Wenn Verschwiegenes zur Sprache drängt, steht manchmal auch im Deutschen ein Elefant im Raum. Lange war es verpönt, Romane oder Lyrik künstlich übersetzen zu lassen. Schweiß und Tränen gehörten zur Literaturarbeit selbst, nicht erst zur Durchsicht der Honorarabrechnung. Und doch war es ein offenes Geheimnis, dass sich einige Spracharbeiter künstlicher Intelligenz bedienten. Mit Heide Franck und Andreas G. Förster habe ich das Projekt »Kollektive Intelligenz« ins Leben gerufen. Die Absicht: über den Raum sprechen, in dem literarische Übersetzungen heute entstehen. Der Wunsch: über die Elefanten sprechen, die sich in diesem Raum breitmachen. 

Bei den ersten Planungen dachten wir noch nicht an große Sprachmodelle, die später unter Marken wie ChatGPT für Furore sorgen sollten. Wir dachten an maschinelle Übersetzungen, wie sie DeepL, Google Translate und Co. schon länger anboten. Die neuronale maschinelle Übersetzung (NMT), die frühere Übersetzungsautomation abgelöst hatte, lieferte immer bessere Ergebnisse. Sie berücksichtigte immer mehr Kontext, lernte durch menschliches Feedback. 

In einigen Marktsegmenten des (nichtliterarischen) Übersetzens führte der technische Fortschritt bereits zu Preisverfall und Spezialisierung: Ohne profunde Fachexpertise, ohne Technikkenntnisse und ein besonders geschultes Sprachgefühl hatte der freie Übersetzer kein Geschäftsmodell mehr. 

Wer berufsmäßig Literatur übersetzt, weiß nicht einmal, wie ein nachhaltiges Geschäftsmodell aussieht. Nach einem Vierteljahrhundert stagnierender Honorare ist Altersarmut vorprogrammiert. Zum Schaffen von Weltliteratur motiviert vielmehr die Aufopferung für die Sache. KI-Übersetzungen stellen die Notwendigkeit eines solchen Opfers infrage und bedrohen nicht zuletzt deshalb Selbstbilder und Identitäten. Also wagten sich 13 Übersetzerinnen und ein Übersetzer an systematische Experimente mit DeepL. Die einen bearbeiteten generierte Übersetzungen schlicht nach, die anderen speisten die Autoübersetzungen in ein sogenanntes CAT-Tool ein. »Computer-assisted translation« beruht nicht auf unberechenbarer KI, sondern auf einem schlichten Übersetzungsspeicher und auf Terminologie-Datenbanken. Die Kombination verschiedener Softwaresysteme ist beim technischen Übersetzen üblich und sollte für die Literatur fruchtbar gemacht werden. Drei Seiten eines Liebesromans oder eines populären Sachbuchs brachten die Teilnehmenden mit ihren jeweiligen Workflows aus dem Englischen ins Deutsche und hielten dabei in Berichten fest, wie es ihnen bei der Arbeit erging. 

Zusammenfassend lassen sich bei allen Versuchsanordnungen drei translationspsychologische Effekte feststellen. Das NMT-System erzeugte unangemessene oder steife Formulierungen und verleitete die Übersetzenden dazu, entweder zu wenig zu ändern oder sich unnötig von akzeptablen Vorschlägen zu distanzieren. Dieser »priming effect« bezeichnet die Beeinflussung durch einen Text, der allein dadurch, dass er vorliegt, nicht unberücksichtigt bleiben kann. Der Konzentrationsbedarf wurde gerade bei flüssig klingenden Vorübersetzungen als höher eingestuft, was einen »fatigue effect« nahelegt. Zudem schiebt sich der maschinell generierte Text vor das Original und wird bisweilen als Hürde wahrgenommen, was für einen »obstacle effect« spricht. 

Die Ergebnisse wurden in der Branche oft so rezipiert, dass sich KI-Einsatz nicht lohne. Es gab jedoch auch Kritik an der Methode. Wenn einem die Fallstricke der NMT-Systeme nicht bewusst seien, könne man auch nicht produktiv damit arbeiten. Es sei eine Frage der Gewohnheit, des sachgerechten Umgangs mit der Technik. Und mit Large Language Models sei ohnehin eine neue Ära angebrochen. 

Viel deutet nicht darauf hin, dass ChatGPT für literarische Texte bessere Übersetzungsangebote macht als DeepL. Zur automatisierten Textanalyse und zum Feintuning von NMT-Systemen scheinen die neueren Modelle allerdings zu taugen. Adaptive Übersetzungssysteme, die sich bei der Arbeit an einem längeren Text eine bestimmte Wortwahl, Syntax und Stilistik merken und in Begleitung der Übersetzungsarbeit immer passendere Vorschläge unterbreiten, könnten eine echte Bereicherung für die Welt der literarischen Übersetzung sein. Für den 22. November 2024 ist im Literarischen Colloquium Berlin eine Konferenz des Deutschen Übersetzerfonds in Kooperation mit der »Kollektiven Intelligenz« geplant, auf der solche Elefantenfragen unter dem Titel »KI, aber wie?« diskutiert werden. 

Das Bild des Übersetzers, dem der Dialog mit dem Geist des Originals Lohn genug ist, hat jedenfalls mit den aktuellen Arbeitsweisen nicht viel zu tun. Das heißt auch: Das Verdienst um die Literatur ist nicht genug. Die Honorare müssen steigen.  

 

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Die Experimente des Projekts sind auf kollektive-intelligenz.de nachzulesen. Das Projekt wurde im Rahmen des Programms Neustart Kultur vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2024.