Der europäische Grüne Deal, ist die Antwort Europas auf die gewaltigen Herausforderungen, denen sich die europäischen Gesellschaften infolge des Klimawandels gegenübersehen, und zielt darauf ab, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. In Übereinstimmung mit den Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens soll der Grüne Deal dazu beitragen, die EU zu einer Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft umzugestalten, in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden, das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist und niemand, weder Mensch noch Region, unberücksichtigt bleibt. Das Kulturerbe wurde im Grünen Deal jedoch nicht ausdrücklich erwähnt. Deshalb wurde im Einklang mit dem Arbeitsplan für Kultur 2019–2022 eine OMK (Offene Methode der Koordination)-Expertengruppe der EU-Mitgliedstaaten zur Stärkung der Resilienz des Kulturerbes gegenüber dem Klimawandel eingerichtet, die von 2021 bis 2022 tätig war. Das Mandat der Gruppe bestand darin, den Sachstand in den europäischen Mitgliedsländern hinsichtlich der Politiken zu erheben, die Herausforderungen durch die Auswirkungen des Klimawandels auf das Kulturerbe zu identifizieren sowie die Gefährdungen und strukturellen Defizite im Hinblick auf das Kulturerbe im Kontext des Klimawandels zu ermitteln. Im Herbst 2022 legte die Gruppe ihren Bericht vor, der in Englisch, Französisch und Deutsch erschienen ist und zehn Empfehlungen an die Europäische Union und die Mitgliedstaaten enthält. Im Herbst 2024 berief die EU-Kommission die OMK-Gruppe zu einer Follow-Up-Sitzung ein, um die Fortschritte und Aktivitäten seit Erscheinen des Berichts zu erfassen und geeignete weitere Maßnahmen zu diskutieren. Folgende Empfehlungen erarbeitete die OMK-Expertengruppe für die Europäische Union und die Mitgliedstaaten:

 

Präambel

Das Kulturerbe erleidet durch den Klimawandel, der in einem noch nie da gewesenen Tempo und Ausmaß voranschreitet, enorme Schäden und Verluste. Gleichzeitig bietet das Kulturerbe grüne, nachhaltige Lösungen für die Klimakrise. Ein wichtiger Beitrag besteht in der Renovierung alter Gebäude, da dies nachweislich klimafreundlicher ist als deren Abriss. Forschung und Innovation sind unentbehrliche Triebkräfte des Wandels, die einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten können. Klimaanpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen müssen Qualitätsgrundsätzen entsprechen, um den Schutz des Kulturerbes zu gewährleisten und Fehlanpassungen zu vermeiden, die katastrophale Folgen für das Kulturerbe nach sich ziehen. Geeignete Maßnahmen werden die Klimaresilienz, die wirtschaftliche Erholung und die Entwicklung von Kompetenzen im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal fördern. Die gemeinsamen Bemühungen Europas, die bereits Beispiele für bewährte Verfahren hervorgebracht haben, werden Anregungen für andere Teile der Welt liefern.

 

Zehn Empfehlungen für die EU und die Mitgliedstaaten

 

  1. Die Europäische Kommission muss die Bedeutung des Kulturerbes vor dem Hintergrund der Klimakrise hervorheben und in einer neuen Mitteilung der Kommission, z. B. in einer Aktualisierung der neuen europäischen Kulturagenda, neue Maßnahmen auf europäischer Ebene vorschlagen, um das Kulturerbe an den Klimawandel anzupassen und sein Potenzial zur Minderung des Klimawandels auszuschöpfen.
  2. Die Europäische Kommission muss auf allen Verwaltungsebenen eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen den für den Klimawandel und das Kulturerbe zuständigen Generaldirektionen der EU sicherstellen.
  3. Die Europäische Kommission muss zusammen mit den Mitgliedstaaten und den assoziierten Ländern bis 2025 eine europäische Karte zur Bewertung der durch den Klimawandel bedingten Risiken erstellen und regelmäßig aktualisieren.
  4. Die Europäische Kommission muss eine weitreichende Erfassung der wirtschaftlichen Kosten der Anpassung an den Klimawandel bzw. des Klimaschutzes ausschließlich für das Kultur- und Naturerbe in die Wege leiten.
  5. Die Europäische Kommission muss eine gemeinsame europäische Plattform für den Austausch, die Erörterung, das Fachwissen und die Weitergabe von Wissen über die Auswirkungen des Klimawandels auf das Kulturerbe und dessen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels einrichten, die als zentrale Anlaufstelle für das Kulturerbe in Zeiten des Klimawandels fungiert.
  6. Die Verwaltungen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene müssen das Kulturerbe und die kulturelle Dimension in alle Maßnahmen und Pläne zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz einbeziehen. Es sind Maßnahmen zu ergreifen, um Fragen der Kultur und des Kulturerbes sowohl auf lokaler, regionaler, nationaler als auch auf internationaler Ebene umfassend in die Nachhaltigkeits- und Klimapolitik einzubeziehen.
  7. Regionale und nationale Behörden müssen Kapazitäten und multidisziplinäres Fachwissen aufbauen, um den Schutz des Kulturerbes vor dem Klimawandel durch Bildung, Schulungen und Weiterbildung auf allen Ebenen zu gewährleisten. Die Europäische Kommission könnte diese Initiativen durch entsprechende von der EU finanzierte Programme unterstützen.
  8. Die nationalen Behörden müssen die Bedeutung der Forschung als unentbehrliche Triebkraft der Stärkung des Kulturerbes anerkennen. Zusätzlich zu den von der EU finanzierten Programmen müssen die Regierungen Forschungsprogramme auf nationaler Ebene auflegen, damit der Wissensaustausch und die Zusammenarbeit zwischen Expertinnen und Experten im Bereich Kulturerbe und Klimaforschung verbessert werden, um Mechanismen zur Datenerfassung zu erarbeiten, Daten zu erheben und zu analysieren und Instrumente, Infrastruktur, Verfahren und Strategien zu entwickeln.
  9. Die Behörden und Einrichtungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene müssen unverzüglich Investitionen anregen und durch finanz- und steuerpolitische Maßnahmen Anreize für den Schutz des Kulturerbes vor dem Klimawandel schaffen.
  10. Die Ministerien und Verwaltungen der Mitgliedstaaten und der assoziierten Länder sowie die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften müssen auf allen Verwaltungsebenen und in allen relevanten Politikbereichen, insbesondere in den Planungsgremien, die Zusammenarbeit zwischen den für Klimaschutz und den für das Kulturerbe zuständigen Stellen sicherstellen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2025.