Strategien gegen antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Inhalte im öffentlich geförderten Kulturbetrieb entwickeln. Dabei haben sie die folgenden drei Handlungsfelder identifiziert:

  • Förderbedingungen präzisieren: Länder, Bund und Kommunen werden – soweit noch nicht erfolgt – rechtssichere Regelungen erarbeiten, die darauf abzielen, dass keine Projekte und Vorhaben gefördert werden, die antisemitische, rassis tische oder andere menschenverachtende Ziele verfolgen.
  • Sensibilisierung sicherstellen: Kulturverwaltungen, staatliche Kultureinrichtungen und von den Ländern, dem Bund oder den Kommunen geförderte institutionelle Einrichtungen bieten Fortbildungen und Workshops zur Sensibilisierung im Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und anderen menschenverachtenden Inhalten an. Die Kulturministerkonferenz bittet auch die Kulturstiftung der Länder, entsprechende Formate zu entwickeln.
  • Eigenverantwortung stärken: Von geförderten Einrichtungen und Projekten wird erwartet, dass sie aus ihrer künstlerischen Verantwortung heraus Maßstäbe und Regeln erarbeiten, auf deren Grundlage Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit klar und entschlossen entgegengetreten wird.

Der Deutsche Kulturrat hat Ende März eigens eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit den Planungen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden auseinandersetzt und eigene Vorschläge entwickelt. Im April wird diese Arbeitsgruppe erstmals tagen.

In der Arbeitsgruppe wird abzuwägen sein, inwieweit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in öffentlichen geförderten Kultureinrichtungen und -projekten bereits für Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sensibilisiert sind, was noch geschehen muss und wie sich das Agieren auf den internationalen Kulturaustausch auswirken könnte. Eine wichtige Rolle wird die Frage spielen, in welchem Spannungsfeld mögliche Vorgaben zur Kunstfreiheit stehen und wie sich inhaltliche Vorgaben auf das Programm auswirken. Ist es tatsächlich sinnvoll, Diversitätsvorgaben zu machen oder wird damit der staatlichen Einflussnahme auf das künstlerische Programm Tür und Tor geöffnet? Ebenso gilt es auszuloten, inwiefern immer weitere Vorgaben in Zuwendungsbescheiden die Entwicklung der Kunst befördern oder ob damit nicht vielmehr die Gefahr besteht, ein Programm entlang von abhakbaren Aufgaben zu entwerfen?

Um nicht missverstanden zu werden, wir wenden uns klar gegen Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Gerungen werden muss um die richtigen Instrumente, um diese Fehlentwicklungen im Kulturbetrieb erfolgreich zu bekämpfen. Die jetzt eingesetzte Arbeitsgruppe im Deutschen Kulturrat wird sich genau mit diesen Fragen befassen und dabei von den Erfahrungen und der Expertise aus den Kultureinrichtungen und -projekten profitieren. Im September dieses Jahres sollen die Ergebnisse vorgelegt werden.

Honoraruntergrenzen

In einigen Ländern werden sie längst angewandt, in einigen Fonds sind sie selbstverständlich, im Bund und in der Mehrzahl der noch ausstehenden Länder werden sie in diesem oder Anfang des nächsten Jahres eingeführt: die Honoraruntergrenzen. Wir sind stolz darauf, dass es gerade die Untersuchungen zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Künstlerinnen und Künstler des Deutschen Kulturrates (kulturrat.de/publikationen/studien/) waren, die diese überfällige Entwicklung in Gang gesetzt haben.

Im Oktober 2022 hatte die Kulturministerkonferenz ihre Honorarmatrix verabschiedet. In ihr werden Tätigkeitsbereiche von Künstlerinnen und Künstlern aufgeführt, die typischerweise im Rahmen einer öffentlichen Förderung finanziell unterstützt werden. Beispiele hierfür sind Lesungen von Autorinnen und Autoren, Ausstellungen Bildender Künstlerinnen und Künstler, Musik- und Theateraufführungen. Abgehoben werden kann auf die Größe des Veranstaltungsorts, die Zahl der Besucherinnen und Besucher oder auch die zeitliche Dauer. Honorarsummen werden nicht vorgegeben.

Die Länder orientieren sich nun bei der Festlegung der Honoraruntergrenzen an den Empfehlungen von Landesorganisationen der jeweiligen Künstlerinnen- und Künstlerverbände oder von Bundesverbänden. Es handelt sich dabei ähnlich einem Mindestlohn um das unterste Limit, das bei der Beauftragung von Künstlerinnen und Künstlern, die in mit öffentlichen Mitteln finanzierten Projekten arbeiten, gezahlt werden muss. Das individuell ausgehandelte Honorar kann selbstverständlich darüber, darf aber nicht darunter liegen.

Kaum befindet sich die Durchsetzung der Honoraruntergrenzen auf der Zielgeraden, werden die Bedenken lauter und Schlupfwinkel und Ausflüchte werden ausfindig gemacht. Da heißt es zum einen, dass bekannte Künstlerinnen und Künstler doch nicht mit einer Honoraruntergrenze abgespeist werden können. Natürlich müssen sie das nicht. Es ist eine Untergrenze, nach oben ist selbstverständlich alles möglich. Als weiteres Argument wird angeführt, dass bekannte Künstlerinnen und Künstler eine Honorierung nicht nötig haben, da sie bereits genug verdienen. Heißt das, dass in einem florierenden Restaurant das Essen in Zukunft umsonst abgegeben werden muss und umsatzstarke Unternehmen ihre Produkte demnächst verschenken sollten?

Umgekehrt wird angemahnt, dass kein Geld mehr übrig bleibt, wenn Künstlerinnen und Künstler entsprechend der Honoraruntergrenze bezahlt werden. Das heißt letztlich aber nichts anderes, als dass häufig unterhalb der vorgeschlagenen Untergrenzen gezahlt wird und viele lieber weiterhin einen Hungerlohn erhalten sollen als eine Zahlung, die zumindest der untersten Grenze der Mindesthonorare entspricht. Wer so argumentiert, kann, überspitzt gesagt, auch Kinderarbeit im Globalen Süden gutheißen, da damit die Familien wenigstens ein bisschen Einkommen haben.

Ohne Zweifel, die Honoraruntergrenzen werden eine Umstellung bedeuten. Anfangs, bis sich alles eingespielt hat, wird es zu mehr Bürokratie und Aufwand kommen. Es kann sein, dass das eine oder andere kulturelle Projekt nicht gefördert wird. Aber es darf doch nicht sein, dass die öffentliche Hand mit ihrer Kulturförderung das Unterschreiten von Mindestgrenzen hinnimmt, wenn vollkommen zurecht bei öffentlichen Aufträgen in anderen Bereichen Tariftreue eingefordert wird. Sicherlich, die Honoraruntergrenzen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die Haushalte und speziell die Kulturhaushalte von Bund, Ländern und Kommunen wieder einmal auf Kante genäht sind. Manche Kommunen rutschen aktuell wieder in die Haushaltssicherung und es wird schwer, die Kulturfinanzierung überhaupt zu garantieren.

Wer aber Kunst als Beruf sieht, muss bei allen Schwierigkeiten für eine vernünftige Honorierung von Künstlerinnen und Künstlern eintreten und darf sich nicht davor drücken. Jetzt haben wir die einmalige Chance, die soziale und wirtschaftliche Lage freiberuflich arbeitender Künstlerinnen und Künstler dauerhaft zu verbessern. Diese Möglichkeit jetzt nicht zu nutzen, wäre fahrlässig.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2024.