Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist auch ein Krieg um die Wahrheit. Desinformationen, gefälschte Bilder und Dokumente, Manipulation von News sind seit Jahrhunderten Bestandteil von Kriegen. Carl von Clausewitz hat in seinem militärischen Grundlagenwerk »Vom Kriege« bereits 1824 ein kleines Kapitel den Nachrichten im Krieg gewidmet. Doch Smartphones, Bildbearbeitungssoftware und soziale Netzwerke haben den Propagandakrieg und seine Auswirkungen entscheidend verändert. Seit der Besetzung der Krim, den Kriegen im Irak und Syrien finden militärische Konflikte, Krisen und Kriege auch in den sozialen Medien statt, sind uns Videos von Kampfhandlungen oder Drohnenaufnahmen von Panzerabschüssen auch in der friedlichen Heimat geläufig. In den sozialen Netzwerken hat der Krieg sein mediales Äquivalent gefunden. Hunderte Videos zeigen z. B. mit Smartphones und Videokameras ausgestattete ukrainische Soldaten. Sie filmen Hinterhalte, Gefechtsfelder und erbeutete Fahrzeuge, aber auch die Auswirkungen von Kampfhandlungen, tote und verwundete Russen sowie ukrainische Zivilisten. Über Social-­Media-Plattformen wie TikTok und Telegram werden sie in alle Welt verschickt. TikTok verzeichnet in der Ukraine ein rasantes Wachstum und hatte Anfang März 10,55 Millionen Nutzerinnen und Nutzer, in Russland gar 36 Millionen.

»Jeder Krieg ist nicht nur ein Kampf um Territorien, um Ideologien, Machtansprüche und Deutungshoheiten, sondern immer auch ein Krieg um und mit Informationen. Grundsätzlich muss also jede Verlautbarung, jede Meldung an die Öffentlichkeit kritisch hinterfragt werden«, stellt dazu der Medienhistoriker Markus Krajewski von der Universität Basel gegenüber der NZZ fest. »Durch die Smartphones hat sich nicht nur eine Allgegenwart von Augenzeugenschaft und ihrer Dokumentation durch Bilder und Videodokumente ergeben. Der große Unterschied zur klassischen Kriegsberichterstattung liegt vielmehr in der ungefilterten Möglichkeit zur Übertragung in Echtzeit. Jeder, der sein Smartphone über die Fensterbrüstung hält, um den Einmarsch der Invasoren zu zeigen, wird so zu einem Kriegsreporter, der diese Bilder sofort, ohne Zensur einer Öffentlichkeit zuspielen kann. Das Kriegsgeschehen erhält durch diesen stetigen Bilderstrom einen neuen Wahrheitswert, es gewinnt an Authentizität«, so der Wissenschaftler. Doch inwieweit kann man dieser Bilderflut trauen? Wie »authentisch« ist sie?

»Viele Bilder und Videos lassen sich verifizieren – andere wirken zweifelhaft. Auf den ersten Blick ist oftmals nicht sofort erkennbar, ob das Material tatsächlich zeigt, was es vorgibt zu zeigen. Die meisten Bilder und Videos lassen sich verifizieren – durch sogenannte OSINT-Recherchen. Dabei werden der Aufnahmeort identifiziert und die Aufnahmen mit anderen Bildern verglichen. So konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass bereits vor dem Befehl von Wladimir Putin zum Angriff spezielle Minenräumsysteme in der Ukraine unterwegs waren«, stellt dazu Patrick Gensing von der ARD-Faktenfinder-Redaktion fest.

Es existieren inzwischen viele Fake News über den Ukraine-Krieg, die über soziale Netzwerke millionenfach geteilt wurden. So zeigte ein Video auf Twitter Kampfflugzeuge, die angeblich über ein Wohngebiet in der Ukraine flogen. In Wirklichkeit stammen sie von einer Flugshow bei Moskau im Jahr 2020. Ein Video über russische Fallschirmspringer aus dem Jahr 2016 beim Training wurde auf vielen Kanälen verbreitet und als aktuell ausgegeben. Auch Kriegsszenen, die aus Videospielen wie »Arma 3« oder »DCS World« stammen, wurden in den sozialen Kanälen als Kampfhandlungen aus der Ukra­ine bezeichnet.

Bewertung mit Sachverstand und Kenntnis vor Ort

Die sozialen Netzwerke vermitteln ein vielfältiges, oft aber auch ein von beiden Kriegsparteien interessengeleitetes Bild dieses ungleichen Kampfes um die Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine. Deshalb ist es wichtig, dass die klassischen Medien mit eigenen Korrespondenten und Experten das Kriegsgeschehen und die Auswirkung schildern und bewerten. Seit dem 24. Februar befinden sich die aktuellen Redaktionen in einem Ausnahmezustand. An diesem Tag rückten um vier Uhr morgens russische Militärfahrzeuge von Norden, Osten und Süden auf ukrainisches Staatsgebiet vor. Von dieser Stunde an informieren Tageszeitungen, Hörfunk- und TV-Sender sowohl über die klassischen Verbreitungswege als auch auf ihrer Webseite und in sozialen Netzwerken nahezu rund um die Uhr aktuell und ausführlich über diesen Überfall durch Russland.

Eine wichtige Rolle bei der Information über den Krieg, die politischen, wirtschaftlichen, finanziellen und kulturellen Auswirkungen, die Einordnung in unseren gesellschaftlichen Wertekanon kommt dabei den überregionalen Tages- und Wochenzeitungen zu. So berichtete die FAZ beispielsweise am 17. März in 32 längeren oder sogar seitenlangen Beiträgen über die aktuelle Situation in der Ukraine, die Position der russischen Regierung, die internationale Reaktion und die Auswirkungen dieses Krieges auf deutsche Politik, Wirtschaft und Medien. Dabei kann sich die Zeitung auf ein weltweites Korrespondentennetz stützen und auch auf Berichterstatter in der Ukraine und bisher auch in Moskau. Diese Journalisten verifizieren und analysieren die Informationen mit Sachverstand und der Kenntnis vor Ort. Dazu stellt Berthold Kohler, Herausgeber der FAZ, fest: »Um eine sachlich richtige Berichterstattung über den Ukraine-Krieg sicher zu stellen, arbeiten wir nicht anders als sonst auch: mit größtmöglicher Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit beim Recherchieren, Schreiben und Redigieren. Wir bauen vor allem auf unser eigenes dichtes Korrespondentennetz mit sehr erfahrenen Kollegen in Mittelost- und Osteuropa, bedienen uns zusätzlich aber auch freier Journalisten, die für uns aus der Ukraine schreiben. Zudem haben wir Reporter aus der Frankfurter Zentrale bzw. aus unserem Berliner Büro in die Ukraine geschickt.« In der ersten Woche hatte die FAZ doppelt so viele Visits auf faz.net wie vor Ausbruch des Krieges. Gegenwärtig seien die Zugriffszahlen um ein Drittel bis um die Hälfte höher. Es würden täglich immer noch doppelt so viele F+-Abonnements abgeschlossen wie zuvor.

Wahrheitsgetreu, aber nicht neutral über den Krieg in der Ukraine berichten

Er wolle wahrheitsgetreu, aber nicht neutral über den Krieg in der Ukraine berichten, erklärt der stellvertretende Bild-Chefredakteur Paul Ronzheimer, der zurzeit in Kiew ist, gegenüber dem Deutschlandradio. Er plane, weiterhin in der Ukraine zu bleiben. Es habe sich in den vergangenen Tagen als »absolut richtig« erwiesen, vor Ort zu sein, sagt Ronzheimer. »Ich würde mir für die Ukraine wünschen, dass noch mehr deutsche Reporter hier sind. Es gibt so viele amerikanische Journalisten hier, englische Journalisten, französische Journalisten. Also es ist möglich, von hier zu arbeiten. Am Ende sind Journalisten auch menschliche Schutzschilde. Solange berichtet wird und die Wahrheit gezeigt wird, gibt’s eine Möglichkeit, dass der Krieg zumindest weniger brutal und grausam geführt wird, obwohl wir natürlich sehen, wie grausam er bereits ist.«

Auch die ARD, das ZDF sowie die privaten Sender berichten mit eigenen Korrespondenten vor Ort und gehen mit allen Informations- und Bildquellen sehr kritisch um.

So berichtet für das ZDF das in Kriegs- und Krisenberichterstattung sehr erfahrene Team um Reporterin Katrin Eigendorf aus der Ukraine. In der West-Ukraine, in Lwiw/Lemberg, ist ein Team im Einsatz. Darüber hinaus sind freie Journalisten in der Ukraine unterwegs. Schon seit den ersten russischen Angriffen auf die Ukraine haben verschiedene ARD-Korrespondenten aus der Ukraine über aktuelle Entwicklungen und Hintergründe berichtet. Gleichzeitig geben ukrainische Kolleginnen und Kollegen Unterstützung. Anfang März hat die ARD ihre Präsenz in der Ukraine weiter verstärkt. Seitdem sind gleichzeitig drei Korrespondenten im Land.

Auch die RTL-Gruppe, inklusive n-tv, war Mitte März mit drei Reportern in der Ukraine vor Ort: in Lemberg, Odessa und Iwano-Frankiwsk. Eine wahrheitsgemäße Berichterstattung aus Russland über den Ukraine-Krieg wurde unlängst unter Strafe gestellt, sodass einige deutsche Reporter das Land verlassen haben und aus Nachbarländern berichten.

Die Präsenz in dem umkämpften Land, so notwendig sie für eine glaubwürdige Information ist, ist nicht ungefährlich. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind nach Angaben aus Kiew mindestens fünf Berichterstatter getötet und mehr als 30 verletzt worden.

Der Ukraine-Krieg ist seit Wochen Schwerpunktthema von Nachrichten- und Sondersendungen

Der Krieg gegen die Ukraine ist seit nahezu vier Wochen Schwerpunktthema der Nachrichten- und Magazinsendungen sowie täglicher Sondersendungen der TV-Sender. Die höchste informierende Tagesreichweite verzeichnet gegenwärtig das Fernsehen, gefolgt von Internet und Radio. Das Informationsbedürfnis über die russische Invasion ist auch in den jüngeren Altersgruppen so hoch. So machten in der Spitze 1,83 Millionen 14- bis 49-jährige Zuschauer den »Brennpunkt« im Ersten zur meistgesehenen Sendung des Tages. Das Erste hat neben »Brennpunkten« und Extra-Ausgaben der Nachrichten- und Sondersendungen auch am Sonntag das ARD-Morgenmagazin in das Programm genommen. Ein umfassendes Nachrichtenangebot finden die User auch auf tagesschau.de und in der tagesschau-App sowie auf den Social-Media-Kanälen der Tagesschau. In der ARD-Mediathek sind gebündelt Aktuelles und Hintergründe zum Ukraine-Krieg abrufbar. Die gestiegene Informationsnachfrage führt nach Angaben der Pressestelle des Ersten zu einer verstärkten Nutzung der ARD-Angebote im Ersten. Sowohl die Nachrichtenformate, Hintergrundsendungen als auch die Gesprächssendungen, wie z. B. »Anne Will«, seien im Sendervergleich die meistgesehenen im deutschen Fernsehen. Beim linearen Angebot der Tagesschau hat sich der Tages-Marktanteil im Vergleich zu den Monaten vor Beginn des Krieges verdoppelt, die Zugriffe auf den tagesschau24-Live-­Stream bei tagesschau.de, in der tagesschau-App und der ARD Mediathek haben sich in der Spitze jeweils mehr als verzehnfacht.

Auf die Frage, wie trotz der schwierigen Nachrichtenlage, eine sachliche und auf Fakten beruhende Berichterstattung gewährleistet wird, lautet die Antwort: »Bei der Tagesschau gilt immer und in der derzeitigen Situation einmal mehr: Zwei-Quellen-Prinzip, Faktencheck, Plausibilitätsprüfung, mehrstufiges Verifikationsverfahren von User-Generated-Content, Sorgfalt vor Schnelligkeit, Vier- bis Acht-Augen-Prinzip in der Abnahme. Wenn Informationen nicht gesichert sind, wird dies transparent gemacht. Bildmaterial der russischen oder ukrainischen Armee werde als solches gekennzeichnet.«

Nicht gesicherte Informationen transparent machen

Beim ZDF wurde in verlängerten Ausgaben des ZDF-Morgenmagazin, von »heute« und »heute journal« vor allem im »heute spezial«- und in über ein Dutzend »ZDF spezial«-Sendungen ausführlich berichtet, die meist um 12:15, 17:15 und 19:30 Uhr dem hohen Informationsbedürfnis der Zuschauerinnen und Zuschauer Rechnung trugen. Und auch die Gesprächssendungen wie »Was nun, Frau Baerbock?«, »Maybrit Illner Spezial« oder »Markus Lanz« auf zeitlich vorgezogenem Sendeplatz und mit verlängerter Sendedauer wurden von den Zuschauerinnen und Zuschauern sehr nachgefragt. Auch beim ZDF waren die Nachrichtensendungen stärker eingeschaltet als in den Tagen zuvor – die »heute«-Ausgabe um 19:00 Uhr verzeichnete im Schnitt 18,8 Prozent Marktanteil, d. h. 4,72 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Die »ZDF spezial«-Ausgaben erreichten Marktanteile zwischen 13 und 17 Prozent. Die Rubrik Nachrichten in der ZDF-Mediathek hat ihre Visits im Zeitraum ab dem 24. Februar 2022 um plus 140 Prozent gesteigert. Live-Sendungen direkt vom Ort des Kriegsgeschehens in der Ukraine hält der neue Intendant Norbert Himmler nicht für die beste Wahl, wie er gegenüber dpa sagte: »Analysen und Einordnungen macht man besser mit kühlem Kopf aus Mainz oder Berlin. Es hat schon gute Gründe, dass es Nachrichtensendungen und Magazine gibt, die sich Zeit nehmen, um Ereignisse einzuordnen und für das Publikum aufzubereiten.« Es sei wichtig, dass Aufnahmen aus dem Netz, deren Herkunft unklar ist, eingeordnet werden, dass die Moderatoren sagen, wenn nicht sicher ist, wie und zu welcher Zeit diese Bilder entstanden seien, so Himmler.

RTL und n-tv haben zwischen dem 24. Februar und 2. März in über 80 Stunden Sondersendungen und zudem rund um die Uhr auf den digitalen Angeboten aktuell und journalistisch unabhängig über die dramatische Lage in der Ukraine informiert – damit wurden allein im TV 31,19 Millionen verschiedene Zuschauerinnen und Zuschauer ab drei Jahren erreicht. Auch digital sind seriöse und glaubhafte Informationen sehr gefragt. So ist beispielsweise ntv.de seit dem 24. Februar mit bis zu 25,56 Millionen Visits (IVW) täglich das meistgenutzte digitale Nachrichtenangebot Deutschlands – noch vor BILD.

Laut den Expertinnen und Experten läge der Anteil der Desinformationen bei rund 25 Prozent. Wolf-Ulrich Schüler, Chefredakteur Vertical RTL News: »Die Arbeit des Teams Verifizierung ist essenziell für unsere Ukraine-Berichterstattung. Ein Krieg wurde schon immer und wird auch jetzt mit Bildern und Informationen ausgetragen. Deshalb ist die Pflicht von Journalisten, nicht nur herauszufinden, was ist – sondern auch, was nicht ist. Mit der Arbeit unseres Teams rund um die Uhr sichern wir die Stärke und Vertrauenswürdigkeit unserer Marken. Wir spüren, dass diese Zuverlässigkeit den Zuschauerinnen und Zuschauern, aber auch unserem Publikum im Netz sehr wichtig ist.«

Auch ProSiebenSat.1 berichtet umfangreich über den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die Sondersendung »Ukraine Spezial« lief mehrmals um 20:15 Uhr auf ProSieben und in SAT.1. Das SAT.1-Frühstücksfernsehen wurde um eine Stunde bis 11:00 Uhr verlängert. Darüber hinaus informieren ProSieben und SAT.1 in täglichen Newsflashs sowie in ihren Magazinen wie taff, Galileo und akte. die Zuschauer über das Geschehen in der Ukraine. Dabei verzeichnet die Sendergruppe, nach eigenen Angaben, ebenfalls ein großes Interesse der Zuschauer an dem stark ausgebauten News-Angebot. Für die Journalisten der Sendergruppe gehe Genauigkeit vor Geschwindigkeit: Dabei setze man auch in Unterföhring auf die journalistischen Grundregeln. »Und da in diesem Krieg sehr gezielt mit manipulierten Bildern gearbeitet wird, ist die präzise Überprüfung der jeweiligen Nachrichtenquelle elementar wichtig«, so ein Pressesprecher der Gruppe gegenüber medienpolitik.net.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2022.