Bis zu den Washingtoner Prinzipien von 1998 hielt man die Restitution von NS-Raubkunst durch die Wiedergutmachungsverfahren nach dem Krieg für abgeschlossen. Über Jahrzehnte erwarben Käufer gutgläubig Eigentum und können heute ohne Entschädigung nicht zur Aufgabe ihres Eigentums gezwungen werden. So bleibt die Restitution von privat rechtlich betrachtet meist freiwillig. Tatsächlich ist aber die moralische Bereitschaft, eine Lösung mit den heutigen Erben zu finden, groß.
Seit 2016 ist der Kunsthandel gesetzlich zur Provenienzforschung verpflichtet, bei dem Verdacht eines Entzuges sogar über die Grenze der Wirtschaftlichkeit hinaus. Die großen Auktionshäuser beschäftigen inzwischen bis zu vier Provenienzforscherinnen und -forscher. Deren Aufgabenkreis dehnt sich kontinuierlich aus. Was vor zehn Jahren noch nicht zu restituieren war, ist es heute. Aus Rechtssicherheitsgründen müsste der Raubkunstbegriff dringend definiert werden.
Nach einer inoffiziellen Umfrage werden aus dem deutschen Kunsthandel jährlich circa 25 Kunstwerke einer gerechten und fairen Lösung zugeführt. Zum Vergleich: Die Beratende Kommission hat in den 20 Jahren ihres Bestehens 23 Fälle geklärt. Was der Kunsthandel leistet, ist enorm. Er erforscht die Provenienzen, überzeugt die Verkäufer von der Notwendigkeit einer Einigung und vermittelt diese. Die professionelle Mittlerfunktion des Handels trägt sehr zum Finden einer Einigung bei, denn die heutigen Eigentümer sind regelmäßig mit dem Thema Restitution noch nicht in Berührung gekommen. In 64 Prozent der Fälle waren die Werke noch nicht einmal in der Lost-Art-Datenbank eingetragen. Neben einer Provenienzrecherche hat der Handel in diesen Fällen auch die Erben recherchiert und sie überhaupt von ihrem Verlust in Kenntnis gesetzt.
Anders als bei den großen spektakulären Fällen aus den Museen passiert dies im Verborgenen. Werke von Museumsrang sind im Kunsthandel selten. Gerade die Provenienz geringwertiger Werke ist schlecht dokumentiert, was die Forschung besonders aufwendig und für den Handel oft unwirtschaftlich werden lässt. Hier müsste ein Schwellenwert eingeführt werden, ab dem der Handel zur vertieften Provenienzprüfung ohne Ansehung des Aufwandes verpflichtet ist. Insbesondere die kleineren Akteure des Handels sind ansonsten personell und finanziell überfordert. Die Ertragslage des durchschnittlichen Handels wird leider oft überschätzt.
In den seltensten Fällen lassen sich die Provenienzen bis 1933 lückenlos zurückverfolgen. Neben den Akten der Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverfahren und anderer Behörden sind die Archive des Kunsthandels eine wichtige Quelle für die Forschung. Dank der Öffentlichkeit von Auktionen lassen sich dort historische Verkäufe nachvollziehen. Die meisten Auktionshäuser und Händler, die bis 1945 aktiv waren, existieren jedoch nicht mehr, oder ihre Kunsthandelsarchive sind aufgrund von Kriegsverlusten nicht mehr vorhanden. Bei dem, was noch greifbar ist, geben sich die Häuser gegenseitig Auskunft. Eine ganze Reihe an Archiven hat der Kunsthandel an Institutionen gegeben, die sie digitalisieren: Auktionshaus Weinmüller, Kunsthandlung Julius Böhler, Hauswedell & Nolte, Abels, Galerie Heinemann, Karl &Faber. Je nachdem, welche Institution diese Bestände übernimmt, kann die Zugänglichkeit für die Forschung jedoch auch erschwert statt erleichtert werden.
Lässt sich der Sachverhalt, wie meist, nicht lückenlos klären, kommt es auf die Beweislast an. Die liegt grundsätzlich bei der Partei, die die Tatsache behauptet. Bei Raubkunstverdacht greifen aber in entscheidenden Punkten Vermutungsregelungen bis hin zu einer Beweislastumkehr. Dies erfolgt in Anlehnung an die Grundsätze des Wiedergutmachungsrechts der Nachkriegszeit. Damals ergab es Sinn, dass nicht diejenigen, die ohne Unterlagen geflohen oder deren Verwandte umgebracht worden waren, Nachweise vorlegen mussten, sondern diejenigen, die geblieben waren. 85 Jahre und mehrfache Besitzerwechsel später haben aber die heutigen Besitzer keine Kenntnis mehr von den damaligen Vorgängen. In dieser Form ist die Beweislastverteilung heute nicht mehr angemessen.
Eine zentrale Rolle spielt die Lost-Art-Datenbank. Sie enthält Such- und Fundmeldungen. Was dort gelistet ist, ist faktisch unverkäuflich. Bisher hat das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste (DZK), das die Datenbank betreibt, die Verantwortung für die Meldungen weitgehend abgelehnt. Lediglich auf Plausibilität werden sie überprüft. Eingetragen wird alles, bei dem ein Entzug nicht ausgeschlossen werden kann. Es ist dann an den heutigen Eigentümern, ihre Werke zu entlasten.
Das muss sich nun ändern. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Sommer entschieden, dass das DZK für den Inhalt der Meldungen die Verantwortung trägt. Es ist, so der BGH, Sache des DZK zu entscheiden, ob eine Meldung veröffentlicht und wann sie wieder gelöscht wird. Auch muss das DZK nach dem BGH die Einträge fortlaufend überprüfen. Infolge dieses Urteils muss nun die Lost-Art-Datenbank neu durchdacht werden, es müssen die Grundsätze zur Eintragung und Löschung von Meldungen überarbeitet werden und vor allem müssen im DZK weitere Stellen zur Überprüfung der alten und neuen Meldungen geschaffen werden.
Eine Trennung der Datenbank in NS-Raubkunst (ca. 40.000 Suchmeldungen) und kriegsbedingte Verluste (ca. 82.000 Suchmeldungen) könnte Sinn ergeben. Überprüft würde dann zunächst die NS-Raubkunst. Dabei muss das DZK die Melder besser begleiten, damit die Meldungen konkreter gefasst werden können. So gäbe es auch zu jeder Meldung einen Ansprechpartner im DZK, der für eine Fachdiskussion greifbar ist. Die Melder sollten verpflichtet werden, der Datenbank alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die sie in Händen halten. Hier muss diskutiert werden, was für eine Meldung genügt und welche Konsequenzen aus einer mangelnden Beweislage gezogen werden. Sollte das Ampelsystem von »belastet« über »verdächtig« bis hin zu »gelöst« in der Lost-Art-Datenbank weiter ausgebaut und sichtbarer werden? Wie weit zurück darf ein Eigentumsnachweis reichen? Muss der Melder konkrete Anhaltspunkte für einen Entzugsverdacht vortragen? Ein Dauerproblem ist auch die Identifizierbarkeit von Werken. Je besser die Recherchemöglichkeiten sind, umso schneller kann die Provenienz recherchiert und eine Lösung gefunden werden. Zeit ist für den Handel ein wesentlicher Aspekt, denn ihm sind die Werke oft nur für wenige Monate vom Verkaufswilligen überlassen. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur Provenienzforschung bei Museen.
Beim Finden gerechter und fairer Lösungen müssen wir auf beiden Seiten für Verständnis sorgen, weil sich der Sachverhalt selten lückenlos klären lässt. Der Handel ist sich seiner Rolle als Mittler bewusst und geht verantwortungsvoll damit um.