Seit anderthalb Jahren ist der Schweizer Kulturmanager Stefan Charles Kulturdezernent in Köln – was er seitdem erreicht hat und künftig noch umsetzen will, schildert er Theresa Brüheim im Gespräch.

Theresa Brüheim: Herr Charles, welche kulturpolitischen Themen stehen in Köln auf Ihrer Agenda für 2023?

Stefan Charles: Für 2023 haben wir uns viel vorgenommen hier in Köln. Das Besondere ist, dass wir versuchen, sowohl für die Institutionen gute Rahmenbedingungen zu schaffen, als auch für die Freie Szene – beides soll Hand in Hand gehen. Wir haben einige Großprojekte, wie z. B. den Neustart der Oper am Offenbachplatz, die wir aktuell vorbereiten. Das ist heute ein Zweispartenhaus mit Schauspiel und Oper. Beide sind seit mehreren Jahren in Interimsstandorten untergebracht, da die Sanierung des Hauses komplex war, aber bald abgeschlossen sein wird. Die Schlüsselübergabe ist für den 22. März 2024 geplant. Aktuell gilt es, die Spielzeit 2024/25 dort zu sichern. Wir möchten eine zusätzliche Tanzsparte aufbauen und finanzieren. Die derzeitige Interimsstätte des Schauspiels, das Depot 1 und 2 in Mülheim, soll mit einem neuen Konzept weiterbetrieben werden. Diese wirklich toll eingerichtete Interimsspielstätte soll zum Teil der Freien Szene überlassen werden. Das ist eines der Großprojekte, die wir kulturpolitisch vorbereiten. Dazu gibt es viele Nebenschauplätze wie z. B. die neue Intendanz des Schauspiels, die wir gerade suchen. Zudem planen wir einen Open Call – europaweit ausgeschrieben – für Tanzkonzepte, die gut zu Köln passen, aber auch international funktionieren. Wir haben einen großen kulturellen Entwicklungsschritt vor uns.

Wie ist es nach der Pandemie um die Kulturszene in Köln bestellt? Wie ist insbesondere die Freie Szene in Köln durch die Pandemie gekommen?

Ich bin erst seit eineinhalb Jahren in Köln. Ich komme aus der Schweiz, aus Zürich. Als ich hierhergekommen bin, habe ich schnell gesehen, dass Kunst und Kultur in Köln eine sehr starke Wirkung haben. Das findet in allen Stadtteilen gleichermaßen statt. Es gibt eine hohe Beteiligung der Bevölkerung an allem, was hier passiert. Das ist spannend. Aber es gab auch einen Mangel an Ateliers, Arbeitsplätzen, Werkstätten und Proberäumen. Wir hatten ungefähr 135 städtische Ateliers. Mein Ziel ist es, diese Zahl in einem ersten Schritt zu verdoppeln, indem wir noch in diesem Jahr weitere 140 Atelierplätze schaffen. Wir wollen den Künstlerinnen und Künstlern gute Rahmenbedingungen bieten. Ich möchte erreichen, dass man sich beispielsweise als junge Tänzerin in Köln ausbilden lassen kann, gute Möglichkeiten hat, sich hier weiterzuentwickeln und zugleich auch international zu positionieren.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, als ich an der Züricher Hochschule der Künste gearbeitet habe, viele der Absolventen die Stadt verlassen haben, weil die Lebenshaltungskosten zu hoch waren und keine Ateliers oder Proberäume zur Verfügung standen. Alle sind nach Berlin abgereist.

Hier in Köln möchte ich erreichen, dass wenn ich Künstler wäre, ich nach Köln kommen würde. Künstlerinnen und Künstler sollen ideale Bedingungen finden, um sich weiterzuentwickeln. Das gilt unabhängig von Corona.

Ich denke, dass in Deutschland die finanziellen Schwierigkeiten der Künstlerinnen und Künstler in der Subsidiarität zwischen Kommunen, Land und Bund während der Pandemie gut erkannt und unterstützt worden sind. Das hat in Köln und ganz NRW sehr gut funktioniert. Das war auch ein Zeichen dafür, dass die Kulturpolitik hier gut funktioniert.

Letztlich geht es bei den Künstlerinnen und Künstlern aber um ihre inhaltliche Arbeit und Weiterentwicklung. Das Spannende an dieser Stadt ist, dass wir hier eine kulturelle Emergenz vorfinden. Es entstehen parallel Dinge in vielen kleinen Biotopen. Über kurze Wege kommt man hier in Kontakt und kann sich miteinander austauschen. Es gibt viele Netzwerke, in denen Künstlerinnen und Künstlern miteinander ins Gespräch kommen auch über Kooperationen – und natürlich diese rheinländische Offenheit allem Neuen gegenüber. Hier lässt man sich auf neue Dinge ein. Das ist ein besonderes Merkmal der Szene. Daran wollen wir festhalten und es weiter stärken.

Neben den neu geschaffenen Atelierplätzen – was konnten Sie in den letzten anderthalb Jahren als Kölner Kulturdezernent weiterhin erfolgreich umsetzen?

Wir haben nicht nur die Atelierräume geschaffen. Sondern darüber hinaus gibt es jetzt ein Team für das Kulturraummanagement. Wenn Künstlerinnen und Künstler einen Ort suchen, um zu arbeiten, müssen sie sich oft an fünf oder sechs verschiedene Stellen wenden. Es gibt z. B. den Vermieter, den Vertragspartner, den Fördermittelgeber, die Firma, die für den Umbau zuständig ist … Wir dachten, es wäre ideal, wenn es eine Ansprechperson für alles gibt. So haben wir im letzten Jahr ein Team dafür auf den Weg gebracht. Auf kurzem Weg kann man dort anrufen und sein Anliegen klären – z. B. wenn man Atelierplätze sucht. Das Team übernimmt mit Verwaltungswissen und Expertise alles, was die Szene braucht – von Verhandlungen mit Eigentümern, der Klärung von Befristungen oder Bauaufträgen. Das ist wie ein kleines Start-up innerhalb der Verwaltung, das eigenverantwortlich und mit hoher Zielorientierung agiert. Mit gleichem Vorgehen schicken wir nun ein Kultur-Marketing-Team auf den Weg. Ziel ist es, die Kultur in der Stadt und außerhalb sichtbarer zu machen.

Wir haben auch im Bereich Restitution viel gearbeitet. Es ist ja bekannt, dass Köln mit dem Rautenstrauch-Joest-Museum einen Teil der Benin-Bronzen beherbergt hat. Zum ersten Mal haben wir eine größere Restitution vollzogen. Dafür brauchte es einen Ratsbeschluss, weil die Bronzen im Eigentum der Stadt Köln waren. Wir haben das mit der Bevölkerung und der Politik vorbereitet, diskutiert und als Stadt diesen Prozess gemeinsam vollzogen. Wir haben auch hier im Dezernat zwei Mitarbeitende, die im Bereich Provenienzforschung arbeiten.

Die Stadt war bei diesem Thema Vorreiterin und hat als erste deutsche Stadt bereits 2007 für alle Museen eine museumsübergreifende Stelle für Provenienzforschung eingerichtet. Wir engagieren uns sehr in diesem Bereich.

Im Bereich ökologische Nachhaltigkeit machen wir uns ebenfalls auf den Weg. Wir arbeiten an der Klimabilanzierung der Kultureinrichtungen. Gemeinsam mit dem Aktionsnetzwerk für ökologische Nachhaltigkeit in Kultur und Medien aus Berlin bilden wir ein gutes Dutzend Transformationsmanagerinnen und -manager aus. Dieses Handlungswissen wollen wir dann in die Institutionen hineintragen und erste Maßnahmen umsetzen. Wir haben eine Koordinationsstelle »Nachhaltigkeit in der Kultur« als Stabsstelle bei mir im Dezernat vorbereitet, die wir jetzt in den nächsten Monaten installieren. Sie soll auch die Koordination für die Freie Szene übernehmen und unter anderem feststellen, was sie wirklich brauchen, um ökologisch nachhaltig zu arbeiten. Wir wollen hier mit guten Ideen und Expertise helfen. Das ist ein wichtiges Thema in der Kultur. Das haben andere Städte natürlich auch erkannt. Aber wir wollen hier mit einem Ausbildungslehrgang für alle Kulturinstitutionen in der Stadt deutschlandweit vorangehen.

Ein großes Kölner Projekt ist das Zentraldepot. Welche Rolle nimmt das für die Sicherung und Pflege des kulturellen Erbes in Köln ein?

Wir haben in Köln einen Bedarf an Depotflächen für unsere Museen von ca. 50.000 Quadratmetern. Natürlich könnte jedes Museum ein eigenes Depot mitten in der Stadt mit hohen Bau-, Betriebs- und Energiekosten bauen. Aber wir wollen unsere Häuser möglichst energetisch nachhaltig bauen und betreiben. Daher planen wir ein Zentraldepot, das als Lagerhaus für alle Museen betrieben wird. Es soll verschiedene Klimazonen je nach den Anforderungen für die jeweiligen Objekte geben. Das wird schrittweise entwickelt. Sodass wir die 20 bis 25 Prozent, die wir an Energie in den Häusern in den nächsten paar Jahren einsparen wollen, unter anderem auf diesem Weg erreichen könnten.

Im Moment befinden sich Museen in einer sehr starken Transformation. Da ist es für Köln ein Riesenvorteil, dass wir mit vielen Häusern ohnehin in Bau- und Sanierungsprojekten stecken. Denn wir müssen uns genau überlegen, wie Museen in zehn Jahren betrieben werden sollen. Eine Komponente, die wir alle kennen, ist das Display, also die Objekte oder Artefakte, die wir zeigen. Die zweite ist Diskurs. Wir wollen Orte schaffen, wo man miteinander ins Gespräch kommt, wo wir unsere Ideen austauschen, wo wir Panels veranstalten. Die dritte Komponente ist die didaktische. Wir wollen einen Lernort schaffen: Im Museum soll eine Art Learning Center für junge Menschen, für Schulklassen entstehen. Wir denken auch sehr stark über dritte Orte nach und entwickeln Konzepte für kulturelle Teilhabe. Das heißt, unsere Museumsmodelle verändern sich im Moment stark. Dabei versuchen wir, aus der Perspektive des Publikums zu denken.

In diesem Zuge sind wir zur Überzeugung gekommen, dass das Vorhaben, diese Depots im innersten Zentrum der Stadt unterzubringen, nicht die zukunftsträchtige Idee ist. Gerade entwickeln wir ein Betriebsmodell für ein Zentraldepot an der Peripherie Kölns. Dabei ist es eben essenziell zu überlegen, wie sich das kulturelle Bildungsangebot der Museen entwickeln soll.

Wenn sich Kultureinrichtungen mitten in der Stadt befinden, so wie in Köln, müssen wir über die Verlängerung der Öffnungszeiten nachdenken. Mit dem Stadtmuseum sind wir gerade interimsmäßig in einem früheren Modegeschäft in der Fußgängerzone und dasselbe ist für die Stadtbibliothek geplant. In dieser Lage bluten seit Corona viele Geschäfte aus. Der Handel ist rückläufig. Mit Kultureinrichtungen können wir inmitten der Fußgängerzonen eine Umnutzung mit Abend- und Sonntagsöffnungen gestalten. Das kommt in der Stadtbevölkerung sehr gut an. Unsere Stadtbibliothek hatte im vergangenen Jahr, nach den pandemiebedingten Rückgängen, schon wieder mehr als zwei Millionen Besucherinnen und Besucher. In dem Bereich wollen wir uns aktiv weiterentwickeln.

Sie sind gebürtiger Schweizer, haben viele Jahre dort in der Kulturszene gearbeitet, unter anderem beim SRF und dem Kunstmuseum Basel. Was kann Deutschland von der Schweiz kulturpolitisch lernen?

Wenn wir Neues entwickeln, schauen wir immer ganz genau, vor allem im deutschsprachigen Raum, was passiert in anderen Städten, und wie wir voneinander lernen und uns ergänzen können. Wir müssen nicht jeden Standort gleich entwickeln. Wir suchen nach Kölner Modellen, um die Dinge weiter zu gestalten. Wir brauchen diese Vernetzung, das geht über die Landesgrenzen hinaus. Gerade in den Bereichen der Restitution und der ökologischen Nachhaltigkeit ist Deutschland voraus. Da machen wir viel mehr als in der Schweiz. Das finde ich toll. Auf der anderen Seite ist es so, dass die Einrichtungen in der Schweiz einfach sehr gut unterhalten und auskömmlich finanziert sind. Sie haben die Möglichkeit, sich sehr stark auf ihre Programme und Inhalte zu konzentrieren. Basel z. B. ist stark durch mäzenatisches Engagement in der Bevölkerung und Stadtgesellschaft geprägt. Die großen Institutionen werden unglaublich unterstützt. Es sind ein paar wenige Leute, die aber massiv fördern. Aber schon in Zürich ist die Fördersituation wieder ganz anders.

Meine Erfahrung zumindest in Köln ist, dass es hier noch sehr viel mehr Nebenschauplätze und einige anspruchsvolle Bauprojekte gibt. Viele Einrichtungen beruhen hier auf Bürgerinitiativen: Man hat einerseits einen starken Rückhalt in der Bevölkerung mit den Häusern, aber es wird auch ein hohes Mitspracherecht eingefordert. Wie gesagt, hat Kunst hier eine unglaubliche Wirkung in der Stadt. In anderen Städten nehme ich das nicht so wahr. Hier wird Kunst gelebt, miterlebt, mitgestaltet. Sie beeinflusst alle zu jeder Zeit an jedem Ort. Das ist eine ideale Bühne für die Kunst, das ist sicher eine Besonderheit. Das unterscheidet Köln auch von Paris, Wien und anderen Kulturmetropolen, die sehr viel mehr top-down organisiert sind – auch in der Kultur und Kulturpolitik. Das hier so viel bottom-up entsteht finde ich sehr sympathisch.

Köln ist eine etablierte Medienstadt. Welche Rolle spielt das für Sie in Ihrer Arbeit, in Ihrer Kulturpolitik?

Das ist ein wichtiger Punkt ganz oben auf meiner To-Do-Liste. Wir haben tolle Verlage, Medienproduktionsfirmen, Autorinnen und Autoren, sprich an der Schnittstelle der Kreativwirtschaft zu den Medien und zur Kunst gibt es hier eine hohe Vielfalt und Expertise. Es muss uns gelingen, das noch besser zu nutzen. Gestern war ich z. B. bei der ifs, der Internationalen Filmschule Köln, und habe mich informiert, wie wir noch mehr zusammenarbeiten können. Köln ist auch ein guter Standort für Literatur. Viele schreiben hier für Serien oder Filme. Das können wir noch besser miteinander verflechten. Das ist mein großes Anliegen. Man spürt, da gibt es viel Potenzial, aber in der Vernetzung wurde noch nicht so viel gemacht. Da können wir in den nächsten ein, zwei Jahren viel erreichen.

Die Oberbürgermeisterin hat neu die Stabsstelle Events, Film und Fernsehen eingerichtet, um Köln als Standort für Film- und Fernsehproduktionen zu stärken. Gemeinsam mit dem Dezernenten für Wirtschaft werden wir nun alle wichtigen Protagonistinnen und Protagonisten aus den Bereichen einladen, uns zusammensetzen und prüfen, was die Verwaltung tun kann, um den Medienstandort weiterzuentwickeln.

Zum Abschluss: Was ist Ihr liebster Kulturort in Köln? Haben Sie einen Kulturtipp für unsere Leserinnen und Leser?

Das ist immer schwierig für uns Kulturdezernenten. Aber in Köln kann man sich wahnsinnig gut treiben lassen. Im Moment würde ich empfehlen – auch weil es für uns eine wichtige kulturpolitische Arbeit ist – die Interimsspielstätte in Mülheim zu besuchen. Das ist genau das, was wir mit Cultural-Place-Making meinen. Wir gehen bewusst in den sozialen Brennpunkt der Stadt und bauen dort Kulturprojekte, wie die Interimsspielstätte, auf. Und drumherum entsteht noch viel mehr wie z. B. Urban Gardening. Das wurde sehr gut angenommen. Diese kulturelle Nutzung hat den Stadtteil neu geprägt. Es lohnt sich, das zu erleben.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2023.