Das ist eine Binse: Friedhöfe sind die Orte der Toten. Aber das sind sie nicht nur: Denn Friedhöfe sind genauso Orte der Lebenden, Orte der Gemeinschaft, der Gemeinsamkeit, der gelebten Gefühle. Das zeigt sich besonders deutlich bei Trauerfeiern. Zu kaum einem anderen persönlichen Anlass kommen so viele Menschen zusammen, und das von nah und fern. Verstorbenen die letzte Würde zu erweisen, ist offensichtlich ein Anliegen der Lebenden – und für dieses soziale Bedürfnis bildet der Friedhof seit Jahrhunderten den angemessenen Handlungsrahmen. Die soziale Funktion von Friedhöfen nur auf Trauerfeiern zu fokussieren, greift allerdings zu kurz. Denn dem Grundkonzept dieser Gedächtnislandschaften liegt die sicht- und erfahrbare Gemeinschaft zugrunde. Friedhöfe sind so immer auch Orte der Begegnung, des Austausches, des Miteinanders – vor allem für ältere Hinterbliebene. Wer im fortgeschrittenen Alter seine Lebenspartnerin, seinen Lebenspartner verliert, findet oft nur schwer zurück in ein erfülltes Sozialleben. Man geht eben nicht einfach in die nächste Gastwirtschaft oder auf eine Party, sondern zunächst vor allem auf den Friedhof. Und hier trifft man auf Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation, die Verständnis füreinander aufbringen können. Friedhöfe sind somit besonders auch Orte, die der Vereinsamung Älterer entgegenwirken.

Deshalb bemüht man sich heute auf vielen Friedhöfen, auch Angebote für Begegnung und Interaktion zu schaffen. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der mehrfach ausgezeichnete evangelische Friedhof in Lauenburg an der Elbe. Für das »Greenteam«, wie sich die Verwaltung des mitten im Zentrum der Kleinstadt gelegenen Friedhofs bezeichnet, steht die Menschlichkeit an oberster Stelle. Hier arbeitet man mit großem Engagement dafür, den Besuchenden das selbstgewählte Leitmotiv erfahrbar zu vermitteln: »Sie sind willkommen. Mit Ihrer Geschichte, mit Ihrer Trauer, mit Ihrem Bedürfnis nach Ruhe oder Begegnung.«

Die Lauenburger selbst nehmen die vielfältigen sozialen Angebote des fünf Hektar großen Friedhofs offensichtlich gerne an: So treffen sich beispielsweise zur warmen Jahreszeit regelmäßig rund 60 Seniorinnen und Senioren zum Boulen. Dazu hat man am nördlichen Rand eine entsprechende Bahn angelegt, zwar nicht zwischen Gräbern, aber unmittelbar angrenzend an ein Grabfeld. So bleibt die Würde des Orts erhalten – und selbstverständlich lässt man hier nicht während Trauerfeiern die Kugeln rollen. Das vom Seniorenbeirat der Stadt mitgetragene Angebot spricht dabei immer wieder neue Hinterbliebene an, die hier erleben, dass das Leben auch nach einem tiefgreifenden Abschied positiv weitergehen kann. Wie gut das Konzept funktioniert, über gemeinsames Tun zurück zu einem positiven Lebensgefühl zu finden, zeigt sich auch an den neben der Bahn aufgestellten Fitnessgeräten. Diese standen zunächst in einem anderen Park der Stadt, wurden dort aber nicht richtig genutzt. Hier auf dem Friedhof aber erfreuen sie sich großer Beliebtheit.

Ein zentraler Schlüssel für gelebte Gemeinschaft ist auch das Kulturangebot, z. B. auf der mittig gelegenen Friedhofs-Freilichtbühne »Himmelsgarten«. Zu den Lesungen, Konzerten und Vorträgen, die man in den Sommermonaten anbietet, kommen bis zu einhundert Menschen – und das in einer Kleinstadt mit gerade einmal 12.000 Einwohnern. Regelmäßig genutzt wird auch die »Büchergruft«, ein in Sargform gestalteter Bücherschrank direkt an einer Hauptachse dieser überaus gepflegten Grünanlage. Dem »Greenteam« gelingt dabei auf beeindruckende Weise eine stimmige Balance zwischen Natur- und Kulturraum, allen voran auf dem versteckt gelegenen »Trauerpfad« mit Werken der 2013 verstorbenen Lauenburger Künstlerin Edith Breckwoldt. Sie hat das Krebsleiden am Ende ihres Lebenswegs in eindrücklichen Skulpturen verarbeitet wie in »Der Schrei« oder »In Ketten« – und diese hat der Friedhof zu einem Kunstpfad arrangiert, der Stationen der Trauerverarbeitung spiegelt und diese so auch erleichtert.

Fast selbstverständlich stellt man in Lauenburg dieser eher düsteren Seite des Abschieds ein ganz positives Zeichen gegenüber: den »Gute-Gedanken-Baum«. Hier kann man auf kleine Holztäfelchen positive Wünsche, Hoffnungen und Erinnerungen schreiben und an die Zweige einer Kirsche hängen. Der Baum steht dabei auch sinnbildlich für das zentrale Anliegen der Verwaltung: die Bedürfnisse von Menschen ernst zu nehmen und den Friedhof nicht nur an den Toten, sondern vor allem an den Lebenden auszurichten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2024.

Friedhofskultur

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