Gut ausgebildete Arbeitskräfte zu finden ist immer schwerer. Der Fachkräftemangel ist spätestens seit dem Fortschreiten der Pandemie auch im Kulturbereich angekommen. Die Konzertagentin und Impresariatsinhaberin Sonia Simmenauer berichtet im Gespräch mit Theresa Brüheim von ihren Erfahrungen, Herausforderungen und Zukunftswünschen.

Theresa Brüheim: Frau Simmenauer, Sie sind Konzertagentin und seit über 30 Jahren selbständig mit Ihrem Impresariat. Wie hat sich Ihre Tätigkeit in diesem Zeitraum verändert?

Sonia Simmenauer: Die Tätigkeit ändert sich nicht wirklich. Aber die Welt ändert sich. Dadurch werden manche Sachen wichtiger und andere treten in den Hintergrund – was uns jetzt auf die Füße fällt.

Welche positiven und auch welche negativen Entwicklungen haben Sie in dieser Zeit beobachtet?

Wir haben die Jahrzehnte des aus dem Vollen schöpfen hinter uns. Als ich vor 40 Jahren in der Branche angefangen und vor bald 34 Jahren meine Firma aufgebaut habe, war die Musikwelt komplett überschaubar. Es gab eine begrenzte Anzahl von Agenturen, die zumeist auch selbst Konzertveranstalter waren. Es war ein Geben und Nehmen untereinander, wodurch es noch möglich war, eine Karriere organisch und über Jahre im Einverständnis untereinander aufzubauen. Das hat sich unglaublich verändert: Der Beruf des Agenten ist inzwischen ein eigenständiger – weit weg vom Veranstalten. Man ist überwiegend mit seinen Künstlern beschäftigt. Zwar spricht man mit Veranstaltern, aber organisiert nicht mehr selbst. Der Agent ist weit weg vom Publikum. Es geht letzten Endes mehr ums Verkaufen, was ich sehr schade finde. Ansonsten hat sich die Szene sehr geöffnet. Sie ist viel internationaler. Die Genres vermischen sich und das Repertoire, über das man spricht, ist größer: von alter Musik über romantische Musik bis zur Neuen Musik, Weltmusik und Jazz. Die Landschaft hat sich durch die Fülle an Festivals sehr verändert. Am Anfang meiner Laufbahn gab es eine Saison von Mitte Oktober bis Mitte Mai. Dann folgten ein paar ausgesuchte Festivals im Sommer. Aber im Grunde war in den Sommermonaten Pause. Da hat man Papiere sortiert und Schach oder Karten gespielt. Es gibt diese Pausen nicht mehr. Es ist ein Dauerrennen geworden – hochglänzend, jung, schnell und vor allem ein Riesendruck, die sozialen Medien bedienen zu müssen.

Wie haben Sie als Inhaberin eines Impresariats die letzten beiden Pandemiejahre empfunden?

Zunächst einmal brach für uns eine Welt zusammen. Die ganze Arbeit leisten wir zwei bis drei Jahre im Voraus. Dann sind alle Konzerte ausgefallen. Wir werden erst bezahlt, wenn die Künstler gespielt und die Gage erhalten haben. Das heißt, wir standen vor einem Riesennichts. Ein Riesennichts, das dennoch mit sehr, sehr viel Arbeit verbunden war. Denn wir haben versucht, alle Termine zu verlegen und nochmals zu verlegen – nur um sie am Ende doch zu verlieren. Irgendwann war das, wofür die Leute vor drei Jahren gebrannt hatten, nicht mehr interessant, nicht mehr aktuell. Wir haben zum Glück Hilfe vom Staat bekommen, zunächst, um unser Team zu behalten und die Verluste einzudämmen. Aber es ist dabei etwas kaputtgegangen.

Wie beurteilen Sie jetzt im Sommer 2022 die Lage?

Sehr verunsichert, traurig. Die Pflänzchen, die wachsen, sind noch sehr zart. In den nächsten zwei Jahren kann es schlimm werden. Sollten – wie angekündigt – die Hilfen des Staates tatsächlich aufhören, werden viele kaputtgehen, die jetzt nicht kaputtgegangen sind. Damit wäre alles nur aufgeschoben – und nicht abgewendet worden.

Viele Theater und Konzerthäuser bekommen ihre Säle einfach nicht mehr voll. Es gibt weniger Abonnenten und auch die Tageskarten werden nicht ausverkauft.

Das wird überall beklagt. Die Pandemie wütet noch immer. Viele Leute sind verschreckt. Und viele haben sich woanders hingewandt. Insbesondere diejenigen, die nicht passionierte Theater- oder Konzertgänger waren, sondern das als ein Nice-to-Have gesehen haben. Da muss man sich auch selbst an die Nase fassen: Man hat das Publikum offenbar nicht tiefgründig gebunden. Es würde sich lohnen, sich damit eingehender zu befassen.

Außerdem verdeutlicht die Pandemie den Fachkräftemangel, der zum Teil schon vorher bestand, nun aber noch sichtbarer wurde. Der Kulturbereich ist auch betroffen. Wie sieht es konkret in Ihrer Branche aus?

Schrecklich. Wir jammern alle miteinander. Seit Anfang des Jahres haben wir selbst sechs Leute verloren. Das ist bei einem Team von 15 Mitarbeitenden eine Menge und es ist sehr schwer, Leute zu finden – und dafür ausgebildete fast unmöglich. Es wurde viel in das Studium Kulturmanagement investiert. Aber das, was wir tun, ist ein Handwerk und nicht mit einem Studium erlernbar. Unsere ganze Industrie existiert nur, wenn es eine handfeste Basis gibt. Und die Basis ist ein Handwerk. Das lernt man ganz traditionell in einer Lehre und dann einer Meisterausbildung. Es braucht zudem eine Leidenschaft für die Sache, um das Engagement zu entwickeln, das der Beruf als Mittler erfordert.

Wie sieht der Nachwuchs aus, den Sie brauchen?

Wir suchen Leute, die Lust haben, Teil dieser besonderen Branche zu sein, um die Kunst, die nur wenige ausüben können, zu vermitteln, anzubieten, zu fördern und zu begleiten.

Sie sprechen vom Handwerk. Was macht dieses Handwerk aus? Was muss man können?

Erstens muss man zum Organisationstalent mutieren, flink und präzise. Zweitens muss man eine Gabe haben, Empathie zu empfinden, um die Stressfaktoren der direkt Beteiligten zu verstehen, um einerseits den Künstlern möglichst viel Aufreibendes, Unnötiges und Ärgerliches aus dem Weg zu räumen, was zum Leben eines stets Reisenden gehört, und andererseits die Gegebenheiten der Veranstalter zu berücksichtigen. Drittens sind Sprachen – möglichst einige – wichtig und ein tadelloses Kommunikationsverhalten. Letzteres ist vielleicht die wichtigste Tür zum Erfolg in diesem Metier und es ist lernbar. Es geht darum zu lernen, vielfach hinzuhören: Wo steht der Künstler und was bewegt ihn? Wer ist der Veranstalter? Ein städtisches oder staatliches Unternehmen? Eine Privatinitiative? Und, man muss von sich selbst absehen können. Wir erbringen eine Dienstleistung, einen Service. Entsprechend geht es dabei nicht um uns. Wir sind zwar nicht Teil der Kunst, aber wohl Teil dessen, was die Kunst ermöglicht.

Wo kann man das lernen?

On the spot. Das kann man nicht in Büchern lernen, sondern nur in der täglichen Praxis und wenn man eins aufs Dach vom Chef, vom Künstler, vom Veranstalter … kriegt – noch und noch und noch. Ebenso indem man Lob und Dank bekommt oder feststellt: Ich kann das. Eine ideale Lehre dauert drei Jahre, das ist überall so. Das bedeutet bei uns, zwei Zyklen zu absolvieren. Ein Zyklus dauert anderthalb Jahre: beginnend mit der Terminvereinbarung eines Konzerts bis zur Honorarabrechnung nach dem Konzert. Und so wie ich diesen Vorgang freundlich, zuverlässig und gut begleite, trage auch ich dazu bei, dass der Künstler wieder eingeladen wird. Und dann kann man zur Meisterausbildung übergehen.

Wieso ist es so schwierig, für diese Tätigkeit passendes Personal zu finden?

Der Beruf ist kein Individualistenberuf. Es ist ein Teamberuf und ein Dienstleistungsberuf. Er kann undankbar erscheinen. Es bedeutet viel Administration, das meiste im Büro, das heißt, verhältnismäßig wenig mitten im Geschehen. Das kann auch zu Zeiten stressig werden. Zudem steht man in diesem Beruf nicht im Rampenlicht, sondern sehr im Schatten. Und das muss man wissen – und lieben.

Was muss Ihres Erachtens nun getan werden, um gegen den Fachkräftemangel in der Branche zu steuern?

Die Kultur hat in den letzten Jahren einen großen Verlust an Bedeutung erlitten. Wer in der Kultur arbeitet, wird nicht gut bezahlt. Auch mit Work-Life-Balance hat ein Job in der Kultur nichts zu tun. Aber wenn man darüber hinaus kaum Anerkennung erfährt, nicht stolz darauf sein kann, genau da zu sein, wo man ist, warum sollte man das machen? Dennoch glaube ich, dass es viele junge Leute da draußen gibt, die abzuholen wären, wenn sie wüssten, was dieser Job bedeutet. Wenn sie wüssten, dass es auch bedeutet, in die Musik, oder generell in die Kunst, eintauchen zu können, künstlerischen Prozessen beizuwohnen und verstehen zu lernen, die Aufregung darum mitzutragen, einfach Teil des Ganzen zu sein. Wenn sie wüssten, dass man dabei etwas für das ganze Leben gewinnt und man sehr besondere Leute trifft, die einen für immer prägen.

Inwieweit wünschen Sie sich dabei von der Politik Unterstützung?

Ich wünsche mir von der Politik, dass sie das seit Kurzem fest eingeschriebene Bekenntnis zur Kultur als ein für den Zusammenhalt und Geist in der Gesellschaft unbedingt notwendiges »Nahrungsmittel« entsprechend behandelt. Ich spreche nicht nur von der traditionell subventionierten Hochkultur, sondern und vor allem von der Kreativwirtschaft und Freien Szene, die bis zur Pandemie ein starker Wirtschaftszweig und in der ganzen Welt bewundertes Beispiel als gesamtgesellschaftliches Engagement war, die aber auch am stärksten von der Krise getroffen wurden. Die Künstler, die unsere Kultur fortentwickeln und sie für die nächsten Generationen festschreiben, stehen mit ihrem Leben dafür ein. Dies findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern mithilfe einer Vielzahl von Unternehmen und Kulturarbeitern, die das wirtschaftliche Risiko dafür tragen. Das muss geehrt, unterstützt und vor dem Kollaps geschützt werden. Es geht nicht nur um den Bau von Konzerthäusern als Emblem für eine Stadt, die der gerade agierenden Politik ein Denkmal setzt, sondern darum, dass sie die vielleicht nicht so sichtbare Basis für Kunst und Kultur mitdefiniert. Das ist übrigens auch ein inhärenter Teil der Bildung. Mit der Vergabe einer Million hier oder einer Million da, ohne wirklichen Plan, ist es nicht getan.
Es geht nicht nur ums Geld.

Wie versuchen Sie im Impresariat trotz allem neue Leute zu gewinnen?

Wir annoncieren, wir sprechen mit tausend Leuten, wir ködern, wir jammern. Und wir arbeiten doppelt so viel, weil die Arbeit durch den Aderlass an Kräften einerseits und der noch immer wütenden pandemischen Situation andererseits so viel mehr geworden ist. Das betrifft nicht allein uns, Konzertagenturen, sondern insgesamt die ganze Branche.

Bilden Sie selbst aus? Haben Sie dafür Kapazitäten?

Wir haben es sehr lange getan, aber dann davon abgesehen, weil die Art der Lehre, wie sie hier getrieben ist, weder für die Lehrlinge noch für die Ausbilder tragbar ist. Auszubildende sind in den ersten ein bis anderthalb Jahren keine Entlastung, sie sind teils in der Schule, teils in der Firma, brauchen viel Zuwendung, wenn die Zusammenhänge ordentlich und zukunftsträchtig beigebracht werden sollen. Sie können von dem, was sie bekommen, kein noch so bescheidenes Leben bestreiten. Das dreht mir den Magen um. Ich kann niemanden mit 450 Euro im Monat abspeisen. Sie müssen davon leben und einen Stolz entwickeln können. Für einen Anfänger in dem Beruf müsste man ein Minimum von 1.800 Euro Gehalt anbieten können. Das können kleine bis mittlere Unternehmen wiederum nicht leisten. (Aus-)Bildung ist eine gesellschaftliche Verantwortung, also eine Pflicht des Staates und der Politik. Hier müsste ein zeitgemäßer Konsens gemeinsam erdacht und erarbeitet werden, der auch den branchenspezifischen Bedingungen entspricht.

Was würde Ihnen noch helfen?

Ich habe die Vision eines genreübergreifenden Ausbildungszentrums für die Kultur, in dem einerseits Kulturarbeiter ausbildet werden und das andererseits für die Künstler ein Beratungszentrum für alle nicht künstlerischen Facetten einer Künstlerkarriere wäre. So könnten junge Leute von Anfang an miteinander wachsen. Ich bin sicher, dass viele Kollegen auch bereit wären, mitzuwirken und somit auch für die Zukunft ihrer Unternehmen sorgen würden. Eben eine Lehrschule für das Kulturhandwerk. Das würde helfen. Und wir müssen gucken, wo wir bleiben. Denn mittlerweile ist die Glitzerzeit vorbei. Stichwort Inflation und so weiter. Es ist jetzt an der Zeit, uns wirklich auf die Inhalte zu konzentrieren. Auf die Kunst – und sie ist vielfältig und stark genug, um die Leute zu erreichen.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2022.