Wenn es morgen keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) mehr gäbe, dann … die vermutete Bandbreite möglicher Antworten ist in den letzten Jahren größer geworden. Die Zahl derer, bei denen zur Beantwortung dieses Szenarios die Vorstellungskraft nicht reichen würde, vermutlich geringer geworden.

Die Schärfe gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um Auftrag und dessen Umsetzung, um Reformen, um die Finanzierung bis hin zur Existenzfrage verdeutlicht in der Skalierung der öffentlichen Diskussion auf die kommenden Jahre, dass auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Zeitenwende bevorstehen könnte.

Je konkreter der Einstieg zu dem Thema, »Was wäre, wenn …?« erfolgt, desto deutlicher werden sowohl der gesellschaftliche Mehrwert als auch die Baustellen beim ÖRR.

Der Deutsche Kulturrat gehört zu den »Critical Friends« des ÖRR, die einerseits die Unverzichtbarkeit des ÖRR im dualen Rundfunksystem für unser Gemeinwesen unterstreichen und andererseits eine profiliertere Umsetzung des Verfassungsauftrages einfordern.

Die Abwärtsspirale gesellschaftlicher Akzeptanz für den ÖRR kann nur umgedreht werden, wenn sich die Menschen vor Ort angesprochen fühlen, wenn Berichterstattung aus dem unmittelbaren Lebensumfeld in Beziehung zum nationalen und internationalen Geschehen gesetzt wird, wenn Kulturberichterstattung stattfindet, die Neugierde wecken und Orientierung geben kann, wenn die Rundfunkklangkörper im konstruktiven Zusammenwirken mit den Kulturakteuren vor Ort kulturelle Vielfalt erlebbar machen, wenn sich der ÖRR auch als gesellschaftlicher Verstärker kultureller Nachhaltigkeit versteht.

Information und Kultur im ÖRR bilden das Fundament seiner Existenzberechtigung. Genau an diesen beiden Säulen seiner Existenz sägen die Intendanten mit ihren Umstrukturierungs- und Kürzungs- bzw. Schließungsplänen. Die Vorstellung, beispielsweise aus mehreren Exzellenzorchestern ein ARD-Super-Exzellenzorchester formen zu wollen, zeugt nicht nur von einer erschreckenden Lebensfremdheit, sondern einer beispiellosen Ignoranz gegenüber dem Aushängeschild kultureller Vielfalt, über die der ÖRR derzeit noch mit seinen Rundfunkklangkörpern verfügt. Die Zentralisierungsbestrebungen betreffen viele Programmbereiche, darunter auch die zwölf Hörspielredaktionen, die zu einer Zentralredaktion zusammengelegt werden sollen.

Kulturelles Leben entsteht und erreicht die Menschen vor Ort. Deshalb gehört die Präsenz des ÖRR vor Ort zum Markenkern seiner Akzeptanz. Die zunehmende Quoten-Orientierung bei der Programmgestaltung in Verbindung mit dem Ausdünnen regionaler Angebote ist eine toxische Mischung auf dem Weg in die Belanglosigkeit.

Wenn die ARD die Regionalität ihrer Programmangebote ausdünnt, rüttelt sie an ihrer Gründungsidee.

Die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen Programmangebotes fußt auch auf der hohen Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gerade bei den Fachredaktionen werden mit dem Argument der Crossmedialität Stellen der Fachredakteurinnen und Fachredakteure gestrichen, wie z. B. im Jazz. Authentische Programmgestaltung braucht aber die fachlich fundierte Arbeit ebenso wie eine wirkungsvolle Umsetzung bei den Ausspielwegen im digitalen Zeitalter.

Unverwechselbarkeit entsteht auch in dem Bemühen, komplexe Themen ohne die Sorge einer Rezipientenüberforderung an prominente Sendeplätze zu setzen und diese offensiv zu bewerben.

Die bisherigen Äußerungen des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke lassen nicht darauf schließen, dass er und seine Intendantenkolleginnen und -kollegen Geist und Wort des neuen Medienstaatsvertrags, der in Kürze in Kraft tritt, auch Taten folgen lassen wollen. Dabei haben die Länder Kultur an die erste Stelle des Programmauftrages gesetzt.

Deshalb braucht es mehr denn je eine starke Zivilgesellschaft, die sich noch intensiver an der Zukunftsgestaltung des ÖRR meinungsbildend beteiligt. Das betrifft die Mitarbeit in den Rundfunk- und Verwaltungsräten ebenso wie die Beteiligung an der medienpolitischen Diskussion in den Parlamenten und Regierungen auf allen föderalen Ebenen, die nicht durch die originäre Zuständigkeit der Länder alleinig abgedeckt ist. Der seit Langem immer wieder kritisierte Einfluss der Parteien in den Rundfunkräten offenbart eher eine Schwäche zivilgesellschaftlicher Vertretung in den Entscheidungs- und Kontrollgremien denn eine systemische Unwucht in den Gremienstrukturen selbst.

Wir sind, auch in dem Bewusstsein, die gesamte Gesellschaft und nicht nur den jeweils zu entsendenden Verband oder die Institution zu vertreten, nicht immer optimal aufgestellt, wie nicht nur die Vorfälle beim rbb gezeigt haben.

So hat beispielsweise die Rundfunkkommission der Länder in beispielloser Selbstherrlichkeit einen sogenannten »Zukunftsrat« einberufen, dessen Scheitern vorprogrammiert ist, weil die Zivilgesellschaft nicht beteiligt wurde und es die Zivilgesellschaft auch nicht geschafft hat, beteiligt zu werden.

Eine bessere Akzeptanz des ÖRR liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse, denn der ÖRR ist konstitutiver Bestandteil unserer demokratischen Verfasstheit. Dazu fünf Impulse:

  1. Angesichts auseinanderdriftender Gesellschaften braucht es mehr denn je einen unabhängigen Qualitätsjournalismus und ein Kulturprogramm, das sich mit seiner programmatischen Ausrichtung an Geist und Buchstaben der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen orientiert.
  2. Die gemeinwohlorientierte Verpflichtung des ÖRR braucht das (finanzielle) Engagement aller.
  3. Zum konstruktiven Miteinander im dualen Rundfunksystem gehört ein vollständiges Werbeverbot im gebührenfinanzierten ÖRR. Damit ließe sich auch der Weg für eine wirksamere Präsenz des ÖRR auf den Digitalplattformen eröffnen.
  4. Die überzogenen Gehälter auf den obersten Leitungsebenen des ÖRR sollten sich an vergleichbaren Bemessungsformaten, etwa der Besoldung der Bundesrichter, orientieren.
  5. Die zu verstärkende Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft, Medienpolitik und ÖRR ist eine Chance für eine wachsende Akzeptanz des ÖRR.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2023.