Um das »virtuelle Lagerfeuer, an dem sich große Teile der Bevölkerung wiederfinden, öfter als bisher zu entfachen«, sei die Produktion guter Unterhaltungsangebote »die kulturelle Königsdisziplin für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk«. Die Defizite von ARD und ZDF lägen keineswegs im Bereich der Hochkultur. Die Sender hätten vielmehr den Bereich der massenwirksamen Unterhaltungsprogramme kampflos den privaten Anbietern überlassen: »Wenn eine Sendung wie ›Wetten dass..?‹ die letzte Innovation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bereich Unterhaltung ist, sieht es mit dieser Kultur düster aus«. Nach diesem pessimistischen Fazit stelle sich die Frage, ob ARD und ZDF »nicht mehr die Köpfe haben, die sich gute Unterhaltung ausdenken«. Entgegen dem allgemeinen Trend, demnach sich Formate wie DSDS vor allem auf Kosten der Kandidaten amüsieren, wünsche man sich von den öffentlich-rechtlichen Sendern Programme, »bei denen es Spaß macht, als Couch Potato einfach mal die Füße hochzulegen und sich zu erfreuen«. Beispiele wie die WDR-Sendung »Zimmer frei! seien leider nur eine löbliche Ausnahme« (2016 beendet). So beschrieb der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, im August 2009 in einem Gastbeitrag für epd medien das Niveau der »Unterhaltung« im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.  

13 Jahre später, am 2. April 2022, war im Fachblog fernsehserien.de über »Verstehen Sie Spaß?« mit Barbara Schöneberger zu lesen: »Die Show ist nach altbekanntem Muster aufgebaut. Einer Show, die früher mal zweistündig war, aber im Zuge des XXL-Wahns standardmäßig auf drei Stunden ausgedehnt wurde, täte Abwechslung dringend gut. Die Verladen mögen noch so lustig sein – auf die Dauer ist es für das Publikum im Saal und vor den Fernsehgeräten schlichtweg zu monoton und ermüdend, sich einen Einspielfilm nach dem anderen anzusehen und zwischendurch in die Länge gezogenen Gesprächen beizuwohnen.« Kritiken an den Unterhaltungsformaten von ARD und ZDF ließen sich problemlos fortsetzen.  

Es hat sich anscheinend an der Qualität der öffentlich-rechtlichen Unterhaltung in den letzten Jahren kaum etwas geändert. Am mangelnden Geld kann es nicht liegen, denn seit 2009 fließt deutlich mehr Rundfunkbeitrag in die Kassen der Anstalten, auch nicht am öffentlichen Interesse oder gar am Auftrag. Viel wahrscheinlicher ist es, dass das Publikum, geschult an hochwertigen Angeboten von Netflix & Co. und auch von privaten Anbietern – die man durchaus bei RTL und ProSiebenSat.1. finden kann – kritischer geworden ist als die Verantwortlichen bei ARD und ZDF und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo »Unterhaltung« noch immer Masse vor Klasse geht. Der Programmanteil an den fiktionalen und non-fiktionalen Unterhaltungsangeboten ist sogar gestiegen. Natürlich finden sich bei ARD, ZDF und ARTE hochwertige Serien, Fernsehfilme und niveauvolle Showformate und kein Zuschauer erwartet durchgängig ein »Oscar«-Level. Aber warum muss auf Biegen und Brechen fast die Hälfte des Programms aus Unterhaltung bestehen? 

Unterhaltungsanteil im Ersten ist höher als der Informationsanteil 

Nach einer Analyse der Fachzeitschrift »Media Perspektiven«, Heft 2/2019, herausgegeben vom Intendanten des Hessischen Rundfunks in Zusammenarbeit mit der ARD-Werbung, betrug der Unterhaltungsanteil 2018 im Ersten 44,5 Prozent (32,6 Prozent fiktionale Unterhaltung, 11,9 Prozent non-fiktionale Unterhaltung), der Informationsanteil lag bei 38 Prozent. 2020 war der Unterhaltungsanteil im Ersten von 3.00 bis 3.00 Uhr 48,5 Prozent groß. Betrachtet man die relevante Zeit zwischen 18.00 und 24.00 Uhr, in der die Hauptfernsehnutzung stattfindet, liegt die Unterhaltung bei 57,1 Prozent im Ersten. Dabei ist das noch schöngerechnet, weil ein Teil der Information im Ersten in dieser Zeit ja oft nach 23.00 Uhr stattfindet. Würde man die Zeit von 18.00 bis 23.00 Uhr wählen, wäre der Unterhaltungsanteil noch höher. 

Seit vor zirka drei Jahren bekannt wurde, dass die Länder bei der Novellierung des Auftrags Unterhaltungsformate stärker auf das öffentlich-rechtliche Profil fokussieren wollen, also Masse durch Klasse ersetzen, laufen öffentlich-rechtliche Intendanten Sturm gegen dieses Vorhaben. Ihre Argumente sind vielfältig: So benötige der öffentlich-rechtliche Rundfunk Unterhaltung, um Zuschauer zu binden oder Akzeptanz bei Jüngeren überhaupt zu finden oder als »Puffer« zwischen der Information oder um insgesamt die notwendige Reichweite zu erzielen, oder, oder, oder … Zumeist geht es um »Unterhaltung« an sich, weniger um die Frage, wie diese Unterhaltung aussehen müsse, damit sie sich von den Formaten der Privaten unterscheide und ob man den Programmanteil nicht reduzieren könnte, auch um Mittel für neue Projekte einzusparen. In einem Gespräch zwischen dem Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und der ARD-Vorsitzenden sowie rbb-Intendantin Patricia Schlesinger, das die ZEIT am 6. April dieses Jahres veröffentlichte, forderte Söder, dass auch ARD und ZDF Prioritäten setzen müssten. Zu deren Auftrag gehöre in gewissem Umfang, so der CSU-Politiker, Unterhaltung – aber nicht alles an Unterhaltung. Patricia Schlesinger begründet »Unterhaltung« bei der ARD mit dem notwendigen Akzeptanzgewinn auch bei jüngeren Menschen. Deshalb könne man Unterhaltung nicht wichtig genug einschätzen. Zugleich verwies Schlesinger auf das »Umschichten« von Beitragsmitteln. »Vielleicht wäre es besser«, so Söder, »statt überall ein bisschen zu knapsen, wenn die ARD die Kraft aufbringt, an die Struktur ranzugehen. Welche Sorte Show ist verzichtbar? Sind etwa große Hollywoodfilme, die man für teure Lizenzen erwerben muss, nicht anderswo besser aufgehoben? Ich glaube, da ist noch einiges an Luft.« 

Unterstützung erhalten die besorgten Anstalten von vielen Produzenten. So hat Christian Franckenstein, Geschäftsführer der Bavaria-Film und Vorstandsmitglied der Produzenten-Allianz, in einem FAZ-Gastbeitrag gegen die vorgesehene Änderung argumentiert, indem er gesellschaftliche Bedürfnisse und wirtschaftliche Interessen der Filmwirtschaft anführt: »Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gerade auch unter föderalen Gesichtspunkten in den jeweiligen Regionen ein sehr wichtiger Auftraggeber für die Bewegtbild-Unterhaltungsbranche in Deutschland. Ohne dieses Fundament kommen viele personenbezogene, mittelständische Anbieter an ihre Existenzgrenze.« 

»Unterhaltung« bleibt weiterhin Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 

Natürlich gehören Unterhaltungsangebote weiterhin zum Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont und das ziehen auch die Länder nicht in Zweifel. Es geht hier auch nicht um Definitionsfragen und auch nicht um »gute« oder »schlechte« Unterhaltung. Es geht – auch den Ländern – um Anspruch und die Notwendigkeit des gegenwärtigen Umfangs.  

Auch wenn sich, durch Coronapandemie und Ukraine-Krieg der Informationsanteil erhöht hat, macht schon ein Blick auf das Programm deutlich, dass die Unterhaltung noch immer dominiert. Oder wie es Markus Söder sagte: »Man kann sich auch darüber streiten, ob die ARD den hundertsten Degeto-Spielfilm braucht, wie ›Glück am Wörthersee‹ oder so ähnlich.« 

Im gegenwärtigen Entwurf der Auftragsnovellierung findet sich die Festlegung: »Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben (im Schwerpunkt) der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen. Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entspricht, ist Teil des Auftrags.« Das deckt sich weitgehend mit der Formulierung aus dem geltenden Medienstaatsvertrag. Diese Formulierung soll im künftigen Medienstaatsvertrag leicht verändert werden. So soll die »Unterhaltung« weiterhin zum Auftrag gehören, aber sie müsse dem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen. Durch diese eindeutige, erweiterte Festlegung soll den Gremien die Möglichkeit gegeben werden, entsprechende Angebote zu überprüfen und die Anstalten so gezwungen werden, privaten Veranstaltern nicht mehr mit ähnlichen Formaten Konkurrenz zu machen.  

Kritik an Umfang und Niveau öffentlich-rechtlicher Unterhaltung 

Kritik am Unterhaltungsmassenangebot kommt – verständlicherweise – vom VAUNET, dem Interessenvertreter privater Medien. So heißt es in der Stellungnahme zum Entwurf der Auftragsnovellierung: »Gerade im Bereich der Unterhaltung bieten die lizensierten privaten Anbieter eine Vielzahl hochwertiger Formate und Programme an, die auf Inhalteinvestitionen im mehrstelligen Millionenbereich basieren. Das Angebot an Unterhaltungsformaten hat sich in der digitalen Welt auch durch die Ausbreitung der internationalen Streaming-Anbieter extrem und vielfältig vergrößert. Daher besteht inzwischen kein Bedarf mehr dafür, dass beitragsfinanzierte Programmaufwendungen der Rundfunkanstalten vornehmlich im Bereich Unterhaltung und Sport erfolgen. Laut 22. KEF-Bericht bildeten z. B. in den Hauptprogrammen Das Erste und ZDF die Ausgaben für Sport, Unterhaltung und Film die größten Kostenblöcke.« »Nur wenn Unterhaltung, klar abgegrenzt nicht mehr einer der Aufgabenschwerpunkte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist«, so der VAUNET weiter, »wird das Ziel eines öffentlich-rechtlichen Profils erreicht«. Es sollte zusätzlich vorgegeben werden, dass die Etathöhen und -zuschnitte sich ebenfalls nach den Schwerpunkten zu richten hätten. 

Auch Medienrechtler stellen das gegenwärtige Unterhaltungsangebot von ARD und ZDF infrage. So weist Jürgen Kühling, Universität Regensburg, darauf hin, dass bei der Ausgestaltung des Auftrags die unterschiedlichen Grundrechtspositionen der verschiedenen Anbieter beachtet werden müssen. Ein breites Programmangebot, das auch Unterhaltung beinhalte, sei wichtig, jedoch sollte eine Mehrwertorientierung die Grundlage bilden, sodass gerade im Bereich der Unterhaltung auf Qualität gesetzt werde. Mithilfe von hochwertiger Aufbereitung gesellschaftlich relevanter Themen könnten sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten klarer von privaten Anbietern abgrenzen. In diesem Kontext verwies er auch auf die Rolle der Gremien und deren Kontrollfunktion hinsichtlich der Einhaltung des Auftrags. Hier sieht Kühling jedoch Defizite und regte die Möglichkeit eines externen Gremiums, gegebenenfalls unter Einbeziehung von Wettbewerbern, an. 

Anstatt die Unterhaltungsangebote auf ihr tatsächliches öffentlich-rechtliches Profil zu durchforsten und sich von dem einen oder anderen Format zu trennen, um Beitragsmittel für die notwendige digitale Transformation zu gewinnen, erweckt die ARD-Vorsitzende den Eindruck, die Politik wolle »Unterhaltung« aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbannen. Sicher ist es medienpolitisch nicht zu erwarten, dass die ARD »die Kraft aufbringt, an die Struktur ranzugehen«, wie der bayerische Ministerpräsident es sich wünscht – was von Patricia Schlesinger auch gleich zurückgewiesen worden ist. Hier hat die Politik eine Bringschuld. Aber Prioritäten zu setzen – und dazu gehört nicht die Unterhaltung – muss doch möglich sein. Die Anstalten, aber auch gesellschaftliche Institutionen und die Filmwirtschaft müssen mehr als bisher über die Qualität des Angebotes diskutieren und sich über Prämissen verständigen. Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – auch bei Jugendlichen – das beweisen aktuelle Daten, hängt in erster Linie von seiner Informationskompetenz und Gesamtqualität des Programms ab. Mit »Unterhaltung« Jugendliche und andere Zuschauer ködern zu wollen, ist ein kurzsichtiger Weg. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2022.