Lesen gilt immer noch als eine der zentralen Schlüsselkompetenzen – auch in der heutigen digitalen Welt. Doch immer mehr Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche, verlieren das Interesse am Lesen oder finden keinen Zugang zu geeignetem Lesestoff. In einem Alltag, der von Games, Social Media und Streaming-Diensten geprägt ist, wird das Buch oft als stilles und langsames Medium wahrgenommen – und Lesen wird nicht selten zur Pflicht statt zur Entdeckungsreise. Die Verlagsmanagerin Julia Claren weiß, worauf es bei einer zukunftsorientierten Leseförderung ankommt. »Herkömmliche Leseförderprogramme basieren meist auf Bücherlisten, Bibliotheksbesuchen und analogen Materialien. Diese Angebote sind wichtig, gehen aber oft an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen vorbei. In vielen Familien fehlt zudem ein gelebtes Lesevorbild, und in der Schule wird Lesen oft als Pflicht und nicht als Erlebnis vermittelt. Damit Lesen zu einer echten Leidenschaft werden kann, braucht es neue Formate, die die digitale Affinität junger Menschen mit literarischer Neugier verbinden, ohne den Kern des Lesens zu verlieren«, so Claren.

Genau hier setzt sie als Mitgründerin von Snackz.ai an: einer innovativen Plattform, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz das Entdecken von Büchern revolutioniert und das Leseverhalten gezielt fördert. Wie funktioniert diese Technologie – und was bedeutet sie für die Zukunft der Leseförderung?

»Leseförderung steht heute in direkter Konkurrenz zur digitalen Dauerverfügbarkeit. Bereits 21 Prozent der 6- bis 9-Jährigen in Deutschland besitzen ein eigenes Smartphone – bei den 13- bis 15-Jährigen sind es sogar 95 Prozent. Kinder wachsen mit Bildschirmen auf, Bücher wirken in dieser digital geprägten Umgebung schnell wie Relikte aus einer anderen Zeit. Mehr als drei Stunden verbringen Jugendliche täglich im Internet – Zeit, die für das Lesen klassischer Bücher oft nicht mehr zur Verfügung steht. Hinzu kommt: Kurze, schnell konsumierbare Inhalte dominieren das Medienverhalten. Längere Texte verlieren dadurch an Attraktivität, die Fähigkeit zum konzentrierten Lesen nimmt spürbar ab«, erläutert Claren.

Snackz.ai ist ein Beispiel dafür, wie digitale Technologien sinnvoll eingesetzt werden können, um Leseförderung neu zu denken. Die Plattform nutzt künstliche Intelligenz, um Leserinnen und Lesern individuelle Buchempfehlungen zu geben – altersgerecht, thematisch relevant und sprachlich barrierefrei. »Die Vision von Snackz ist es, eine neue Qualität der Buchsuche zu schaffen: durch KI-gestützte Dialoge in natürlicher Sprache, die es Lesern ermöglichen, nach Büchern zu fragen, ohne bestimmte Titel oder Autoren nennen zu müssen. Stattdessen führt die Beschreibung der eigenen Interessen oder Stimmungen zu einer begleitenden Konversation, die individuell passende Empfehlungen liefert – ein niedrigschwelliger Zugang, der gerade bei ungeübten Leserinnen und Lesern Frustrationen vermeidet und das Gefühl vermittelt, wirklich verstanden zu werden«.

Die technologische Basis von Snackz.ai bilden Methoden des Natural Language Processing (NLP), individuelle Nutzerprofile und lernende Empfehlungsalgorithmen. So entsteht ein individuell zugeschnittener Zugang zur Literatur – motivierend statt zufällig. Künstliche Intelligenz kann Barrieren abbauen, die Lesemotivation stärken und mit spielerischen Elementen wie Challenges oder personalisierten Lesereisen neue Anreize setzen. Wichtig ist dabei die Einbettung in pädagogische Konzepte und die aktive Einbindung von Lehrkräften und Eltern.

Der Einsatz von KI bringt auch Herausforderungen mit sich: Datenschutz, Transparenz und ethische Leitlinien sind unerlässlich. Bildung braucht klare Regeln und geschützte Räume – keine unkontrollierten Experimente.

Auch die Buchbranche muss sich anpassen: durch maschinenlesbare Metadaten, interaktive Formate und mehr Sichtbarkeit für kleinere Verlage. So wird literarische Vielfalt auch digital erlebbar. KI kann helfen, Literaturvielfalt sichtbar zu machen – jenseits von Bestsellerlisten.

Wenn Kinder früh über digitale Wege Zugang zu Literatur finden, entsteht eine neue Lesegeneration. Lesen wird individueller, vernetzter und interaktiver – technikaffin, aber gleichzeitig sprachlich sensibilisiert. Digitale Formate ergänzen das klassische Buch, ohne es zu ersetzen. Die Kraft der Sprache bleibt im Mittelpunkt, auch in einer zunehmend technisierten Welt. »Technologie ist nicht der Feind des Lesens, sie kann der Schlüssel zu neuen Zugängen sein«, fasst Claren zusammen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2025.