Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wird auch unsere Film- und Fernsehbranche gehörig umkrempeln. Unsere Schauspielgewerkschaft, der BFFS, will den vor uns stehenden Transformationsprozess mitgestalten: KI soll Kreativität beflügeln und nicht uns Kreative abschaffen.

Seit Oktober letzten Jahres sitzen der BFFS für uns Schauspielende, ver.di für alle Filmschaffende und die Produktionsallianz für unsere Arbeitgeberseite am Verhandlungstisch. Hierzulande sind diese drei Tarifpartner die ersten, die den Einsatz von KI am Arbeitsplatz auch tarifrechtlich regeln möchten. Zwar haben wir alle den Arbeitskampf der amerikanischen Schauspielgewerkschaft SAG AFTRA vor Augen. Aber in den USA herrscht sowohl eine andere rechtliche Ausgangslage als auch eine andere Konstellation der Tarifparteien. Insofern können wir das dortige Tarifergebnis hierzulande nur bedingt zum Vorbild nehmen.

Anzahl, Qualität und Vergütung unserer Schauspielengagements

Der BFFS will nicht den Einzug generativer KI blockieren, die wie jede technische Neuerung, vor allem in der Film- und Fernsehindustrie, sowieso nicht aufzuhalten sein wird. Auch sollen die Produktionsunternehmen im Wettbewerb mit ihrer internationalen Konkurrenz bestehen können – aber mit uns, nicht gegen uns!

Der Einsatz von KI wirft natürlich sofort urheber- und persönlichkeitsrechtliche Fragen auf. Fragen, die der BFFS als Mitglied der Initiative Urheberrecht auf bundes- und europapolitischen Ebenen behandelt. Aber Tarifverträge sind dazu da, die Rahmenbedingungen von Arbeitsverhältnissen zu regeln. Und unsere Schauspielgewerkschaft möchte für unsere Arbeitswelt solche Regeln durchsetzen, die trotz des zunehmenden Einsatzes von KI helfen, die Anzahl, die Qualität und die Vergütung unserer Schauspielengagements zu bewahren. Unsere Schauspielgewerkschaft verfolgt dabei vorrangig einen praktischen Ansatz, der sich auf die konkreten Fälle konzentriert, in denen KI im Zusammenhang mit unseren Schauspielengagements Anwendung finden können.

KI-Regelungsraum

Als Orientierung dient dem BFFS der »KI-Regelungsraum«. Er besteht aus der Tiefe der KI-internen Prozesse, aus der Breite der uns betreffenden KI-Anwendungsmöglichkeiten und der Höhe der Herausforderungen, die es zu lösen gilt.

Zu den KI-internen Prozessen gehören die Schritte Input, Bearbeitung und Output, wobei der Input-Schritt eigentlich zwei Vorgänge beinhaltet: Das Einsammeln der Daten und deren Umrechnen in n-dimensionale Vektoren zu einem neuronalen Netz – oder griffiger formuliert: Die Daten werden zu einem »intelligenten Gulasch« verarbeitet. Wenn jemand seine Paprika, die widerrechtlich im Topf gelandet ist, zurückhaben will, müsste das ganze Gulasch vernichtet werden, was in der Praxis wohl kaum passieren wird. Ob unsere Produktionsunternehmen für die Regulierung KI-interner Prozesse die idealen Ansprechpartner sind, ist fraglich.

Umso mehr haben sie bei den uns betreffenden KI-Anwendungsmöglichkeiten das Sagen. KI kann für digitale Veränderungen, Teilverkörperungen, Nachbildungen (Replikate) und Vermischungen unserer Merkmale eingesetzt werden.

Die Herausforderung liegt nun darin, all diese Prozesse und Anwendungsfälle voneinander abzugrenzen, zu bewerten und ggf. Transparenz-, Einwilligungs- und/oder Vergütungsregeln zu finden. Die daraus resultierenden Tarifvorstellungen des BFFS für uns Schauspielende lassen sich unter acht Überschriften zusammenfassen:

Grundsatz

Vielleicht mögen manche von uns Schauspielenden nichts dagegen haben, wenn KI-Erzeugnisse, die mit ihnen während der Dreharbeiten für einen Film entstanden sind, später auch für produktionsfremde Zwecke verwandt werden. Wenn diese Einzelnen den Produktionsunternehmen dazu das Recht aus freien Stücken einräumen – kein Problem. Aber der BFFS möchte unsere Gemeinschaft der 16.000 Schauspielenden in Deutschland tarifrechtlich davor schützen, unter Druck gesetzt zu werden. Solche Freigabe-Klauseln dürfen keine Vorbedingungen dafür werden, überhaupt besetzt zu werden. Darum haben sie in unseren Arbeitsverträgen oder in begleitenden »Sidelettern« nichts zu suchen.

Ansonsten gilt: So sehr der BFFS interessiert ist, mit tariflichen Regelungen uns Schauspielende vor schädlichen Auswirkungen durch den Einsatz von KI im Rahmen unserer Beschäftigungsverhältnisse zu bewahren, umso weniger möchte der BFFS mit Tarifverträgen die anderen KI-Einsätze regulieren oder absegnen, die in keinem Zusammenhang mit unseren Beschäftigungsverhältnissen stehen. Das tarifvertragliche Instrument wäre für solche Fälle überfordert und untauglich.

Motion Capture

Für manche KI-Anwendungen schicken uns die Produktionsunternehmen in spezielle Studios, in denen wir »gescannt« und unsere Bewegungen digital erfasst werden (Motion Capture). Solche Arbeitstage sind im Grunde Drehtage. Sie müssen entsprechend gewertet und vergütet werden.

Digitale Veränderungen

Einfache Verbesserungen oder Korrekturen des mit uns aufgenommenen Ton- und/oder Bildmaterials wurden bisher auch ohne KI schon vorgenommen. Der BFFS hat grundsätzlich keine Einwände, wenn sie nun mithilfe von KI eleganter umgesetzt werden. Auch kann für die Synchronisation in fremde Sprachen eine KI-unterstützte Anpassung der Lippenbewegungen oder teilweise des Minenspiels durchaus hilfreich sein.

Weiterreichende digitale Veränderungen unseres Alters, Körpermaßes, Aussehens und/oder unserer Stimme, die erst durch generative KI möglich werden, bedürfen natürlich unserer Zustimmung – und zwar möglichst frühzeitig, um Missverständnisse und Missstimmungen zu vermeiden.

Digitale Teilverkörperungen

Der Dramatiker, Kritiker, Sänger und Übersetzer Eric Russell Bentley (* 14.09.1916, † 05.08.2020) hatte ein langes Leben, aber fand wohl die kürzeste, griffigste und treffendste Formel für die Definition des Schauspielens: »A verkörpert B, während C zuschaut.« Die Verkörperung der Rolle B kann auch durch mehrere A-Personen erfolgen. A1 ist z. B. eine Filmschauspielerin, die für eine gefährliche Situation von einer Stuntfrau (A2) gedoubelt und für den ausländischen Markt von einer Synchronschauspielerin (A3) in einer Fremdsprache synchronisiert wird. In solchen Fällen liefert jede A-Person eine »Teilverkörperung« der Rolle B. KI eröffnet sehr vielfältige Möglichkeiten der digitalen Teilverkörperung. Der BFFS hat keine Bedenken, soweit etwa unser Minenspiel extrahiert wird, um diese visuelle Teilverkörperung auf unsere Stuntdoubles zu projizieren. Voraussetzung: Wir müssen dafür angemessen vergütet werden. Aber die schrankenlose Übertragung unserer visuellen oder akustischen Teilverkörperungen auf andere darstellende Personen mit der bloßen Absicht, unsere Reisekosten oder Bezahlung zu sparen, kann nicht in unserem Sinne sein und möchte der BFFS nicht freigeben.

Digitale Replikate

Die Verwendung unserer digitalen Nachbildungen ist für uns hoch problematisch. Wir haben nicht den Schauspielberuf ergriffen, damit wir von KI wie Marionetten in Filmen vorgeführt werden, ohne dass wir die Chance hätten, unsere Rollen selbst zu gestalten.

Na schön, sollten wir verhindert sein, unseren vertraglichen Dreh-Verpflichtungen nachzukommen, könnte der Einsatz unserer digitaler Replikate auch in unserem Interesse liegen, allerdings nur unter folgenden Bedingungen erlaubt sein: a) Wir werden über den konkret beabsichtigten Einsatz unserer digitalen Replikate informiert, b) um Einwilligung gefragt und c) für die Verwendung unserer digitalen Replikate – falls wir an unserer Verhinderung keine Schuld tragen – so vergütet, als hätten wir die betreffenden Szenen persönlich mit der dafür im ursprünglichen Drehplan vorgesehenen Anzahl von Drehtagen gedreht.

Digitale Vermischungen

Die rasante Weiterentwicklung generativer KI ermöglicht ihr immer mehr, viele unterschiedliche Merkmale von vielen unterschiedlichen Schauspielpersönlichkeiten einzusammeln, zu täuschend naturgetreu wirkenden digitalen Mischwesen zusammenzusetzen, und zwar derart, dass ihnen nicht anzusehen ist, von welchen echten Menschen sie abstammen. Werden diese schauspielenden Kunstwesen uns in Zukunft alle Rollen wegspielen? Die Entwicklung beängstigt und erzürnt uns. Jeder weiß, wir werden beklaut, aber niemand wird überprüfen können, welche Merkmale von wem wie miteinander vermengt worden sind. Eine tarifliche KI-Vereinbarung wird dieses Problem kaum lösen können. Hier ist der Gesetzgeber gefragt.

Immerhin: Der oben beschriebene Grundsatz sollte diese Gefahr etwas eindämmen. Demnach würde zumindest unsere Arbeitgeberseite uns nicht zu einer Generalvollmacht zwingen, als »Ersatzteillager« für diese virtuelle Konkurrenz missbraucht zu werden.

Schicksalsgemeinschaft

Natürlich kümmert sich der BFFS besonders um die Auswirkung der KI-Entwicklung auf unseren Schauspielberuf. Aber im Boot sitzen nicht nur wir, sondern alle Filmschaffenden, einschließlich unserer arbeitgebenden Produktionsunternehmen. Eine gesonderte Tarifvereinbarung, die ausschließlich unseren KI-Anwendungsbereich ohne den der anderen Filmschaffenden behandeln würde, kommt daher für den BFFS nicht in Frage. Sonst hätte das Boot ein Loch. Das schließt nicht aus, dass für Mitwirkende vor und hinter der Kamera je nach Betroffenheit durch KI differenzierte Lösungswege verfolgt werden.

Evaluierung

Der erste Schritt ist der schwerste. Zunächst sollten die Tarifparteien BFFS, ver.di und Produktionsallianz den Grundstein für eine tarifliche KI-Vereinbarung legen. Sie leisten echte Pionierarbeit und werden dafür einige Zeit brauchen. Aber sie müssen die rasanten Quantensprünge generativer KI und ihre Auswirkung auf unsere Film- und Fernsehlandschaft weiter im Auge behalten. Darum sollten die KI-Tarifbestimmungen eine kurze Laufzeit haben und eine Verabredung beinhalten, sie permanent weiterzuentwickeln. Gegen unsere berechtigte Angst vor einer ungewissen Zukunft, in der eine ungezügelte Künstliche Intelligenz mit uns ihr Unwesen treibt, und gegen Befürchtungen der Produktionslandschaft, ohne freie Bahn für Künstliche Intelligenz technische Chancen zu verpassen und von der internationalen Konkurrenz abgehängt zu werden, helfen nur Verhandlungen mit dem traditionell bewährten Interessensausgleich unter den Sozialpartnern.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2024.