Sie haben an der Hochschule für Musik Nürnberg eine Juniorprofessur für den Bereich Musikalische Bildung und Künstliche Intelligenz inne. Mit welchen Zielen wurde der Lehrstuhl eingerichtet?

Allgemein zielt die Juniorprofessur darauf ab, zu untersuchen, wie sich der Lehr-Lern-Prozess im digitalen Zeitalter weiterentwickeln könnte. Dabei sollen neue Formate für die musikalische Bildung konzipiert sowie traditionelle Methoden durch digitale Werkzeuge unterstützt werden. Aus meiner Sicht spielt KI eine immer wichtigere Rolle in der Gesellschaft, und ich finde es notwendig, nicht nur Fortschritte im technischen Bereich zu unterstützen (wie z. B. die Entwicklung von eXplainable AI), sondern auch die digitale Kompetenz und Souveränität bei Lehrenden und Lernenden zu fördern. Daneben ist mein zukünftiges Ziel, auch zu untersuchen, inwieweit Spitzen- und kontroverse Technologien wie erweiterte Realität oder soziale Roboter eine Rolle in der Zukunft des Lernens spielen werden, indem der Einsatz solcher Technologien in realen Kontexten implementiert und evaluiert wird.

 

In welchen Arbeitsfeldern der musikalischen Bildung kann Künstliche Intelligenz nutzbringend angewendet werden? Wie konkret könnte KI den Instrumental-/Gesangsunterricht z. B. an den Musikschulen verändern bzw. bereichern?

Prinzipiell könnte jedes Arbeitsfeld von KI profitieren, wenn die Anwendung sinnvoll entwickelt ist. Allerdings liegt die Schwierigkeit genau darin, eine solche Anwendung zu entwickeln: Heutzutage werden die KI-basierten Programme in der Bildung meist von Informatikern und nicht von Pädagogen konzipiert, was zu Technozentrismus führt und erklärt, warum sie oft nicht ganz sinnvoll in einer echten Umgebung sind. Aus meiner Sicht muss KI nicht unbedingt das Musiklernen revolutionieren oder grundlegend verändern, sondern könnte es auch einfach fördern. Ich sehe großes Potenzial in KI als personalisiertes »Coaching« während des Selbstlernens, das den Lernenden unterstützt, motiviert hält und rund um die Uhr zur Verfügung steht. Damit würde ein KI-Tool den Lehr-Lern-Prozess verbessern. Einerseits würde das Tool den Schülern helfen, wenn sie zu Hause alleine üben, durch Erklärungen und Korrekturen; gleichzeitig könnte der Lehrer Zugang zu solchen Übungsergebnissen haben, um die Entwicklung der Schüler zu verfolgen. Mit einer solchen Anwendung würde die KI ein Assistent des Lehrers sein. Das ist jedoch nicht das, was autodidaktische KI-Tools oft zu bieten scheinen, als deren Ziel interpretiert werden könnte, den Lehrer zu ersetzen, was weder sinnvoll noch realistisch ist, aber die skeptische Einstellung erklärt, welche viele Pädagogen zur Technologie haben.

 

Wo liegen Risiken bei der Anwendung? Wo sind die Grenzen der KI in der musikalischen Bildung?

Eine natürliche Grenze ist der Zugang zu Ressourcen. Nicht jeder hat Zugang zu bestimmten Softwares, und die öffentliche Forschung zu freien Tools im Bildungsbereich ist oft minimal im Vergleich zum Angebot privater Unternehmen. Als großes Risiko sehe ich Aspekte, die mit dem Datenschutz verbunden sind: Der Zugang der Lehrer zu Schülerübungsdaten ist sinnvoll, aber dafür müssen diese Daten online sein, womit Datenschutzrisiken verbunden sind. Andererseits besteht das Risiko des algorithmischen Bias, zum Beispiel im Zusammenhang mit Empfehlungssystemen, bei denen ein Algorithmus bestimmte musikalische Stile priorisiert, abhängig von den Daten, mit denen er trainiert wurde. Schließlich ist das Risiko, von der Technologie abhängig zu werden, nicht zu unterschätzen. Genau wie ein Kind, das nicht rechnen lernt, weil es immer den Taschenrechner benutzt, besteht das Risiko, dass Schüler die KI missbrauchen und als Lösungsweg nutzen, anstatt zur Korrektur.

 

Was lernen die Studierenden in diesem Fach? Welche Tools und Möglichkeiten vermitteln Sie am Lehrstuhl?

In diesem Fach lernen Studierende viele unterschiedliche Aspekte kennen, sowohl methodische, also wie solche Technologien im Lehr-Lern-Prozess sinnvoll und erfolgreich integriert werden können, als auch technische, d. h. die Grundlagen, auf denen solche Technologien basieren. Nur dadurch kann man die Grenzen verstehen und realistische Anwendungen konzipieren. Zum Beispiel unterrichte ich ein Projekt in »digital-gestützter Musikpädagogik«, in dem wir bestimmte Themen bearbeiten, welche am Ende des Semesters mit einer Gruppe von Kindern im Schulalter in die Praxis umgesetzt werden. Im vergangenen Semester sind wir der Frage nachgegangen, wie die KI-Kompetenz im Musikunterricht durch audiovisuelle Ko-Kreativität und digitales Storytelling gefördert werden kann. Dadurch haben wir untersucht, wie generative Werkzeuge zur Unterstützung ko-kreativer Interaktionen zwischen Kind und KI eingesetzt werden können und auf diese Weise nicht nur digitale, sondern auch musikalische Fähigkeiten und Kenntnisse erworben werden.

 

Wie wird das von den Studierenden angenommen?

Manche sind sehr interessiert (typischerweise technikaffine Studierende), andere jedoch nicht. Die Gründe für Desinteresse oder negative Reaktionen sind ebenfalls vielfältig, von Studierenden, die überhaupt nicht an technischen Bereichen interessiert sind (was vollkommen legitim ist), bis hin zu aus meiner Sicht nicht ganz vollständig begründeten Annahmen, welche die Studierenden einschränken: Ich habe mehrmals Sätze gehört wie »Ich bin aber nicht für solche technischen Bereiche geeignet, da Mathe nicht mein Ding ist« oder »Um solche Technik zu verstehen, muss man sehr intelligent sein, ich bin aber nur gut darin, mein Instrument zu spielen«. Solche Annahmen oder Glaubenssätze, die Kunst und Geisteswissenschaften als inkompatibel mit Technik und Naturwissenschaften betrachten, sind tief in unserer Gesellschaft verankert, ebenso wie andere geschlechtsbezogene Stereotypen, die oft weibliche Studierende von technischen Bereichen fernhalten.

 

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Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2024.