Im folgenden Text möchte ich über gegenwärtige Entwicklungen in der Musikbranche, insbesondere der elektronischen Musik, durch fortschreitende Verbreitung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning in der Musikkomposition, -produktion und -distribution reflektieren. Hierbei soll es auch um die Entwicklung und darauf reagierende Ausrichtung von Studienangeboten gehen, so auch um den von mir an der Musikhochschule Lübeck eingerichteten Master-Studiengang »Sound Arts & Creative Music Technology« (ursprünglicher Name »Digitale Kreation«).

Der neu beginnende Studiengang fokussiert sich auf diverse Inhalte im Feld von Klangkunst, elektronischer Musik und Musiktechnologie und begreift diese als Kontinuum. Hierbei geht es auch darum, mit den gegenwärtigen, immer diverser werdenden Fähigkeiten und Arbeitsfeldern von Künstler:innen in diesem Bereich Schritt zu halten. Der Fokus liegt auf Inhalten wie Künstlicher Intelligenz/Machine Learning, Musical Agent Systemen und Mensch-Maschinen-Interaktion, über Immersive Audio mit Wavefield Synthesis und Ambisonics, telematischer Kunst, digitalem Instrumentenbau und Makers Culture, Improvisation, Live-Elektronik, Klanginstallation und -skulptur, Fundamenten und gegenwärtigen Entwicklungen der Klangsynthese und Computermusik, Live-Coding, akusmatischer Komposition usw. Der Studiengang integriert die Inhalte und den musiktechnologischen Umgang mit Machine Learning als einen gegenwärtigen und zeitgenössischen Inhalt des Studienangebots. Hierbei spielt auch die Verbindung von Fähigkeiten mit akustischen Instrumenten, Komposition, elektronischer Musik und Machine Learning eine wichtige Rolle, ebenso wie die Entwicklung eigener Visionen und Kompositionen, vor dem Hintergrund ästhetischer und historischer Kontexte, in Verbindung mit der Vermittlung der technischen Fähigkeiten zur Realisation.

Aus musikalischer Perspektive betrachtet erreicht die Verwendung Künstlicher Intelligenz gegenwärtig ein immer höheres Maß an Normalität und Integration in der künstlerischen Arbeitsökologie. Hierbei wird ebenso mit generativen Verfahren, basierend auf GAN, RNN, CNN, Transformer, VAE-Architekturen und anderen gearbeitet, wie auch mit Ansätzen wie SOM, MLP, k-NN, Markov Ketten, Gaussian Mixture Model und vielen weiteren »light weight« Algorithmen, die oft als Basis einer interaktiven Ökonomie zwischen Mensch und Maschine genutzt werden. Hinzu kommen auch die Entwicklungen von neuen Timbre-Strukturen durch Latent Space (VAE/RAVE), Differentiable Digital Signal Processing (DDSP) sowie Data Mining, Source Separation und vieles mehr.

Die fortschreitende Verwendung von KI und Machine Learning wird die Arbeitswelt der Musik in allen oder den meisten Bereichen verändern. In der Kulturbranche können wir sehen, wie in Bereichen der Filmmusikproduktion (der hintergründigen Art), Muzak, Werbemusik usw. ein enormer Druck auf den Markt entsteht, da vermeintlich rechtsfreie Musik mit immer größerer Geschwindigkeit über die Verwendung generativer Verfahren (Udio, Suno, MusicGen und andere) und Services erstellt werden kann.

Demgegenüber können wir viele ästhetisch und philosophisch höchst produktive Ansätze an der Verwendung von Machine Learning und KI in der Musik sehen, welche sich bewusst unkommerziell in der freien Szene und an Universitäten mit diesen Techniken beschäftigt und zu gänzlich anderen ästhetischen Formen und Ansätzen für die Generation und den Umgang mit Datenkorpora – Stichwort Datentransparenz – kommt. Als ein Beispiel sei hier die Arbeit mit Interaktiven Musiksystemen bei George Lewis, Artemi-Maria Gioti oder Philippe Pasquier genannt.

Jedoch scheinen viele negative Auswirkungen dieser Technologie auch anderen (historischen) Schritten der Fortschreitenden Rationalisierung der (künstlerischen) Arbeit nicht wesensverschieden. Mithin sind viele zunächst negative Folgen der Implementation von KI in unsere Arbeitsabläufe für Künstler:innen, ihren Autor:innenstatus, ihre Arbeitswelt und die Möglichkeit ein Einkommen zu erwirtschaften, welches ihrer Arbeit und ihrem kulturellem Wert angemessen ist, besonders im Rationalisierungsdrang unseres Wirtschaftssystems begründet. Die wirtschaftlichen Paradigmen entscheiden mithin über die soziale Realität der Anwendung der Potenziale der Technologie.

Die sozialen und informationstechnischen Wandlungen reflektierend, findet Künstliche Intelligenz dabei gegenwärtig einen immer weiteren Zugang zu Lehrstühlen im Bereich elektronischer Musik und ist dabei, zu einem festen Bestandteil der Ausbildung an vielen Ausbildungsstätten zu werden, welcher neben anderen Bereichen in der Lehre vermittelt und in der künstlerischen Arbeit angewendet wird. In Bereichen Interaktiver Musiksysteme, generativer Kompositionsverfahren, Gestenerkennung und -steuerung, Klangsynthese, Bild- und Textgeneration und vieles mehr finden diese Algorithmen zunehmend Anwendung. Hierbei geht es genau um die Verbindung gegenwärtiger Forschungsergebnisse mit künstlerischem Schaffen und auch um die Verbindung einer technologischen und ästhetischen Fluidität.

Dies ist auch zu sehen in Studiengängen wie »Künstliche Intelligenz in der Musik« sowie vielen weiteren etablierten Studiengängen für elektronische Musik und Komposition, auch bei »Sound Arts & Creative Music Technology« in Lübeck. Der im Studium erlernte Umgang mit KI-Tools und Programmierung von KI-Frameworks fügt sich für viele Studierende und angehende Künstler:innen in die Arbeitsweisen und Konzepte elektronischer Musik ein, welche sie im Studium und ihrer Arbeit als freischaffende Künstler:innen kultivieren. Hierbei entstehen auch neu Arbeitsökologien, welche die Art und Weise des künstlerischen Arbeitens verändern können.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2024.