Svetlana Müller leitet das Berliner Post-Ost-Kulturzentrum PANDA platforma. Im Gespräch mit Ludwig Greven berichtet die Kulturmanagerin, die in Leningrad geboren wurde und seit über 30 Jahren in Deutschland lebt, wie Kunst Grenzen überwinden kann und welchen Schaden Putins Krieg auch kulturell anrichtet.
Ludwig Greven: Sie bieten diverse Kunst über alle Grenzen hinweg – nationale, ethnische, die der Geschlechter, Kulturen, Genres. Also genau das, was Putin hasst?
Svetlana Müller: Wir machen das natürlich nicht, um ihn zu ärgern. Es hat sich so ergeben, dass PANDA eine Multiart-Plattform für internationale Kunst geworden ist. Anfangs war es sehr post-ost-lastig, mittlerweile ist etwa die Hälfte unseres Programms global, die andere Hälfte konzentriert sich auf die Post-Ost-Länder der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropas. Wir spiegeln Berlin wider. Ich weiß nicht, ob Putin Berlin hasst, aber er hasst diese Art zu leben und Grenzen nur noch als imaginär wahrzunehmen. Dass man miteinander und nicht gegeneinander arbeitet und offen ist für Diversität jeder Art, auch was Gedanken und Ideen betrifft.
Wie sind Sie darauf gekommen, PANDA als Zentrum dafür zu gründen?
Das war nicht das Ziel, aber es hat sich so entwickelt, weil wir es selbst leben. PANDA platforma wurde 2009 als Bühne für alternative Kunst und Anlaufort für Kulturschaffende und demokratisch Denkende aus Osteuropa gegründet. Bei uns finden Menschen zusammen, die das Offene und Demokratische wollen. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur Integration – durch Kultur. Dadurch fangen Menschen, die bei uns zu Gast sind, an, anders zu denken. Sie kommen zu uns, weil wir zum Beispiel einen Workshop, Konzert oder ein Theaterstück für Kinder anbieten. Sie vertrauen uns nach und nach und denken, was die machen, kann nicht so schlecht sein. Und landen dann vielleicht bei einer unserer politischen Diskussionen.
Was hat sich durch den Ukraine-Krieg bei Ihnen geändert?
Alles und nichts. Unsere Position zur Ukraine ist seit Jahren klar: Russland hat da nichts zu suchen. Nun steht der Krieg in der Ukraine im Vordergrund und das wird noch lange so bleiben. Zu Beginn des russischen Angriffs haben wir ein Statement verfasst, dass wir gegen diesen Krieg sind und alle, die bei uns auftreten, diese Auffassung teilen.
Hat es darüber Diskussionen und Streit gegeben? Wollten das einige nicht unterschreiben?
Bei unseren Mitarbeitern jedenfalls nicht. Ein Teil von ihnen stammt aus der Ukraine. Wir alle verurteilen den russischen Angriffskrieg. Jeder von uns ist seit dem 24. Februar pausenlos im Einsatz dagegen. Wir machen alles, um den Schaden durch diesen Krieg zu begrenzen.
Zerstört der Krieg die kulturellen Bande zwischen den Völkern der ehemaligen Sowjetunion?
Ja, das ist schrecklich. Schon nach einer Woche war klar: Es gibt keinen Weg zurück, auch nicht im kulturellen Sinne. Es ist eine unverzeihliche, unerklärbare Aggression. Selbst wenn Putin nicht mehr da wäre, wäre es nicht wie früher. Das liegt auch daran, dass Putins Propagandamaschine funktioniert und ein Großteil des russischen Volkes hinter dem Krieg steht.
Manche im Westen sagen, die russische Kultur sei schon immer aggressiv gewesen. Anders gefragt: Wie kann es sein, dass eine so große Kulturnation einen solch furchtbaren Krieg führt?
Imperiales Denken ist seit je ein Teil russischer Kultur. Dennoch ist der Einfluss der Kultur auf das Verhalten in einem Krieg nicht so direkt, wie viele glauben. Wenn man an die deutsche Kultur, Literatur und Philosophie denkt und an die Verbrechen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, da wurde die gleiche Frage gestellt: Wie war das möglich? Es gibt darauf auch jetzt keine eindeutige Antwort. Ich glaube nach wie vor, dass es hilft, Kultur voranzubringen und dass sie nicht pauschal Aggression in sich trägt. Nicht die Kultur, sondern ihr Fehlen ist dafür verantwortlich, dass Frauen vergewaltigt werden und Mariupol und andere Städte zerstört wurden.
Verstehen Sie trotzdem, dass viele jetzt russische Künstler boykottieren wollen?
Ich habe großes Verständnis, dass Ukrainer mit russischer Kultur jetzt nichts mehr zu tun haben wollen und russische Autoren z. B. aus ukrainischen Schulbüchern herausgenommen werden. Das finde ich richtig und wichtig.
Aber hier im Westen?
Ich würde da nicht nach Nationalität und Herkunft entscheiden, sondern bei jedem Künstler nach der persönlichen Position. Wenn sich jemand schon lange vom Putin-Regime distanziert hat, habe ich mit einem Boykott oder einer Ausladung schon ein Problem.
Führen Sie weiter russische Stücke auf und laden russische Künstler ein?
Das war für jeden von uns, nicht nur für die Ukrainerinnen und Ukrainer, ein Dilemma. Wir haben uns entschieden, dass wir allen, die unser Statement gegen den Krieg unterstützen, eine Bühne bieten, auch Künstlerinnen und Künstlern aus Russland und Belarus.
Kann Kultur zur Versöhnung nach dem Krieg beitragen?
Das ist jetzt kein Thema. Über alle Fragen zur russischen Kultur und zur Versöhnung kann man erst reden, wenn keine russischen Bomben mehr auf ukrainische Städte fallen.
Vielen Dank.