Wenn man sich von den eigenen Problemen daheim überfordert fühlt, kann einem der Blick über den Gartenzaun Entlastung verschaffen. Man sieht: Die Nachbarn stehen vor sehr ähnlichen Problemen oder gar vor viel größeren. Beispielsweise beim Umgang mit vergifteten Erbstücken in ihren Kirchen. Seit einiger Zeit habe ich zu tun mit judenfeindlichen Schmähskulpturen oder Passionsdarstellungen oder NS-Symbolen auf Glocken. Ein Clip auf der Website von »El Pais« zeigte mir aber kürzlich, dass sich dieses Thema in Spanien viel dramatischer darstellt.
Der Clip wurde mitten in einer Novembernacht aufgenommen. Stockfinster ist es. Man sieht nur eine verschlossene Kirchentür. Dahinter aber verursacht jemand massiven Baulärm. Es wird gebohrt und gehämmert. Dann fährt ein Bestattungswagen durch das Portal. Einige gutbürgerlich gewandete Damen stehen in der nachfinsteren Straße, klatschen und jubeln dem Wagen hinterher. Auf der anderen Straßenseite steht eine Dame im gleichen Alter und schreit zornig ihren Protest über den menschenleeren Kirchplatz. Was ist hier los?
Im Oktober wurde in Spanien ein Gesetz für eine demokratische Gedenkkultur erlassen, das auch den Umgang mit Erbstücken des Franco-Regimes regeln soll. Hier war all die Jahrzehnte lang kaum etwas geschehen. Das neue Gesetz hat unmittelbare Auswirkungen auf die katholischen Kirchen im Land. So auch auf die Basilika in La Macarena, einem Stadtteil von Sevilla. Denn hier befand sich direkt vor dem Altar das Grab von Queipo de Llano und seiner Frau. Große, würdevolle Grabplatten wiesen darauf hin. Man konnte nicht zur Eucharistie gehen, ohne diesem Ehepaar sehr nahe zu kommen.
Queipo de Llano war einer der berüchtigtsten Massenmörder des Spanischen Bürgerkriegs. Mit einer List und mit unfassbarer Brutalität eroberte er die andalusische Stadt für den Franco-Faschismus, obwohl hier die Arbeiterschaft sehr stark war. Etwa 45.000 Menschen verloren in dem Terror, den er entfaltete, ihr Leben. Die meisten von ihnen wurden irgendwo verscharrt, wie Hunde. Erst in den vergangenen Jahren haben Aktivisten begonnen, die verstreuten Massengräber zu untersuchen, die Namen der Ermordeten zu recherchieren und ihre Überreste menschenwürdig zu bestatten. Das war ein kleiner, aber wichtiger Beitrag dazu, die Traumata vieler Familien zu heilen oder zumindest zu lindern.
Als Queipo de Llano 1951 starb, wurde er mit hohen staatlichen und kirchlichen Ehren in einer katholischen Kirche, und zwar direkt vor dem Allerheiligsten bestattet. Niemand schien sich daran zu stören, bis das neue Gesetz die Bruderschaft dieser Kirche zum Handeln zwang. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ließen sie das Grab aufstemmen, herausholen, was noch darin war, und es auf einen örtlichen Friedhof verbringen. Anschließend wurde die Lücke geschlossen und ein Teppich über den Ort der Schande gelegt – als sei das Problem damit erledigt. Die Brüder scheinen nicht gehört zu haben, was die Aktivistin Paqui Maqueda in dieser Nacht gerufen hatte: »Endlich! Gegen die Straflosigkeit der Franco-Faschisten! Heute wird eine Schuld beglichen!«
Was wie eine anachronistische Obskurität erscheint, ist kein Sonderfall. Auch Francisco Bohórquez, ein Bürgerkriegskumpan von Queipo de Llano, der ebenfalls in der Basilika von La Macarena lag, wurde exhumiert. Und in Toledo wurde gerade eine Krypta gesperrt, in der Milans del Bosch begraben liegt. Dieser Franco-Faschist hatte 1981 am Putschversuch von General Tejero teilgenommen. Die Öffentlichkeit kann sein Grab nun nicht mehr besuchen. Aber es heißt, dass weiterhin Messen für ihn gelesen werden. Der größte dieser Fälle dagegen wurde schon vor zwei Jahren abgeschlossen. Die Überreste von Franco wurden aus seinem bombastischen Ehrengrab entfernt und auf einen normalen Friedhof gebracht. Angehörige und Anhänger versuchten, das makabre Schauspiel zu einem Weiheakt aufzublasen. Katholische Priester halfen ihnen dabei. Es ist nicht überliefert, dass es vor oder nach diesen Exhumierungen von Kriegsverbrechern und Diktaturterroristen zu tieferen, gar selbstkritischen Reflexionen gekommen wäre.