Deutschland und Frankreich verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. Nach jahrhundertelangen Feindschaften, zahlreichen kriegerischen Konflikten mit Millionen Toten auf beiden Seiten schien eine Versöhnung lange unvorstellbar. Mit dem Élysée-Vertrag haben der französische Präsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer vor 60 Jahren nicht nur die Grundlage für eine politische Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten geschaffen, die bis heute in der europäischen Geschichte beispiellos ist. Der Vertrag ist das Fundament der deutsch-französischen Freundschaft, die noch vor hundert Jahren niemand für möglich gehalten hätte. Eine enge Zusammenarbeit, die nicht nur sehr vielfältig und bunt ist, sondern mitunter auch kompliziert. Beide Partner haben ihre eigene Geschichte und Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen soll. Und doch stehen wir vor den gleichen, großen Herausforderungen dieser Zeit und sind stärker, wenn wir sie gemeinsam angehen. Gleichzeitig ist der Élysée-Vertrag auch eine wichtige Stütze für den dauerhaften Frieden in Europa. Mit dem Aachener Vertrag wurde das Versprechen der Zusammenarbeit im Jahre 2019 erneuert und bekräftigt. Darüber hinaus ist dieser ein Bekenntnis zu einem starken, zukunftsfähigen und souveränen Europa. Im Élysée-Vertrag wurden bereits Rahmenbedingungen für eine engere Kooperation in mehreren Bereichen vereinbart. Neben einem Konsultationsmechanismus soll eine gemeinsame Haltung in der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik abgesprochen sowie sich gemeinsam den Erziehungs- und Jugendfragen gewidmet werden. Insbesondere mit Letzterem wurde eine Brücke für die Zukunft zwischen beiden Ländern gebaut. Das Verständnis junger Menschen für fremde Länder und Kulturen ist von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, langfristig die Grundlagen für ein weltweites friedliches und demokratisches Miteinander zu schaffen. Doch nicht die Politik hat die jahrhundertelange Feindschaft zwischen dem deutschen und französischen Volk beendet. Sie hat lediglich die Rahmenbedingungen geschaffen. Die Veränderung in den Köpfen und Herzen der Menschen ist durch kulturellen Austausch entstanden. Die Freundschaft wird bis heute von engen Beziehungen zwischen den Zivilgesellschaften und von vielen deutsch-französischen Institutionen getragen. Kultur und Austausch verbinden, schaffen Begegnungen und überwinden Grenzen – dies wird in Europa jeden Tag deutlich. Kultur ist ein potenziell mächtiges Instrument – vielleicht das mächtigste – zur Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls der Bürgerinnen und Bürger. Mit anderen Worten: Kultur ist Keimzelle für eine gute und vor allem nachhaltige Gemeinschaftsbildung. So war die deutsch-französische Freundschaft ein Vorreiter der Völkerverständigung. Während man in Europa die Kulturpolitik lange eher stiefmütterlich behandelt hat, wurde sie im Élysée-Vertrag von Beginn an in den Mittelpunkt gestellt, und es hat sich gezeigt, dass ein wahres Gemeinschaftsgefühl nicht durch wirtschaftliche Erfolge erzeugt wird. Die deutsch-französische Freundschaft war eine Errungenschaft im Kleinen, die dann auch in Europa zum Erfolg wurde. Die Kooperation auf menschlicher Ebene spiegelt sich bis heute in rund 2.200 Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich wider. Kleine Gemeinden und große Städte kooperieren in Kultur, Bildung, Sport und auf den administrativen Ebenen. Das sind so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. Seit 1963 hat außerdem das Deutsch-Französische Jugendwerk etwa neun Millionen jungen Deutscher und Franzosen die Teilnahme an Austauschprogrammen ermöglicht. Jährlich sind es durchschnittlich ca. 8.400 Begegnungen. Frankreich ist Deutschlands wichtigster Partner in der Kultur. Mit kaum einem anderen Land ist die Kooperation so eng im Bereich Kultur und Medien. Dazu gehört auch, dass beide Länder in den Bereichen Film und Fernsehen besonders intensiv zusammenarbeiten. Im Rahmen des sogenannten »Mini-Traité«, des deutsch-französischen Fonds für gemeinsame Filmproduktionen, werden seit 2001 Fördermittel für deutsch-französische Koproduktionen bereitgestellt. Auch die Verbreitung der nationalen Produktionen wird gegenseitig gefördert. Mit Erfolg, denn sowohl die Zahl der Koproduktionen als auch die Begeisterung für Produktionen des anderen sind gestiegen. Ein Meilenstein in den deutsch-französischen Beziehungen war 1991 die Gründung des gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Kultursenders ARTE. Ein Programm für mehrere Publika zu schaffen – das war eine Premiere in der Geschichte des Fernsehens und ist bis heute ein einzigartiges Phänomen in Europa geblieben. Zum ersten Mal werden unterschiedliche nationale Rundfunktraditionen miteinander verbunden. ARTE verbindet das föderalistische deutsche Rundfunksystem mit dem zentralistischen französischen. Seit über 30 Jahren ermöglicht ARTE den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland und Frankreich ein besseres Verständnis der kulturellen, geistigen und gesellschaftspolitischen Strömungen im Partnerland. Gleichzeitig ist der Sender für die hohe Qualität seines Programms bekannt. ARTE ist das Aushängeschild der deutsch-französischen Freundschaft. Mittlerweile hat ARTE sich zu einem wahrhaft europäischen Sender entwickelt, und die Reise geht noch weiter. Für den Ausschuss für Kultur und Bildung des Europäischen Parlaments sind Austausch und Kultur schon lange essenziell, um Vorurteile abzubauen und zu erreichen, dass Menschen sich als Europäerinnen und Europäer fühlen. Mit Programmen wie Erasmus+, dem Europäischen Solidaritätskorps oder dem Programm »Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte« ermöglicht die EU Menschen, ihre europäischen Nachbarn kennenzulernen und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. So ist mittlerweile eine ganze Generation Europa entstanden. Mit Kreatives Europa werden außerdem grenzüberschreitende kulturelle und mediale Projekte gefördert. Bald ist die Halbzeit der aktuellen Programmlaufzeiten 2021 bis 2027 erreicht. Aus diesem Grund wird der CULT-Ausschuss in den nächsten Monaten sogenannte Implementierungsberichte verfassen, um Bilanz zu ziehen, was in der Umsetzung der Programme gut läuft und an welchen Stellen es hakt. An der deutsch-französischen Freundschaft zeigt sich eindrucksvoll, dass Politik zwar den Rahmen schaffen kann, aber der Erfolg eines solchen Projekts davon abhängt, wie wir diesen füllen. Die Kultur hat dem Vorhaben Leben eingehaucht und agiert als Bindemittel der deutsch-französische Freundschaft.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.