Im Unterschied zu anderen europäischen Staaten gibt es in Deutschland bereits seit Jahrzehnten einen hochschulpolitischen Diskurs zu den sogenannten kleinen Fächern. So findet der Begriff »kleines Fach« spätestens seit Mitte der 1960er Jahre für jene universitären Fächer Verwendung, die wie Ägyptologie oder Kristallografie im Kontext der Bildungsexpansion keinen nennenswerten personellen und strukturellen Ausbau erfuhren und damit, anders als die sogenannten »Massenfächer«, klein geblieben sind. Seitdem wurde vor dem Hintergrund sich wandelnder Rahmenbedingungen wiederholt die Frage aufgeworfen, welchen Stellenwert kleine Fächer im deutschen Hochschulsystem besitzen und inwiefern sie einer gesonderten Berücksichtigung und Förderung bedürfen.

Mit der Arbeitsstelle Kleine Fächer gibt es seit nunmehr 15 Jahren eine feste Institution, deren Kernaufgabe in der Bereitstellung von Entwicklungsdaten zu den kleinen Fächern besteht, die Informationen zum Themenfeld der kleinen Fächer bündelt und vertiefende Untersuchungen durchführt. Grundlage für die Datenerhebung ist eine von der Hochschulrektorenkonferenz verabschiedete Arbeitsdefinition »kleines Fach«, der zufolge ein kleines Fach je Universität über maximal drei ordentliche Professuren verfügt, wobei es mit Blick auf ganz Deutschland auch zwei größere Universitätsstandorte geben darf. Die Kartierung der Arbeitsstelle Kleine Fächer listet aktuell 158 kleine Fächer, wobei laufend neue Fachvorschläge geprüft oder zu groß gewordene Fächer ausgeschlossen werden.

Trotz der Heterogenität innerhalb der Gruppe der kleinen Fächer lassen sich einige mehr oder weniger generelle Punkte hinsichtlich der Bedeutung kleiner Fächer für die deutsche Hochschullandschaft festhalten. So ist zunächst grundsätzlich zu betonen, dass kleine Fächer einen zentralen Beitrag zur Diversität der Disziplinenlandschaft leisten. Diese Diversität stellt keinen Selbstzweck dar, sondern bildet eine wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung komplexer wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Fragestellungen, die auf Perspektivenvielfalt und das Zusammenspiel unterschiedlicher fachlicher und methodischer Zugänge angewiesen ist. Entsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass kleine Fächer rege an den durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Verbundprojekten partizipieren. Dies dürfte nicht nur über die hohe interdisziplinäre Anschlussfähigkeit vieler kleiner Fächer zu erklären sein. Ebenso ist auf das Innovationspotenzial kleiner Fächer zu verweisen, das sich zum einen daraus ergibt, dass immer wieder neue kleine Fächer im Ausgang von neuen Fragestellungen und Problemkonstellationen entstehen. Zum anderen stehen aber auch ältere kleine Fächer für Expertise jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams und bereichern die deutsche Forschungslandschaft um relevante und ansonsten vernachlässigte Perspektiven. Als Beispiel sei hier darauf verwiesen, dass nahezu alle Fächer im Bereich der außereuropäischen Sprach-, Kultur- und Regionalwissenschaften zu den kleinen Fächern zählen. Zugleich ist eine hohe Internationalität jedoch nicht nur für jene kleinen Fächer zu konstatieren, die über einen Fachgegenstand im Ausland verfügen. Aufgrund der vergleichsweise kleinen wissenschaftlichen Community innerhalb Deutschlands sind die meisten kleinen Fächer hervorragend vernetzt und können dank weltweiter Forschungskooperationen als internationale Türöffner für ihre Hochschulen dienen. Ebenso können sie eine wichtige Rolle im Rahmen der Profilbildung spielen – entweder, weil sie aufgrund ihrer Seltenheit ein Alleinstellungsmerkmal bilden, oder aber, weil sie als Bindeglied zwischen anderen Fächern fungieren.

Wenngleich in den letzten Jahren die Potenziale kleiner Fächer stärker in den Fokus gerückt sind, wozu auch die spezifischen Förderprogramme beigetragen haben dürften, fällt deren Entwicklung an den Hochschulen zum Teil sehr unterschiedlich aus. Während ein Teil der kleinen Fächer unter dem Schlagwort der »Emerging Fields« subsumiert werden kann und neue Professuren und Fachstandorte dazugewinnt, gibt es weiterhin viele kleine Fächer, die nicht am Wachstum des Hochschulsektors der letzten Jahre partizipieren und zum Teil sogar deutliche Verluste hinsichtlich der deutschlandweiten Zahl ihrer Professuren zu verzeichnen haben.

Eine weitere Herausforderung für die kleinen Fächer liegt in Folge des Bologna-Prozesses darin, die eigene Sichtbarkeit an den Hochschulen zu behaupten. So sind viele kleine Fächer seitdem über deutlich weniger Fachstudiengänge vertreten und bringen ihre Lehrinhalte stattdessen in fächerübergreifende Verbundstudiengänge oder Studiengänge größerer Fächer ein. Als ein Grund für diese Entwicklung ist anzuführen, dass Hochschulen die Einrichtung eigener Studiengänge für Fächer mit nur einer Professur zum Teil grundsätzlich ausschließen. Als weiterer Grund ist anzuführen, dass einige kleine Fächer an ihren Hochschulen nicht genügend Studierende gewinnen können und deshalb ihre Studiengänge – und gegebenenfalls auch das zugehörige Personal – verlieren.

Nicht zuletzt in Anbetracht der aufgezeigten Bedeutung kleiner Fächer für Wissenschaft und Gesellschaft ist es wichtig, die Zukunft kleiner Fächer an den Hochschulen nicht nur von Studierendenzahlen abhängig zu machen. Zugleich ist einzuräumen, dass die Kooperation mit anderen Fächern in gemeinsamen Studiengängen keinesfalls nur kritisch zu beurteilen ist, sondern auch vielfältige Chancen bietet. Im besten Falle wirken solche Kooperationen auch positiv auf die innerdisziplinäre Weiterentwicklung kleiner Fächer zurück. Nicht zuletzt die Partizipation kleiner Fächer in Exzellenzclustern deutet sowohl auf die spezifischen Potenziale hin als auch auf die für das Wissenschaftssystem genuine Dynamik der Fachentwicklung, der nicht nur kleine Fächer unterliegen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2022.