„Prominente Unterstützung aus London« kündigte Bernhard Falk an – ehemaliges Mitglied der linksterroristischen Antiimperialistischen Zelle (AIZ) und heute selbsternannter al-Qaida-Anhänger. Auf den ersten Blick mag diese Ankündigung überraschen. Denn für ihre Palästina-Kundgebung hatte die Partei »Aufbruch Frieden – Souveränität − Gerechtigkeit« in Köln am 10. Dezember mit Mitgliedern aus dem rechtsextremen, islamistischen und prorussischen Milieu einen Rabbiner eingeladen. Schaut man genauer hin, bekommt man schnell Klarheit: Es war Rabbi Elhanan Beck von der ultraorthodoxen Sekte Neturei Karta (aramäisch: Wächter der Stadt). Falk und Beck haben tatsächlich viele ideologische Schnittmengen. Nicht nur ihre regressiven Gesellschaftsvorstellungen, sondern auch ihren ausgeprägten Antizionismus. Bei Falk, der sich heute Muntasir bi-llah nennt, zieht sich dieser tatsächlich wie ein roter Faden durch seine wechselhafte Biografie. So agierte die AIZ, die mutmaßlich lediglich aus Falk und einem weiteren Mittäter bestand, zuerst unter dem Namen »antiimperialistische widerstandszelle nadia shehadah«. Damit solidarisierten sie sich mit der Libanesin Nadia Shehadah, die als Teil des Kommandos »Martyr Halimeh« der marxistisch-leninistischen und erlösungsnationalistischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) 1977 das Lufthansa-Flugzeug »Landshut« entführt hatte. Sie starb im Feuergefecht während der Befreiung durch die Spezialeinheit GSG 9 in Mogadischu.

Sie alle – also Falk, Beck und die PFLP – verbindet der Antizionismus. Und damit zeigt sich schon, wie heterogen dieser ist. Der Historiker Mario Keßler unterteilt z. B. in rechtsradikalen, islamistischen, (post-)stalinistischen und jüdischen Antizionismus. Antizionismus hat unterschiedliche ideologische Hintergründe, die nicht immer miteinander vergleichbar sind. Zwar kann Antisemitismus eine Intention sein, er muss es aber nicht unbedingt. Dennoch: Bei näherer Betrachtung zeigt sich, warum es im Windschatten des Antizionismus immer wieder zu Antisemitismus kommt. Häufig tritt wohl ein, was die französische Rabbinerin Delphine Horvilleur anmerkte, nämlich dass es in der »obsessiven Israelkritik starke Anklänge an den traditionellen Diskurs der Antisemiten« gibt. Die Journalistin Erica Zingher hatte in ihrer taz-Kolumne aufgezeigt, dass der Antizionismus im (Post-)Stalinismus als mehr oder weniger bemühte Umwegkommunikation von Antisemitismus auftritt. Dass Ähnliches auch im Falle von Rechtsradikalismus und Islamismus gilt, dürfte offensichtlich sein. Daher möchte ich mich dem Phänomen des jüdischen Antizionismus und dessen Verhältnis zur politischen Linken widmen.

Auch nach dem 7. Oktober kam es zu Jubelorgien. Vor allem in den sozialen Netzwerken, aber auch im Freundinnen- und Freundeskreis erlebten Jüdinnen und Juden Ignoranz, Relativierung oder gar Glorifizierung des Terrorismus der Hamas. Was angesichts des zeitlichen Abstands wohl noch einmal klargestellt werden muss: Das geschah bereits vor der Intervention der israelischen Armee im Gazastreifen. Zwar gab es vereinzelt Solidarisierung, aber das Gefühl der Einsamkeit und von Vertrauensbrüchen schien zu überwiegen. Wer nun ignorierte, relativierte oder glorifizierte, entgegnete dem Vorwurf von Antisemitismus zumeist damit, nur Antizionistin oder Antizionist zu sein.

Zeigt das nicht, dass sich hinter jedem Antizionismus auch der Antisemitismus verbirgt? Dabei schwingt auch im Hintergrund die griffige Formulierung des Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus und Schriftstellers Jean Améry mit: Der Antisemitismus sei im Antizionismus enthalten »wie das Gewitter in der Wolke«. Und doch gibt es im Umgang mit dem Antizionismus viel Unklares. Das erleichtert es auch, Menschen zu verunsichern. Eben weil der Antizionismus gerade in aller Munde ist, sowohl bei denjenigen, die ihn als Antisemitismus bezeichnen, als auch bei denjenigen, die glauben, sich damit vor vermeintlich ungerechtfertigter Antisemitismuskritik immunisieren zu können, braucht es eine nähere Beschäftigung.

Um Licht ins Dunkel zu bringen, muss man den Kontext betrachten. Denn tatsächlich sind sowohl Antizionismus als auch Antisemitismus sehr eng mit regionalen und historischen Diskursen verknüpft. Darauf hat ebenfalls Horvilleur hingewiesen: »Die antisemitische Rhetorik in Frankreich und Großbritannien macht Israel zu einem kolonialistischen Unternehmen; in den Vereinigten Staaten hallt der Vorwurf des rassistischen Staates nach, und in Südafrika denkt man an die Apartheid: Die antizionistische Kritik trägt allenthalben autobiografische Züge.« Um das Verhältnis zwischen jüdischem Antizionismus und der politischen Linken in Deutschland zu begreifen, müssen wir das Verhältnis zwischen Antisemitismus und Antizionismus klären – und dabei den Fokus auf die »autobiografischen Züge« richten.

Gerade in Deutschland gehört nach 1945 in großen Teilen der Linken ein kritisches Verhältnis zum Nationalismus generell und zum deutschen Nationalismus im Speziellen zum Selbstverständnis. Gleichermaßen währte auch die Tradition eines »Nationalbolschewismus« fort, wie es Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, gegenwärtig für das Bündnis Sahra Wagenknecht feststellt: »Nationalismus ist für sie nicht mehr Gegner, sondern Mittel und Zweck, um Menschen für ihre Art von Sozialismus zu mobilisieren.« Doch insbesondere der deutsche Nationalismus galt als einer der ideologischen Wegbereiter des Zivilisationsbruches der Shoa und des deutschen Vernichtungskrieges. Gleichermaßen gab es immer linke Gruppierungen, die ein ambivalentes Verhältnis zum Nationalismus pflegten. So sahen sie auf der einen Seite Nationen, deren Nationalgefühl durchweg als problematisch galt, wie zum Beispiel die USA und Großbritannien – und später auch Israel. Gleichermaßen solidarisierten sie sich mit nationalen Befreiungsbewegungen, deren Nationalismus nicht als verwerflich galt, sondern im Gegenteil sogar befürwortet wurde: die irische IRA, die baskische ETA und eben palästinensische Organisationen wie PFLP und auch PLO.

Die Beschäftigung mit dem Zionismus durch die Begründerin der Queer-Theorie, Judith Butler, kann zum Teil als beispielhaft für das Verhältnis von politischer Linker zum Antisemitismus/Antizionismus begriffen werden. Butler versucht aus der Perspektive eines Diasporismus »eine jüdische Kritik der von Israel ausgeübten staatlichen Gewalt« als nicht nur »möglich«, sondern auch »ethisch geboten« zu formulieren. Die ungewollte »Nähe und nicht gewählte Kohabitation« seien »Vorbedingungen unserer politischen Existenz«. Israel sollte sich nicht exklusiv jüdisch begreifen, sondern »eine Rückwendung des Diaspora-Gedankens auf Palästina« betreiben. Butler kann sich dabei mit Fug und Recht auf eine jüdische Geschichte des Antizionismus beziehen, die seit der Vertreibung aus »Eretz Israel« mit den Rückkehrwünschen koexistierte.

Die Geschichte des jüdischen Antizionismus reicht weitaus weiter zurück als bis ins Jahr 1948, dem Jahr der israelischen Unabhängigkeit. Seine Ursprünge lassen sich tatsächlich bis in die Antike zurückverfolgen. Wie der Historiker Michael Brenner in seiner »Geschichte des Zionismus« feststellt, lassen sich aus jüdischer Geschichte und jüdischem Denken sowohl die Rückkehr und dauerhafte Präsenz als auch antizionistische Motive legitimieren. Widersprüchliche Aussagen in den jüdisch-religiösen Quellen bilden die Grundlage der Dialektik zwischen »Diaspora« und »Heimstatt«. Es gab zu jeder Zeit Jüdinnen und Juden, die in der Region des jetzigen Israels lebten, Jüdinnen und Juden, die dahin umsiedelten und diejenigen, die es strikt ablehnten. Während zum Beispiel Rabbi Avraham Yitzchak Kook und sein Sohn, der Rabbiner Zwi Jehuda Kook, die Vordenker eines religiösen Zionismus und der messianistischen Landnahme wurden, lehnten andere Teile des orthodoxen Judentums ein Eingreifen in die Geschichte als Bruch mit dem Geist der Thora ab. Dafür sind heute Neturei Karta und die Satmarer-Chassiden (nach ihrem Entstehungsort, dem rumänischen Satu Mare/Szatmárnémeti) das bekannteste Beispiel. Erstere pflegt enge Kontakte zur Islamischen Republik Iran, besuchte regelmäßig die Al-Quds-Tag-Demonstrationen und nahm 2006 an der »International Conference on ›Review of the Holocaust: Global Vision‹« teil, zu der das Mullah-Regime Antisemitinnen und Antisemiten jeglicher Couleur geladen hatte. Auch im Jahr 2023, nach dem Terror des 7. Oktober, reiste eine Delegation wieder zum antisemitischen Regime nach Teheran.

Doch Butler scheitert gerade daran, in ihrer Kritik am Nationalismus konsequent zu sein. Es verwundert nicht, dass man bei Butler zweierlei vermisst: Die Vertreibung Hunderttausender Jüdinnen und Juden aus arabischen Ländern spielt bei Butler keine Rolle. Auch eine Kritik der Mischung von Antisemitismus und Erlösungsnationalismus, aus dem sich das Weltbild von vielen Feindinnen und Feinden des jüdischen Staates speist, sucht man vergebens. Das ist paradigmatisch für das Verhältnis vieler antiimperialistischer Linker und erklärt, wie man dazu kommt, die islamistischen Terrororganisationen Hisbollah und Hamas als linke Bewegungen zu begreifen. Oder wieso es nach den Angriffen der vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer Solidaritätsbekundungen mit den jemenitischen Terroristen gab.

So nimmt die Auseinandersetzung mit Nationalismus und Nationalsozialismus als autobiografische Übertragung auf den arabisch-israelischen Konflikt in der Wahrnehmung der deutschen Linken eine besondere Rolle ein. Es unterscheidet aber auch den antizionistischen Antinationalismus israelischer Linker vom Antizionismus der globalen Linken. Antinationalismus in Israel bedeutet, sich mit dem Zionismus auseinanderzusetzen. Vor 1933 gab es in Westeuropa unter Jüdinnen und Juden eher eine rituelle Abneigung gegenüber dem Zionismus, in Osteuropa allein aufgrund der verbreiteten Gewalt eher Offenheit und Zustimmung. Die Verneinung von Zionismus und Israel ist innerhalb der israelischen und nichtisraelischen jüdischen Linken heute, so bemerkt der Historiker Mario Keßler, »bedeutungslos geworden, obgleich [sie] unter westlichen Linken noch immer vertreten« wird. Laut mehreren Umfragen spricht die überwiegende Mehrheit der Jüdinnen und Juden in Ländern der Europäischen Union davon, dass die Verbindung zu Israel ein wichtiger Baustein ihrer Identität ist. Das sagt dabei nichts über ihre politische Haltung aus.

Für die globale Linke bedeutet Antinationalismus aber, den konkreten Kontext des arabisch-israelischen Konfliktes und des panarabischen Nationalismus zu ignorieren. Aus der Beschäftigung mit der Shoa muss doch für die globale Linke die Erkenntnis entspringen, dass es eines politischen Schutzraumes für Jüdinnen und Juden gegen Antisemitismus bedarf. Die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 haben nicht nur das Angesicht der Welt verändert, sie haben leider auch der schrecklichsten Annahme des politischen Zionismus recht gegeben: Die Aufklärung wird dem eliminatorischen Element des Antisemitismus keinen Einhalt gebieten und Jüdinnen und Juden werden nicht ohne Weiteres zu gleichberechtigten Mitgliedern der europäischen Gesellschaften. Und abgesehen von Dänemark, das enorme Anstrengungen unternahm, um seiner jüdischen Bevölkerung die Flucht zu ermöglichen, und Albanien, in dem nach der Shoa mehr Jüdinnen und Juden lebten als zuvor, waren nahezu alle Länder Europas ein Beispiel für diese These. Erst darauf aufbauend lassen sich dann auch nationalistische und rassistische Tendenzen in Israel kritisieren.

Deutschland ist eine postnazistische und postkoloniale Gesellschaft. Die Ablehnung des Staates Israel ist in dieser verflochten mit dem Bedürfnis nach Entlastung und dem Schlussstrich: Denn nach der sogenannten Wiedervereinigung ist der jüdische Staat die letzte verbliebene geografische Erinnerung an die deutschen Verbrechen – implizit durch die Notwendigkeit eines jüdischen Schutzraumes. Dass gerade Jüdinnen und Juden als »Kronzeugen« herhalten sollen, um dieses Schlussstrichdenken zu legitimieren, ist keineswegs neu. Es verbindet sowohl Teile der politischen Linken als auch der Rechten. Sie ziehen immer wieder Menschen wie Rabbi Elhanan Beck oder Gruppen wie Neturei Karta heran, weil deren Ablehnung des jüdischen Staates ihnen doch angeblich recht gebe. Ähnliches zeigte sich auch in der Debatte um die Thesen Norman Finkelsteins in dessen Buch »Die Holocaust-Industrie«. Nach wie vor wird es in extrem rechten, aber auch linken Kreisen rezipiert. Über das gesamte politische Spektrum verteilt finden sich Positionen, die dadurch vereint sind, ein unbelastetes Verhältnis zur deutschen Nation und der deutschen Geschichte herbeiführen zu wollen. Der jüdische Staat stört dabei. Ihn zu »überwinden«, ist der letzte Schritt auf dem Weg, die Vergangenheit zu beerdigen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2024.