Analoge Spiele gehören in den Sammlungskatalog der Deutschen Nationalbibliothek – dafür macht sich seit Jahren die Spiele-Autoren-Zunft als Vertreterin der Urheberinnen und Urheber analoger Spiele gemeinsam mit dem Deutschen Kulturrat stark. Nun findet sich diese Forderung im Koalitionsvertrag. Doch was bedeutet das und wie geht es weiter? Theresa Brüheim fragt bei Christian Beiersdorf nach. 

Theresa Brüheim: Die Forderung, analoge Spiele in den Sammlungskatalog der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) aufzunehmen, findet sich endlich im Koalitionsvertrag. Ein ganzer Erfolg oder doch nur ein halber? 

Christian Beiersdorf: Ein Dreiviertelerfolg! Dass diese Forderung im Koalitionsvertrag steht, zeigt den offenbar ernsthaften Willen der Regierung, das auch umzusetzen – wobei für die Umsetzung selbst noch ein paar dicke Bretter zu bohren sind. Denn es gibt diverse Widerstände, auch bei der DNB, angesichts beschränkter Mittel und möglicherweise auch Kürzungen, die zumindest im Rahmen der Haushaltsdebatte im Raum stehen. Es hat aber auch mit der inhaltlichen Bewertung von Spielen zu tun. In den Sammelrichtlinien der DNB werden Spiele unter dem Kapitel »Akzidenzen, die lediglich dem privaten, häuslichen oder geselligen Leben dienen« subsumiert. Fernab der kulturellen Realität ist das eine Abwertung dessen, was Spiele im gesellschaftlichen Leben bedeuten – auch angesichts ihrer jahrtausendealten Tradition. 

Die Forderung zur Aufnahme analoger Spiele durch die DNB besteht schon viele Jahre. Wird dem Spiel als Bildungsmedium zu wenig Bedeutung beigemessen? Oder weshalb ließ die Aufnahme der Forderung durch die Regierung so lange auf sich warten? 

Das mit der geringen Beimessung stimmt mit Sicherheit. Zugleich sind alle Player in dieser Branche auch gefordert, die gesellschaftliche Bedeutung analoger Spiele mehr und stärker zu unterstreichen. Ich blicke manchmal etwas neidisch auf die Games-Branche, also zu den digitalen Spielen, die eine sehr intensive Lobbyarbeit betreibt, die ich bei den Spieleverlagen etwas vermisse. Wir müssen uns gemeinsam eindeutiger und klarer ebenfalls als kulturelle Medienschaffende positionieren. 

Was gilt es jetzt zu tun, damit die Forderung aus dem Koalitionsvertrag auch wirklich umgesetzt wird? Gesetzestechnisch und praktisch? 

Im November gibt es einen Termin bei der Nationalbibliothek. Es wird eine Arbeitssitzung sein, bei der die Daten im Vordergrund stehen: Welche Daten müssen aufgenommen werden? Wie erfolgt das praktisch? Wie können bestehende Einrichtungen wie das Deutsche Spielearchiv in Nürnberg eingebunden bzw. deren Expertise genutzt werden? Für die Umsetzung selbst müssten auch die entsprechenden Regelungen in den Sammelrichtlinien und in der Pflichtabgabeverordnung geändert bzw. gestrichen werden. Im Moment stehen Spiele in einem Ausnahmekatalog, der festhält, was nicht gesammelt wird. Diese Ausnahme muss gestrichen werden. Stattdessen müssen Spiele in die Pflichtabgabeverordnung und in den Sammlungskatalog der DNB aufgenommen werden. Die Einbindung des Deutschen Spielearchivs in Nürnberg als Außen-stelle der DNB, erscheint uns als die intelligenteste und auch kostensparendste Lösung. Dort existiert nicht nur bereits ein Bestand von 40.000  Spielen, sondern auch die Kompetenz für diese Werkgattung sowie schon eine vielfältige Zusammenarbeit mit Universitäten und Wissenschaftlern. 

Wenn die Kapazitäten schon da sind, wieso ist nicht viel früher etwas passiert? 

Es fehlten wohl die Lobby und der Gestaltungswille. Es geht zum einen um eine bessere öffentliche Anerkennung des Kulturguts Spiel. Zum anderen geht es um die Bibliothekstantieme. Hier gibt es eine rechtliche – und damit auch finanzielle – Benachteiligung der Spieleautorinnen und -autoren. Der Datenbestand, den die VG Wort nutzt, ist mangelhaft in Bezug auf Spiele. Durch die Pflichtabgabe von Büchern besteht bei der DNB eine umfassende, quasi hundertprozentige Datenbank. Bei Spielen ist eine solche dort nur sehr rudimentär vorhanden, obwohl die Aufgabe der DNB mit dem Sammlungsauftrag für deutschsprachige Medienwerke eigentlich klar definiert ist. Einige Verlage wie KOSMOS und Ravensburger, die auch im Buchbereich tätig sind, melden Spiele auch ans Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB). Reine Spieleverlage sind in der Regel dort nicht vertreten. Das lässt sich nur damit lösen, dass es eine Pflichtabgabe gibt und eine Datenbank, die auch für Spiele öffentlich anerkannt ist. Die VG Wort sieht da das VLB bzw. die DNB in der Pflicht. Die DNB wiederum sieht es nicht als ihre Aufgabe, die Arbeit der VG Wort zu ermöglichen. Zuständigkeiten werden aktuell hin- und hergeschoben. Hier ist jetzt der Gesetzgeber gefordert. 

Stichwort Bibliothekstantieme: Solange die Spiele vom Sammlungsauftrag der DNB ausgeschlossen sind, wird der Rechtsanspruch von Spieleautoren und -verlagen nicht eingelöst. 

Genau, der Rechtsanspruch laut Paragraf 27 Urhebergesetz besteht und ist übrigens auch verfassungsrechtlich mit Artikel 14 GG und europarechtlich mit Artikel 6 der Richtlinie 2006/115/EG verankert. Das funktioniert im geringen Umfang schon jetzt, sofern Spiele erfasst sind und sich Spieleautorinnen und -autoren als Wahrnehmungsberechtigte bei der VG Wort eingetragen haben – dann bekommen sie auch die Bibliothekstantieme. Aber angesichts von jährlich knapp drei Millionen Ausleihen mit steigender Tendenz klafft hier eine große Lücke. 

Und trotzdem gibt es z. B. im Vergleich zu Buchautorinnen und -autoren eine Benachteiligung. 

Der Datenbestand der Spiele ist unvollständig – mangels Pflichtabgabe an die DNB bzw. an eine entsprechend öffentlich anerkannte Datenbank. Es gibt aber derzeit keine solche Basis auf Grundlage derer die VG Wort an die Spieleautoren und -verlage vollumfänglich ausschütten könnte. Solange es keinen kompletten Datenbestand gibt, kann die VG Wort auch nicht hundertprozentig ausschütten. Die Aufnahme von Spielen in die DNB würde die VG Wort in die Lage versetzen, die Bibliothekstantieme vollumfänglich auszuschütten.  

Zusätzlich findet sich im Koalitionsvertrag auch die Forderung, Bibliotheken als sogenannte Dritte Orte zu stärken. In vielen öffentlichen Bibliotheken kann man beispielsweise analoge Spiele ausleihen. Welche Bedeutung haben Spiele für Dritte Orte wie Bibliotheken? 

Eine große Bedeutung. Spiele sind verbindende, integrative Medien, an Orten des Zusammenseins verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen und Menschen können sie eine große Rolle spielen. Auch aus diesem Grund erscheint es uns wichtig, beide Forderungen im Koalitionsvertrag gemeinsam zu betrachten. 

Sie erwähnten, dass Sie anerkennend auf die starke politische Vertretung der Games-Branche blicken. Was wünschen Sie sich für die Vertretung analoger Spiele gegenüber der Politik? Was muss verändert werden? 

Ich wünsche mir ein stärkeres Engagement der Spieleverlage. Digitale Spiele mussten vom Schmuddelimage des Ballerspiels reingewaschen werden. Das wurde mit einer sehr intelligenten Lobbyarbeit der Games-Branche und deren vielfältigen Aktivitäten auch im kulturellen Bereich erreicht. Bei den Verlagen von analogen Spielen war und ist eine solche Notwendigkeit nicht vorhanden und es fehlt ein bisschen das Bewusstsein für die eigene kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung – und dass man sich dafür auch grundsätzlich engagieren muss. Das Selbstverständnis als reine Wirtschaftsunternehmen greift zu kurz. Dabei gerät die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung der Werke, die sie produzieren und vertreiben, aus dem Blickfeld. 

Vielen Dank.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.