Aus dem Kunstmarkt, von Galerien und Kunsthändlern, kamen bisher keine Klagen, dass die Entwicklungen zur Künstlichen Intelligenz ihr Geschäftsmodell beeinträchtigt. Sie stimmen weder in das Lamento von Dystopie und kultureller Erosion ein noch in die Hymnen auf Effizienzsteigerung und kreativen Mehrwert durch GenAI. Technikaffine Galeristen und jene, die zeitgenössische Medienkunst vertreten, beobachten natürlich genau, was sich entwickelt, ob und wie ihre Künstler mit den neuen Tools arbeiten. Für Galerien ist auch wichtig, dass die Rechte der Künstler gewahrt werden, und so hat sich der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) unter anderem in der Studie der Stiftung Kunstfonds »KI und bildende Kunst« positiv zu den Aktivitäten der Initiative Urheberrecht geäußert.
Galerien sind nicht von Urheberrechtsfragen rund um KI betroffen. Sie haben keine Rechte an den Werken jener Künstler, die sie (mitunter über Jahrzehnte) vertreten und deren Karrieren sie befördern. Sie haben auch keine Leistungsschutzrechte an den Ausstellungen, die sie organisieren, und sie verkaufen keine Lizenzen. Weil es die aus der Rechteverwertung stammenden Einnahmequellen im Vergleich zu anderen Sparten der Kulturwirtschaft – die nun durch KI-Anwendungen ins Wanken geraten – im Kunstmarkt nicht gibt, sind Galerien von der neuen Technologie eher nicht bedroht.
Möglicherweise wird es einen populären Markt für KI-genierte Kunstwerke geben. Hyperstilisierte Fantasyfiguren, romantisches Allerlei, ein bisschen Pathos, mal neogothic, mal surreal umflort: Derlei findet sich in einer Galerie mit dem sprechenden Namen »Dead End«, die mitsamt den Werken auch die »Künstler« mittels KI generiert. Ihnen wird Anerkennung im etablierten Kunstmarkt versperrt bleiben, erst recht in den Museen.
Auch Kunstmarktakteure werden künftig effiziente Anwendungen für zeitraubende Routinen wie Buchhaltung, Verwaltung und Datenbankpflege nutzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass Anbieter spezifischer Galerien-Software ihre Kunstmanagementsysteme mit KI-Funktionen anreichern. Etwa für die Organisation von Ausstellungen, die zu den zentralen Aktivitäten einer Galerie zählen.
Das gesamte praktische Art-Handling nimmt im Kunstmarkt viel Zeit in Anspruch, ebenso wie Dokumentation und Archivierung. Hinzu kommen gesetzliche Aufzeichnungspflichten, die eine überbordende Bürokratie auch dem Kunstmarkt abverlangt. Vielleicht sind KI-Anwendungen als nützliche Assistenten in all diesen Bereichen, vielleicht mit Schnittstellen zu smarten Künstlerateliers, alles andere als Zukunftsmusik?
Ein bisher in der Debatte kaum berücksichtigter Aspekt betrifft die möglichen Einnahmeverluste der Künstlersozialkasse. Studien prognostizieren über ein Viertel an Auftragsrückgängen in der Kulturwirtschaft. Wenn Unternehmen ihre externe Kommunikation inhouse mit KI erledigen und Aufträge an Mediengestalter minimieren, wenn qualifizierte Übersetzer durch Babelfish ausgebootet und Schauspieler durch ihre KI-Double in der Filmproduktion ersetzt werden – dann brechen nicht nur die Honorare der Kulturschaffenden ein, sondern auch die an ebendiesen Entgelten bemessenen Künstlersozialabgaben der Vermarkter.
Bei den großen internationalen Auktionshäusern kommen Client Management-Systeme zum Einsatz, deren Algorithmen noch während des Verweilens eines Website-Besuchers dessen individuelles Profil erstellen und die Website gezielt seinen Interessen anpassen. Sodann werden – mit KI versteht sich – personalisierte Mailings mit Angeboten erstellt: zu Pop Art und Alten Meistern, für asiatische Keramik und Bibliophiles, zu Vintage-Handtaschen und Schmuck. Von derlei interaktiven Websites sind die Galerien weit entfernt. Sie verfügen im Vergleich zu Auktionshäusern nur über einen Bruchteil an Daten zu Kunden und Kunstwerken, denn sie arbeiten in der Regel programmatisch mit ausgewählten Künstlern und nicht mit einem »Sortiment« an Kultur- und Luxusgütern aller Art.
Schon bei der Digitalisierung hatten die Auktionshäuser (mit Online-Auktionen) die Nase vorn. Heute arbeiten sie bereits intensiv mit Bilderkennungstools und KI-generierten Texten, um Objektbeschreibungen für Kataloge zu erstellen. Ein wichtiges Arbeitsmittel des klassischen Kunstmarktes sind Werkverzeichnisse, die jedoch oft längst vergriffen sind. Während über bekannte Künstler jede Menge Informationen im Netz stehen und über Prompts geliefert werden können, schaut der User bei weniger bekannten Künstlern in die Sprachröhre. Ein Kunstwerk zu beschreiben, historisch einzuordnen, zu interpretieren und zu bewerten, ist ohnehin eine Kunst für sich. Texte müssen gut zu lesen, technische Angaben korrekt sein. KI-generierte Texte mögen als erstes Gerüst hilfreich sein, erfordern aber bis auf Weiteres nachträgliche Überarbeitung, analoge Recherche und jede Menge Expertise.
Wenn ein Angebot erstellt, eine Pressemitteilung geschrieben, ein Künstlerdossier verschickt werden muss, nutzen auch Galerien, vor allem die jüngeren, die bereits existierenden Tools. Über einen jungen Künstler, eben in einer Akademie entdeckt und ein unbeschriebenes Blatt, wird der Webcrawler außer ein paar biografischen Daten nichts finden. Dasselbe gilt für ältere Künstler, die im Markt bzw. in der Öffentlichkeit kaum oder nicht präsent sind.
Für die Provenienzrecherche, die vor dem Horizont der NS-Raubkunst für Museen ebenso wie für den Kunsthandel ein Thema ist, könnte KI eine Hilfe sein. Seit 2019 entwickelt die Universität Innsbruck mit »Transkribus« ein Tool zur Transkription historischer Handschriften. Eine ähnliche Bearbeitung der Korrespondenz, von Karteikarten oder Inventarlisten historischer Kunsthandlungen zum Zweck der Identifikation ehemaliger jüdischer Eigentümer von Kunstwerken, wäre für die Provenienzforschung ein Segen.
Bleibt zu hoffen, dass der klassische Kunsthandel den effektiven Einsatz solcher Tools noch erlebt. Denn er hat in den letzten Jahren durch gesetzliche Überregulierung einen heftigen Exitus erlitten, und fast alle Messen für historische Kunst und Antiquitäten in Deutschland haben aufgegeben.