Das ganze System gehört auf den Prüfstand, »Wir fordern die Einführung eines Grundfunks, welche den kompletten Ausstieg aus den Zwangsbeiträgen bedeuten würde«, »Der Fall der rbb-Intendantin Patricia Schlesinger ist nur ein Symptom für die Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es stellt sich jetzt die Systemfrage« – Das sind Schlagzeilen und Zitate dieser Tage zur Causa Schlesinger und den Missständen in der Arbeit des rbb-Verwaltungsrats. Die Vorfälle beim Berlin-Brandenburger Sender kommen denen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen wollen, sehr gelegen. Aus Mängeln in der Kontrolle und der Selbstbedienungsmentalität Einzelner, wird zu Unrecht eine »Systemkrise« formuliert. Dass die ARD jetzt schnell und konsequent handeln, und die Transparenz, Kontrolle und Ausstattung der Gremien verbessern muss, steht außer Frage. Vertrauen darf es nur geben, wenn auch die Kontrolle funktioniert. Und dieses Vertrauen in die Führung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist gestört. Doch das Grundprinzip, den staatsfernen, gebührenfinanzierten Rundfunk nicht durch die Politik, sondern vor allem durch ehrenamtliche Gremien zu beaufsichtigen, ist weiterhin richtig und verfassungsgemäß. Denn die vom Bundesverfassungsgericht postulierte »Staatsferne« sowie die Pressefreiheit lassen nur sehr bedingt eine staatliche Kontrolle zu. Zuschauerräte oder Bürgerräte, wie von manchem stattdessen gefordert, würden weder höhere Kompetenz noch mehr Unabhängigkeit bedeuten.

Die Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte rücken nach den Berichten über die scheinbare Vettern- und Vorteilswirtschaft in der Führungsetage der öffentlich-rechtlichen Anstalt wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Und das zu Recht. Nach dem Willen der Länder sollen sich deren Funktionen erweitern und sie so eine wichtigere Rolle bei der Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spielen. »Man darf wegen der jetzt bekannt werdenden Vorgänge beim rbb nicht gleich die ganze öffentlich-rechtliche Medienlandschaft in Frage stellen und alle Rundfunk- und Verwaltungsräte verantwortlich machen. Die Gremienmitglieder üben, nach meiner Erfahrung, ihre Kontrollrechte gut und verantwortungsbewusst aus«, sagte Heike Raab, Medienstaatssekretärin aus Rheinland-Pfalz und Koordinatorin der Medienpolitik der Länder, der FAZ am 17. August. Wir brauchen, so Raab, eine Stärkung der Gremien, die mit der Novelle des Medienstaatsvertrags, den die Ministerpräsidentenkonferenz im Juni beschlossen hat, ermöglicht werden soll. Mit dem neuen Medienstaatsvertrag sollen Einfluss und Autorität der Gremien durch mehr Einheitlichkeit der Befugnisse und mehr Vergleichbarkeit gestärkt werden. Dabei hätten die Länder auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung einer effektiven Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch seine Gremien im Blick gehabt. Die Vorgänge beim rbb zeigten, dass Gremien nur funktionieren können, wenn sie in alle wichtigen Entscheidungen eingebunden seien.

Neuer Medienstaatsvertrag gibt Gremien mehr Macht

Zu den Kernpunkten der Auftragsreform mit dem evaluierten Medienstaatsvertrag gehört, dass die Rundfunk- und Fernsehräte sowie die Verwaltungsräte mehr Verantwortung übernehmen. So sollen die zuständigen Gremien künftig über die »Erfüllung des Auftrags sowie über eine wirtschaftliche und sparsame Haushalts- und Wirtschaftsführung« wachen. Sie sollen zudem Richtlinien aufstellen, die »inhaltliche und formale Qualitätsstandards sowie standardisierte Prozesse zu deren Überprüfung« umfassen. Auch sollen sie Maßstäbe festsetzen, um die »Kontrolle der Ressourceneffizienz zu ermöglichen«. Die Gremien werden beispielsweise auch darüber wachen, ob Unterhaltung künftig einem öffentlich-rechtlichen Profil entspricht. Mit der Übertragung neuer Aufgaben an die ehrenamtlichen Räte wollen die Länder sicherstellen, dass bei einer weiteren Reduzierung ihrer Rolle der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner Funktion für eine sich verändernde Gesellschaft gerecht wird. Das sei ein deutlicher Machtzuwachs der Gremien, die sich der Aufgabe verantwortungsbewusst, aber auch mutig stellen sollten, schrieb der Kulturminister und Chef der Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt Rainer Robra in einem Gastbeitrag der FAZ. »Die Gremien waren und sind nicht zum Abnicken da, sondern dürfen sich als eine Art Parlament der Anstalten verstehen«, so der Staatsminister.

Für Wolfgang Schulz, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung/Hans-Bredow-Institut ist es eine »sehr konsequente Entwicklung eines möglichst staatsfern agierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wenn den Gremien jetzt noch mehr Verantwortung übertragen wird«. In diesem Bereich sei der Einfluss des Staates durch den Grundsatz der Staatsferne, der verfassungsrechtlich abgesichert ist, sehr begrenzt. Die Steuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Zukunft kann nur durch einen relativ breiten Rahmen des Gesetzgebers erfolgen, in dem er festlegt, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk die kommunikativen Erfordernisse der Gesellschaft erfüllen soll. Schulz sieht darin einen gravierenden »Strukturwandel«, für den die Rahmenbedingungen aber noch geschaffen werden müssen. Die Gremien müssten eine Art Sparringspartner der Intendanz sein, die Qualitätskriterien definieren und weiterentwickeln und so eine andere systemsteuernde Funktion als heute erhalten. Der Strukturwandel sei eine Kombination aus zwei Faktoren, der entsprechenden Haltung der Gremienmitglieder und den nötigen Instrumenten zur Erweiterung ihrer Kompetenz, sagt der Hamburger Medienrechtler.

Rahmenbedingungen für Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte verbessern

Die Medienpolitiker der Länder, Medienwissenschaftler und auch die Gremienmitglieder selbst wissen, dass vieles an der Arbeit der Aufsichts- und Kontrollinstitutionen verbessert werden muss. Sie fordern das schon seit Jahren, ohne dass sich signifikant etwas geändert hat. Die Gremienbüros in den Anstalten, die die Arbeit der Rundfunkräte organisatorisch und inhaltlich unterstützen, so der Direktor des Hamburger Instituts für Medienforschung, müssten mit der notwendigen Expertise ausgestattet werden. Zum Zweiten müssten punktuell extern Expertisen eingeholt werden. So könnte man für eine bestimmte Zeit, für ein wichtiges Thema, eine wissenschaftliche Begleitung verpflichten, wie es bei den Drei-Stufen-Tests schon praktiziert worden ist. Drittens sei die kontinuierliche Schulung dafür ein wichtiges Element, um eine stärkere Professionalisierung der Gremien zu erreichen. Diese Unterstützung hält auch Friederike von Kirchbach, ehemalige Vorsitzende des rbb-Rundfunkrates, für dringend erforderlich: »Wir Rundfunkräte sind keine Experten, sondern bei Bedarf von Experten unterstützte Generalisten. Wir bringen gesellschaftlich relevante Kompetenzen in die Beratung der Programmverantwortlichen ein, um den Wert der Angebote für die Allgemeinheit zu bewerten und sicherzustellen, dass die Vielfalt der Ansichten abgebildet wird.« Wichtiger, als dass der Gesetzgeber das explizit klarstelle, sei es den Rundfunkräten zu ermöglichen, im Bedarfsfall Expertise anzufragen. Hierbei seien eigene Etats und unabhängige Mitarbeitende in den Geschäftsstellen entscheidend, die einen Überblick haben, welche Expertinnen und Experten den Gremien weiterhelfen können.

Dass die neuen Aufgaben auch neue Anforderungen an die Gremienmitglieder stellen, daran lässt auch Marlehn Thieme, Vorsitzende des ZDF-Fernsehrates, keinen Zweifel: »Es ist keine Frage, dass der neue Medienstaatsvertrag uns allen deutlich mehr abverlangen wird. Hier stelle ich eine große Bereitschaft der Mitglieder fest, sich einzubringen und – wenn erforderlich – sich auch medienspezifisch fortzubilden und externe Expertise, wie bisher auch bereits mehrfach praktiziert, einzuholen. Ich bin sicher, dass wir gerade in unserer Vielfalt als zivilgesellschaftlich geprägtes Gremium gut aufgestellt sind, um genau diese Anforderungen der Zukunft erfolgreich zu meistern.«

Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Gremien müssen sich ändern

Auch das Selbstverständnis und Verhältnis der Rundfunk- und Fernsehräte gegenüber den Geschäftsleitungen müsse sich ändern, haben Gremienmitglieder des WDR in der FAZ vom 11. August zum Ausdruck gebracht. Die Struktur der Gremien stamme aus den 1950er Jahren des vorigen Jahrhunderts, stellen Gerhart Baum und Jürgen Bremer fest. Ob sie noch den Aufgaben gewachsen seien, müsse dringend evaluiert werden. Es gelte deshalb, so Baum und Bremer, die bisherigen Abläufe auf den Prüfstand zu stellen: Dazu gehörten, das Verhältnis der Gremien untereinander, zum Verwaltungsrat und auch zum Intendanten zu evaluieren. Die öffentliche Geringschätzung als Abnick-Gremien belaste das Aufsichtssystem. Deshalb müssten das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Gremien gegenüber den Geschäftsleitungen der Sender überprüft werden. Rundfunk- und Verwaltungsräte müssten ihre Kontrollfunktion selbstbewusster wahrnehmen und damit der Öffentlichkeit signalisieren, dass sie im Interesse der Allgemeinheit handeln. Als Problem sehen die beiden Juristen aber auch mangelnde Information bei den Gremien selbst.

So sei die Transparenz beim WDR-Rundfunkrat ausbaufähig. Er veröffentliche gerade so viel, um den gesetzlichen Transparenzvorschriften noch zu genügen. Diese Zurückhaltung übe der Rundfunkrat nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch gegen sich selbst. So verzichte er auf Protokolle von Präsidiumssitzungen. Die Öffentlichkeit erfahre nicht, wann das Spitzengremium des Rundfunkrats tage, kenne weder dessen Tagesordnung noch die Themen. Protokolle der Gremienvorsitzendenkonferenz werden dem WDR-Rundfunkrat nicht vorgelegt. »Da lässt sich fragen«, so die Autoren des Appells, »warum im Rundfunkrat öffentlich vorgetragene Berichte nicht veröffentlicht werden? Oder warum dürfen stellvertretende Rundfunkratsmitglieder nicht auch an den nichtöffentlichen Sitzungsteilen teilnehmen?«

Gremienvorsitzende fordern feste, von der KEF festgelegte Budgets

Im Gegensatz zu den Landesmedienanstalten, die 1,8989 Prozent der durch den Rundfunkbeitrag erzielten Einnahmen erhalten, steht den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Sender kein festes Budget zur Verfügung. Zudem verfügen alle Medienanstalten über zahlreiche versierte Juristen und Medienexperten. Eine solche Inhouse-Kompetenz fehlt überwiegend bei den Gremienbüros. Sowohl die Kosten für diese Büros, Aufwendungen für Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen als auch Aufwandsvergütung für die Mitglieder sowie die Möglichkeit für externe Expertisen sind in jeder Anstalt unterschiedlich geregelt. Bei der Vergabe von Gutachten sind die Rundfunk- und Fernsehräte auf den Goodwill der Geschäftsleitung und den Rat der juristischen Direktion angewiesen. Deshalb fordern die ARD-Rundfunkratsvorsitzenden, dass die Aufsichtsorgane ihren Bedarf endlich selbst anmelden, der dann von der unabhängigen KEF, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, mit Blick auf die gesetzlichen Aufgaben zu prüfen sei. Eine ordentliche Ausstattung der Aufsichtsorgane mit Geschäftsstellen, die die Mitglieder erst arbeitsfähig machen und zu diesem Zweck auch aus-, fort- und weiterbilden für ihre komplexen Aufgaben, sei das A und O für den Erfolg des neuen Medienstaatsvertrags und damit der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sagt von Kirchbach. Sie könne sich nicht vorstellen, dass dieser Punkt bei den anstehenden Beratungen des Medienstaatsvertrages in den 16 Landtagen unberücksichtigt bleibe.

ARD will Konsequenzen für die Gremienarbeit ziehen

Neben den Landesregierungen, die in den jeweiligen Staatsverträgen auch die Arbeitsweise der Rundfunkräte regeln, muss die ARD selbst die Grundsätze und Arbeitsbedingungen der Aufsichtsgremien neu justieren. In einem dpa-Interview vom 12. August hat der amtierende ARD-Vorsitzende Tom Buhrow Schlussfolgerungen angekündigt. Dazu gehören zum einen die gute personelle Ausstattung und die Unabhängigkeit der Geschäftsstellen. Das sehe in der ARD sehr unterschiedlich aus. Man wolle überprüfen, ob überall in der ARD die Geschäftsstellen der Aufsicht adäquat ausgestattet seien. Zum anderen sollen die Gremien auch externe Experten heranziehen können.

Beide »Schlussfolgerungen« sind nicht neu. Seit Jahren werden die personellen und finanziellen Beschränkungen der Geschäftsstellen bemängelt. Auch in der Stellungnahme zum Entwurf des novellierten Medienstaatsvertrages hat die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD hier eine dringende Verbesserung angemahnt. Aber diese Hilferufe haben die ARD-Intendanten bisher anscheinend nicht vernommen. »Jeder investierte Cent in effektivere Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist ein gut investierter Cent«, sagt der WDR-Vorsitzende. Die Beitragszahler werden ihm sofort zustimmen und die ARD sollte dieser – nicht neuen – Erkenntnis schnell Taten folgen lassen. Nur der rbb-Senderspitze das Vertrauen zu entziehen, reicht nicht aus. Bei der Anmeldung der Anstalten für die nächste Gebührenperiode könnten ARD und ZDF einen festen Beitragsanteil für die Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte mit anmelden. Es müssen nicht 1,8989 Prozent wie für die Landesmedienanstalten sein, es gibt ja auch weniger öffentlich-rechtliche Anstalten. Selbstverständlich darf dieses Budget nicht zusätzlich auf den Beitrag aufgeschlagen werden, sondern sollte durch Einsparungen, beispielsweise bei den Verwaltungsausgaben, gewonnen werden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2022.