Gut eineinhalb Jahre vor Veröffentlichung von Stable Diffusion und ChatGPT, im Jahr 2021, experimentierten KI-Gestalterinnen und -Gestalter mit Google Colab Notebooks, in denen per Python-Programmierung die damals aktuellen Modelle wie VQGAN und CLIP für das Generieren von Bildern per Prompts verwendet werden konnten. Diese Notebooks wurden in versteckten Discord-Chats weitergegeben, und man hatte ein wenig das aufregende Gefühl, als wäre man in der Hacking-Ära der 1980er oder dem Darknet unterwegs. An KI innerhalb von Adobe Photoshop war noch lange nicht zu denken, und schräge Ergebnisse mit 12 oder mehr Fingern gehörten zum guten Ton.
Im April desselben Jahres setzten sich Mitglieder von fünf Gestaltungshochschulen, der Hochschule Mainz, Hochschule Trier, der Köln International School of Design (TH Köln) sowie der Hochschule für Gestaltung Offenbach und der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd zusammen, um darüber zu beraten, was das für die Gestaltungslehre bedeuten könnte. Denn das Thema KI wurde immer präsenter, und die Zahl von Workshops, Kurs-Experimenten und mutigen Studierenden, die sich auch mal praktisch an das Thema herantrauten, wuchs. Der damals formulierte Antrag und das daraus resultierende, mit 5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie den jeweiligen Bundesländern geförderte Forschungsprojekt trägt heute den Namen KITeGG (KI greifbar machen und begreifen: Technologie und Gesellschaft verbinden durch Gestaltung). Es umfasst ein Komplettpaket aus Lehre, Werkstätten, Infrastruktur und Transfermaßnahmen.
Zunächst wurde im ersten Förderjahr (2022) eine gemeinsame KI-Infrastruktur mit darauf aufbauender Lehr-Lern-Plattform am Standort Mainz, von wo das Projekt auch geleitet wird, entwickelt und aufgebaut. Zeitgleich wurden die geförderten Stellen besetzt und an jedem Standort ein KI-Labor in Betrieb genommen. Im Sommer 2022 startete zudem in Köln die halbjährige Symposium-Reihe, die bis zum Ende des Förderzeitraums reihum an alle Standorte wandern wird. Mit Beginn des Wintersemesters 2022/23 starteten auch die geförderten Kurse an den fünf Verbundstandorten – insgesamt 60 praktische und 60 theoretisch ausgerichtete Kurse über den Verlauf von sechs Semestern. Im laufenden Jahr 2024, dem dritten der offiziellen Projektlaufzeit, erscheinen die ersten zwei Bände der dreiteiligen »un/learn ai«-Publikationsreihe, die detailliert vom Projekt und den ersten Ergebnissen berichtet.
Der seit Ende 2022 wachsende Hype um das Thema und vor allem die zunehmende Dynamik des Feldes stellen uns im Projekt tagtäglich vor neue Herausforderungen. Immer noch »bessere« Modelle und daran anschließende Tools werden veröffentlicht, und oft ist es schwierig, hinter die Marketing-Versprechen der inzwischen millionenschweren KI-Industrie zu blicken. Einen großen Teil unserer Arbeit nimmt dementsprechend das Evaluieren, Nutzbarmachen und Schulen ein. Um uns etwas davon abzukoppeln, versuchen wir auf lokale Modelle und Tools zurückzugreifen. Glücklicherweise gibt es hier inzwischen schon viele Open-Source-Angebote. Dies ermöglicht es zudem den Studierenden, auch eigenständig außerhalb der Kurse mit den Systemen weiterzuarbeiten, ohne Abonnements abschließen zu müssen und bei jedem Prompt an die Kosten zu denken.
In der Gestaltungslehre ist KI inzwischen überall angekommen. Neben der durch unser Projekt organisierten Lehre finden in vielen anderen Fächern auch Kurse mit und über KI statt und das natürlich nicht nur an den fünf KITeGG-Standorten. Aufgrund der Vielfalt in unserem Verbund – wir vereinen künstlerische genauso wie angewandte Institutionen – wird KI in unterschiedlichster Form eingesetzt. Von Coding, Elektronik und Interaktion über die Generation von Konzepten und Entwurfsvarianten bis zur künstlerischen Auseinandersetzung. Die praktische Arbeit ist dabei immer eingebettet in eine kritische Auseinandersetzung mit den Bedingungen, unter denen KI-Modelle entstehen, und den mit ihrem Einsatz verbundenen möglichen Folgen. Wir zielen darauf ab, die Studierenden bestmöglich auf eine sich verändernde Arbeitsrealität vorzubereiten, indem wir ihnen Erfahrungen zur Wirkweise, den Chancen und den Herausforderungen der Technologie ermöglichen. Wir lassen sie erproben, wie sich KI als Mitglied in interdisziplinären Teams einbringen lässt, und entwickeln neue Interfaces und Tools, die Gestalterinnen und Gestaltern eine bessere Steuerung oder Vermittlung von KI-generierten Ergebnissen ermöglichen.
Der gestalterische Einsatz von KI dient aber nicht nur der Weiterentwicklung der eigenen Disziplinen, sondern schafft über sicht- und greifbare Ergebnisse mögliche Denkmodelle, die über das Feld hinaus wertvoll sind. Kreative Zugänge ermöglichen es auch außerhalb der Gestaltung, Zugang zur Technologie zu finden und eigene Erfahrungen damit zu sammeln. Angesichts der anstehenden Transformationsprozesse wird dies essenziell sein, wollen wir als Gesellschaft informierte Entscheidungen treffen und möglichst viele Beteiligte mitnehmen. Daher wünschen wir uns mehr Sichtbarkeit für die Wirkweisen gestalterischer Arbeit und Forschung und in Folge auch weitere Förderungen, die so mutig sind, KI-Forschung auch außerhalb der Informatik zu ermöglichen.
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