Bücher – Erkenntnisse, Weisheiten, Geistesblitze gegossen in Textform: Seit Jahrhunderten geben sie das Wissen von Generation zu Generation weiter, sie verantworten die Überlieferung und damit die geistige Entwicklung, und sie schreiben die Geschichte der Menschheit fort. Hergestellt auf Papyrus, Pergament oder Papier, handgeschrieben und ab 1450 seit Johannes Gutenberg gedruckt, gehören sie noch immer zu den persistenten Quellen unseres Daseins als Homo historicus, politicus und oeconomicus. Als dreidimensionales Objekt sind sie jedoch auch Sammlerstücke, hybride Charaktere, deren Wesen zwischen Medium und Artefakt oszillieren. Schon auf den Foren der Antike, den mittelalterlichen Buchmärkten und Messen bis zu den heutigen Antiquariaten und Auktionshäusern wurden Bücher gehandelt. Sie wandern von einer Hand in die andere – und nicht selten hinterlässt dabei jeder einzelne Besitzer sein Erinnerungszeichen. Bücher wurden aber auch geraubt und verbrannt, ihre Besitzer enteignet und Sammlungen aufgelöst, wie es in den zwölf Jahren des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges geschah, dessen Folge neben der Vernichtung menschlichen Lebens nicht nur »displaced persons«, sondern auch »displaced art« und »displaced books« waren.

So ist es nunmehr überaus zu begrüßen, dass seit der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998 endlich Prozesse in Gang gekommen sind, die bei Provenienzrecherchen nicht nur in öffentlichen Institutionen, sondern auch im Handel Wege und Schicksale der Bücher klären. Mit dem »Code of Usages and Customs« sieht sich die »International League of Antiquarian Booksellers« (ILAB), unser Dachverband mit 1.600 Mitgliedern, der Washingtoner Erklärung verpflichtet.

Neben dem auf Eigeninitiative von Händlern und Versicherungen 1990 in London gegründeten »Art-Loss-Register« betreibt die ILAB schon seit Jahren eine zentrale Datenbank speziell für gestohlene Bücher, die 2021 als »Missing Books Register« ausgebaut und weiter professionalisiert wurde, um zum Detektieren und der Rückführung gestohlener Materialen beizutragen. Zusammen mit der staatlichen Lost-Art-Datenbank des Deutschen Zentrums vor Kulturgutverluste (DZK) bilden die beiden Datenbanken eine Trias, die uns allen zur Verfügung steht. Essenziell sind dabei exakte Objektbeschreibungen und Fotos, bibliografische Angaben und Zustandsberichte. Denn nur diese erlauben eine eindeutige Identifikation, die bei seriell gedruckten Büchern unabdingbar ist. Eine reine Nennung von Titel und Autor, Ort und Jahr genügt nicht, um Drucke zu identifizieren, die schon seit dem 15. Jahrhundert in Auflagen von 200 bis mehreren Tausend Exemplaren gedruckt wurden.

Die Expertise der Antiquare an historischem Wissen, Objektkenntnis, Materialkunde und haptischem Gespür – etwa bei ausradierten, überfaserten oder tektierten Stempeln – bildet eine wertvolle Ressource im Erkennen und Zuordnen von Provenienzen: Der Handel als Kompetenzcluster, das sich meist a priori der Provenienzforschung in den Dienst stellt, da zweifelhafte Bücher unklarer Herkunft praktisch nicht mehr verkäuflich sind. Bedauerlicherweise führt die Auslegung der Washingtoner Erklärung jedoch auch immer wieder zu Missdeutungen. Wenn nämlich Buchtitel bei Lost Art gemeldet werden, ohne diese mit eindeutigen Merkmalen zu versehen, oder wenn Werke eingestellt werden, »bei denen der NS-verfolgungsbedingte Entzug nicht ausgeschlossen werden kann«. Damit werden vor allem serielle Objekte unter Generalverdacht gestellt, pauschal vorverurteilt und damit für den legalen Handel unmöglich gemacht. Aber: Fast ausschließlich durch den Handel werden Objekte überhaupt erst zu bewahrenswerten Sammlungsstücken, werden aus Massen von Büchern die wenigen seltenen, wertvollen Titel aufgespürt und ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Und nur durch eine Evaluation entsteht neben dem ideellen auch ein messbarer monetärer Wert, der das Objekt attraktiv macht für eine Kollektion, aber auch für den Kulturgutschutz einer Nation. Es ist dieser Wert, der letztlich vor der Vernichtung des Kulturgutes schützt. Wo es keinen gesunden Handel gibt, gehen Kulturgüter verloren oder werden zerstört. Historische Elfenbeinartefakte etwa sind infolge der Gesetzesverschärfungen kaum noch handelbar. Ein Spazierstock mit Knauf oder ein Gebetbuch mit Elfenbeindeckeln aus dem 19. Jahrhundert wird dann eher vererbt, entsorgt oder vernichtet werden.

Schützenswertes Kulturgut misst sich eben auch an der Höhe eines Geldbetrags. Ein wertvolles Buch aus einer bedeutenden jüdischen Bibliothek, die 1934 von den Nationalsozialisten enteignet wurde, hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach den Eigentümer gewechselt, wurde mit Reichsmark, dann mit D-Mark, dann mit Euro bezahlt, bis es schließlich von einem Sammler gutgläubig erworben wurde und in eine Privatbibliothek kam. Erst dann wurde seine Provenienz aufgedeckt. Das Buch sollte an die Erben restituiert werden, das steht außer Frage. Auf der anderen Seite wird Privateigentum durch das Grundgesetz geschützt. Nach zehn Jahren gilt Besitz als »ersessen« und damit als Eigentum. Hier schließt sich der Antiquariatshandel der Forderung nach einem staatlichen Entschädigungsfonds an. Wenn der deutsche Staat als Nachfolger des Deutschen Reiches viele Millionen für die Erforschung der Provenienzen NS-bedingten Raubgutes vorsieht, warum werden dann nicht Gelder für eine saubere Restitution und die entsprechende Entschädigung des Privateigentums bereitgestellt? Damit könnten Restitutionen im privaten Bereich erleichtert werden und dem jetzigen Besitzer der Betrag erstattet werden, den er einst für das Buch bezahlte. Denn enteignen kann und sollte man ihn nicht. Während der Handel aufgerufen ist, seiner Sorgfaltspflicht nachzukommen, indem er Provenienzen auf eigene Kosten erforscht und oftmals Restitutionen im gegenseitigen Einverständnis vermittelt, bleibt die staatliche Wiedergutmachung weiterhin ein unerfüllter Wunsch – und damit die einzige Möglichkeit, das Dilemma der Kunst- und Buchschicksale zu lösen: Habent sua fata libelli!

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2023-1/2024.