Das Zentralantiquariat der DDR war während seines 30-jährigen Bestehens ein großer Player im europäischen Antiquariatshandel und dabei auch Akteur im Handel mit NS-Raubgut. Das Zentralantiquariat der DDR (ZA) wurde 1959 in Leipzig als Teil des Außenhandelsbetriebs Deutsche Buch-Export und -Import GmbH gegründet und unterstand zunächst dem Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel. 1963 wechselte die Zuständigkeit: Das ZA wurde der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur der DDR unterstellt, blieb aber weiterhin auch dem Außenhandelsbetrieb verpflichtet. Die Gründung des ZA erfolgte offiziell zu Verwaltung, Bearbeitung und Verkauf antiquarischer wissenschaftlicher Literatur. Inoffiziell diente die Etablierung eines staatlich gelenkten Antiquariats auch der Steuerung des Exports in den Westen und somit der Beschaffung von Devisen. Ab 1964 entstand eine Reprint-Abteilung, deren Produkte weitere lukrative Export- und Tauschgeschäfte ermöglichten.

Das ZA handelte zwischen 1959 und 1989 mit mehreren Millionen Büchern und Zeitschriften, aber auch mit Landkarten, Grafiken und Handschriften. Der Verkauf erfolgte als Versandgeschäft und in den Ladengeschäften der Leipziger Innenstadt. Das ZA war dabei an ein Vorkaufsrecht einiger Institutionen der DDR gebunden und musste unter anderem der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin und der Deutschen Bücherei in Leipzig seine Kataloge und Angebotslisten vorab zukommen lassen. Gleichzeitig hatte das ZA Exportvorgaben zu erfüllen, sodass ein großer Anteil der Angebote in die Bundesrepublik und das westliche Ausland ging.

Die Beschaffungswege des ZA spielen eine wesentliche Rolle bei der Frage nach dem Handel mit NS-Raubgut. Durch Archivrecherchen ist bekannt, dass der Grundstock des ZA in der DDR auf enteigneten Leipziger Antiquariaten basierte, namentlich Koehler & Volckmar, Karl Hiersemann und Otto Harrassowitz. Diese waren bereits im Nationalsozialismus potenzielle Empfänger für NS-Raubgut. Das gilt ebenso für die Adels- und Gutsbibliotheken, die im Rahmen der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone enteignet wurden. Die Bestände aus der Bodenreform gelangten über die Erstempfänger, meist Landesbibliotheken, als Dubletten später in die Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA). Die ZwA war ab 1953 für das Sammeln, Bearbeiten und Verteilen von Dubletten aus wissenschaftlichen Bibliotheken zuständig, erhielt aber auch Bestände aus aufgelösten Gymnasial- und Landesbibliotheken. Das ZA arbeitete eng und intensiv mit der ZwA zusammen, teilweise in Konkurrenz um die Bestände, erhielt aber auch nachweislich über drei Millionen Bände von der ZwA.

Aufgrund der schlechten Quellenlage lassen sich diese Beschaffungswege nur mühsam rekonstruieren. Es fehlt die Überlieferung des Firmenarchivs des ZA, sodass die Forschung auf Recherchen in externen Archiven angewiesen ist. Daneben bildet die Arbeit mit den Büchern, die sogenannte Autopsie, ein wesentliches Standbein in der Provenienzforschung. Über Zugangsjournale der Bibliotheken der ehemaligen DDR lassen sich ZA-Erwerbungen oft eindeutig bestimmen. Anders gestaltet sich die Suche nach den Erwerbungen in den westlichen Bundesländern und im Ausland, da das ZA mit lokalen Zwischenhändlern zusammenarbeitete und in den Zugangsjournalen nur selten selbst namentlich auftaucht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte weltweit ein großer Hunger nach Büchern. Neue Bibliotheken wurden gegründet, während bestehende Bibliotheken ihre Kriegsverluste ausgleichen mussten. In der Nachkriegszeit wurden dabei Massen an Büchern bewegt, häufig ungeachtet ihrer Provenienzspuren. Auch das Zentralantiquariat behandelte dem Zeitgeist entsprechend seinen Bestand als Ware und konzentrierte sich auf deren Zustand und Marktwert, nicht auf ihre Herkunft. In den ZA-Erwerbungen befinden sich zahlreiche Spuren: Autogramme, Widmungen, Stempel. Manche davon wurden überklebt, geschwärzt oder herausgeschnitten, die Mehrheit der Spuren jedoch nicht beseitigt. Sie helfen dabei, die Wege der Bücher nachzuverfolgen, sowohl innerhalb Deutschlands als auch international. Allerdings gelingt dies nicht immer. Nicht selten führen selbst lesbare Spuren ins Leere und können weder Personen noch Institutionen eindeutig zugeordnet werden.

Umso erfreulicher sind Erfolge beim Identifizieren von NS-Raubgut und Verdachtsfällen. In der Staatsbibliothek zu Berlin wird seit über 20 Jahren systematisch zum Thema NS-Raubgut geforscht. Im aktuellen Kooperationsprojekt der Staatsbibliothek mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste zum Zentralantiquariat der DDR wird bundesweit und darüber hinaus nach ZA-Erwerbungen und zugleich NS-Raubgut gesucht. Aus vorangegangen Projekten sind einschlägige Provenienzen bekannt und konnten in den überprüften ZA-Erwerbungen bereits identifiziert werden. In diesen Fällen bemüht sich die Staatsbibliothek zu Berlin zusammen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz intensiv um Restitutionen oder andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washington Principles.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2023-1/2024.