Die Diskussion über die Reform des öffentlichen Rundfunks spitzt sich zu. Sie kommt in eine entscheidende Phase. Vorschläge der Intendanten sollen im Juni 2023 finalisiert werden, es erfolgen fortlaufend Beschlüsse der Rundfunkkommission der Länder, der 4. Medienstaatsvertrag ist auf den Weg gebracht, eine lebhafte öffentliche Diskussion ist im Gange. Die Gremien der Anstalten sind tätig. Am Ende des Jahres – so das ehrgeizige Ziel – soll das Ergebnis stehen. Inzwischen ist auch ein »Zukunftsrat« benannt. Der soll mit seinem »Fachwissen« jetzt noch die Länder beraten.
Für uns, die Vertreter der Kultur, ist ein wichtiger Lackmustest für das Gelingen der Reform, wie die Kernaufträge der Sender, darunter der Kulturauftrag, definiert und erfüllt werden.
Eine entscheidende Mitwirkungsmöglichkeit von innen besteht über die Gremien der Sender. Sie repräsentieren die »Allgemeinheit« und entscheiden innerhalb des gesetzlichen Rahmens über das Programm und dessen Finanzierung. Sie haben das letzte Wort innerhalb der Sender. Bisher standen sie im Schatten der anderen Akteure. Jetzt müssen sie ihre Verantwortung noch entschiedener wahrnehmen. Sie haben in der neuen Medienordnung einen Gestaltungsauftrag und nicht nur einen zur nachlaufenden Kontrolle. Nun sind sie gefordert, Qualitätsziele festzulegen und zu kontrollieren. Ihr Entscheidungsspielraum ist maßgeblich erweitert worden. Sie müssen sich stärker vernetzen. Der Deutsche Kulturrat und der Kulturrat NRW haben dazu seit etwa zwei Jahren die Initiative ergriffen. Wir treffen uns regelmäßig mit von Kulturorganisationen entsandten Rundfunkräten zum Meinungsaustausch. Verstärkung der Aufsicht, eine neue Partnerschaft mit den Intendanten und eine offensive Öffentlichkeitsarbeit – das alles ist jetzt gefordert.
Das Verhältnis der Politik zu den Sendern ist immer noch nicht von dem Prinzip der Staatsferne geprägt. Das spüren wir in den Gremien. Die parteipolitischen Freundeskreise haben erheblichen Einfluss. Besonders ärgerlich ist, dass die Vertreter der Parteien den Zustand des öffentlich-rechtlichen Systems lautstark beklagen, aber ihre Entsandten in den Gremien so gut wie nichts unternommen haben, um das zu ändern. Unsere Vorschläge fanden dort kein Echo.
Die Reformdebatte ist außerdem immer noch dadurch geprägt, die kritikwürdige Situation beim rbb zu verallgemeinern. Schlesinger ist nicht überall. In den Sendern sind bundesweit viele verantwortungsbewusste, fachkundige Menschen tätig. Sie verdienen es nicht, mit Misswirtschaft in Verbindung gebracht zu werden. Auch die Aufsichtsgremien haben nicht generell versagt, in Berlin jedoch in katastrophaler Weise.
Kommen wir zum Kern der Reform. Es besteht die Gefahr, dass ihr eine verengte Sicht zugrunde gelegt wird. Die Vorgaben an den »Zukunftsrat« lassen das erkennen.
Heike Raab erwartet im Namen der Rundfunkkommission Vorschläge zu drei Aufgabenfeldern, nämlich zur »Gestaltung der digitalen Transformation«, »Optimierung der Strukturen« und »Zusammenarbeit der Sender«. Und schließlich soll »Beitragsstabilität« gewährleistet werden, und zwar für die nächsten sechs Jahre. Sosehr man sich um Einsparungen bemühen muss, mit dieser Forderung steht die Rundfunkfreiheit zur Disposition, die das Bundesverfassungsgericht subtil herausgearbeitet hat. Rundfunkfreiheit bedeutet Programmautonomie. Limitieren die Länder von vornherein das Finanzvolumen, dann wird diese Autonomie, die allerdings nur unter bestimmten engen Voraussetzungen eingeschränkt werden kann, verletzt. Es sind die Sender, die entscheiden, wie sie den Rundfunkauftrag wahrnehmen. Es ist den Politikern immer schwergefallen zu verstehen, dass das Grundgesetz keinen »Staatsrundfunk« kennt.
Man kann nicht reformieren, ohne immer wieder die Frage zu beantworten: Warum brauchen wir eigentlich ein öffentlich-rechtliches System? Was erwartet unsere Gesellschaft berechtigterweise vom öffentlichen System? Wenn wir über die Reform reden, dann reden wir über die Demokratie. Mit dem Auftrag, die Demokratie zu fördern und zu sichern, wurde das System nach dem Krieg gegründet. Was bedeutet der Programmauftrag heute in einer Zeit weltweiter fundamentaler Umbrüche, die man schon ohne den Überfall Russlands auf die Ukraine als »Zeitenwende« bezeichnen konnte? Es ist der einschneidendste Epochenbruch seit 1945 – das erfordert neues Nachdenken, wie in dieser Situation der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Beitrag zur Stabilisierung der Demokratie leisten muss. Er muss noch intensiver informieren und zur Meinungsbildung beitragen – und das auch im Internet. Das Internet hat eine »Nachtseite«, durch die die Demokratie gefährdet wird. Die Sender sollten sich eine Gegenstrategie überlegen.
Die Erfüllung des Informationsauftrages ist ein Bollwerk gegen die Bedrohungen unserer demokratischen Ordnung. Heute haben wir es nicht nur, wie schon immer, mit erkennbaren Extremisten zu tun, sondern auch mit einer wachsenden Zahl von Freiheitsfeinden und Systemverächtern. Sie kommen nicht nur von den Rändern, sie kommen inzwischen aus der Mitte unserer Gesellschaft. Darauf weisen die Sicherheitsbehörden mit wachsender Besorgnis hin. Diese bedrohliche Entwicklung bedarf der Gegenstrategien, und wir alle sind auf meinungsbildende Information dringend angewiesen.
Eine entscheidende Rolle für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft haben Kunst und Kultur. Kunst gedeiht nur in einer freien Gesellschaft, aber sie trägt auch zu deren Lebens- und Überlebensfähigkeit wesentlich bei. Es gilt das Schiller-Wort: »Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.« Die Sender haben eine wichtige Funktion in unserem Lande, Kunst und Kultur zu ermöglichen. In den Zeiten allgemeiner Unsicherheit ist dieser Auftrag noch wichtiger geworden.
Die Privaten erfüllen ihn nicht. Deshalb ist es unverständlich, wenn gleich zu Beginn der Diskussion die Klangkörper zur Disposition gestellt wurden – und damit ein wesentliches Stück Musikkultur in unserem Lande. Auch hier geht es um Vielfalt, um künstlerische Vielfalt, um kulturelle Bildung, um das kulturelle Angebot in den Regionen. Und das gilt ebenso für die anderen Bereiche der Kultur.
Die Feuilletons wichtiger Tageszeitungen machen es vor, was Kulturauftrag bedeutet. Veränderungen unserer Gesellschaft werden seismografisch aufgespürt und analysiert. Das tun auch vielfach unsere Sender. Sie müssen dabei gestützt und gestärkt werden. Sie dürfen in diesem Bereich nicht der Versuchung der Quote erliegen. Rundfunkauftrag heißt auch, dass ein Programm gefördert wird, das nur Minderheiten interessiert und relativ kostenaufwendig ist. So hat Karlsruhe das interpretiert.
Entscheidend für das Gedeihen der Demokratie ist Vielfalt – thematische, journalistische und kulturelle Vielfalt. Wenn die geplanten Kompetenzzentren und die Konzentrierung von Aufgaben auf einzelne Anstalten auf Kosten der Vielfalt erfolgen sollten, dann ist Widerstand geboten. Die simple Forderung »Einer macht etwas für alle« kann hier nicht greifen. Das kann man in Wirtschaftsbetrieben machen oder bei Fahrbereitschaften, aber nicht mit dem Programm. Ein Sender ist keine Marmeladenfabrik. Er erfüllt einen öffentlichen Auftrag, einen Verfassungsauftrag!
Die Erfüllung des Programmauftrages kann auch nicht darin bestehen, dass man lediglich erfasst, was denn die Nutzer hören und sehen wollen. Nein, man muss sich in den Sendern auch fragen: »Was müssen sie denn erfahren, was müssen sie wissen, welche unterschiedlichen Meinungen müssen sie kennenlernen?« Anbiederung durch Verflachung ist eine Beleidigung mündiger Bürger.
Eine weitere Bedrohung bedarf der Aufmerksamkeit: Wie wirkt sich die hastige Übertragung so vieler Programmteile ins Internet auf die Demokratie aus? Wir erleben einen gefährlichen Strukturwandel. Die Öffentlichkeit ist zersplittert, löst sich in Fragmente auf. Jürgen Habermas hat diese Problematik erneut zum Thema gemacht. Viele Nutzer beschränken sich auf eine Teilöffentlichkeit, einige flüchten in demokratieferne »Blasen«. Unsere Demokratie lebt aber von einer allgemeinen Meinungsbildung, wie sie auch in Bundestagswahlen zum Ausdruck kommt. Wir sind eine bundesweite »Verständigungsgemeinschaft« und müssen gemeinsam einen politischen Diskurs führen. Die Verlagerung ins Internet, so notwendig sie ist, muss auf Demokratierelevanz kritisch hinterfragt werden. Es droht mit dieser Entwicklung auch eine Vergrößerung des Generationenabrisses: die Älteren im linearen, die Jüngeren im nonlinearen Bereich!
Das Angebot der Sender muss auch die anderen Programmteile, also Sport und Unterhaltung, umfassen. Sie gehören zum Programmauftrag. Diesen kann und sollte man modifizieren. Die Skeptiker aber müssen begreifen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur so lebensfähig ist. Nur so gewinnt er allgemeine Akzeptanz, von der auch die Kernaufgaben profitieren.
Das System muss sich reformieren. Es muss geprüft werden, wo es sinnvolle Einsparmöglichkeiten gibt, aber es müssen auch unverrückbare Leitplanken beachtet werden.