Die Erforschung von Musik in möglichst all ihren Facetten ist Aufgabe des Staatlichen Instituts für Musikforschung (SIM). In sein Musikinstrumenten-Museum sowie in seine Bibliothek lädt es ein vielfältiges Publikum ebenso wie Fachleute ein. Die Forschungsgebiete fußen teils auf den Sammlungen der Musikinstrumente mit Bildarchiv, Musikmedien, Nachlässe, Korrespondenzen und Dokumente zur Aufführungsgeschichte. Das SIM ist seit 1962 eine Einrichtung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und als solche sind drei Bereiche der Provenienzforschung von besonderem Interesse: die Erforschung der Geschichte der Sammlungsobjekte, die Erforschung neu in die Sammlung aufzunehmender Objekte hinsichtlich ihrer Provenienz mit Fokus auf einen möglichen NS-verfolgungsbedingten Entzug oder koloniale Kontexte, sowie die Erforschung der Verluste der eigenen Sammlung mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg. Die Washingtoner Prinzipien ebenso wie die erarbeiteten Standards des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste sind dabei Richtschnur. Erste Arbeiten wurden geleistet, es steht aber noch vieles an. Die Tatsache, dass sich die Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung am 3. Dezember zum 25. Mal jährt, ist Anlass einer kurzen Bestandsaufnahme.
Bislang liegen im SIM keine konkreten Verdachtsfälle von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut vor, und es gibt keine Forderungen nach Restitutionen. Hier ist allerdings aktiv anzusetzen. Aktuell im Druck befindet sich der dreibändige Verlustkatalog des Musikinstrumenten-Museums, der einen wichtigen Ausgangspunkt darstellt. Der Katalog entstand in einem mehrjährigen Forschungsprojekt, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) finanziert und durch den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unterstützt wurde. Die Museumsdirektorin, Conny Restle, leitete das Projekt. Die beträchtlichen Verluste der Sammlung bis 1945 wurden aufgearbeitet und dokumentiert. Etwa Dreiviertel des Bestands, der bis dahin rund 4.000 Objekte umfasste, gelten als Kriegsverlust. Sie wurden entweder zerstört, oder ihr Aufenthalt ist unbekannt. Durch rege Sammeltätigkeit konnte bis heute diese Größenordnung und Bandbreite wieder erreicht werden. Die Aufarbeitung der Dokumente des Historischen Archivs des SIM (1888-1945) war für die Erstellung des Katalogs grundlegend. Sie waren als Kriegsbeute in die Sowjetunion verbracht worden, 1958 von Moskau an die Staatsbibliothek Ost zurückgegeben und 1992 wiederum ans SIM zurückgeführt worden. Unter diesen Dokumenten befindet sich das früheste Inventarbuch des Museums. Einer der ersten Museumsdirektoren und prägende Gestalt der Musikwissenschaft und der Instrumentenkunde, Curt Sachs, hatte den Aufbau der Sammlung maßgeblich mitgestaltet. Die Dokumente des Historischen Archivs sind über die Digitalen Sammlungen des SIM und über den Kalliope-Verbund weitgehend zugänglich, was über ein ebenfalls von BKM gefördertes Projekt zur Geschichte des Instituts bis 1945 ermöglicht wurde.
Der Verlustkatalog bietet nun die Grundlage für Provenienzforschung einmal zu weltweiten Instrumenten, um möglichen kolonialen Kontext zu klären (Bd. 1, 1888-1922, von Christopher Li), zum anderen zu erhaltenen Instrumenten, die während der NS-Zeit in die Sammlung kamen (Bd. 3, 1923-1945, von Heike Fricke). Beispielsweise kamen 1891 zehn Instrumente aus Neuguinea in die Sammlung, anhand derer und der erhaltenen Dokumente vieles über die damalige kulturchauvinistische Haltung zu erfahren ist. Diese Instrumente sind nicht erhalten, Abbildungen jedoch schon. Anders sieht es bei einer Zusammenstellung von chinesischen Instrumenten aus, die 1902 in den Bestand kamen. Hier sind einige wenige erhalten, deren konkrete Erforschung noch aussteht. Eine Übersicht informiert von 1923 bis 1945 darüber, welche Instrumente überhaupt noch erhalten sind. Für den Katalog wurden die Quellen der Ankäufe so detailliert wie möglich wiedergegeben. Bislang konnte zu etwa 30 Instrumenten kein Vorbesitzer ermittelt werden. Darunter sind klassische, europäische Instrumente ebenso wie solche aus Syrien, Persien und Ostafrika. Ersten Hinweisen auf Entzug von Kulturgut aus jüdischem Besitz wurde so weit möglich nachgegangen, sie führen bislang zu keinen Instrumenten der Sammlung.
Notwendig ist es, die weitere Aufarbeitung als festen Bestandteil der täglichen Arbeit zu etablieren, die Sammeltätigkeit ist ja nicht abgeschlossen. Es liegt Expertise vor, die Strukturen der Bereitstellung sind bekannt, die Methoden und Werkzeuge der Provenienzforschung sind allerdings nachhaltig in die wissenschaftliche Arbeit einzugliedern. Zumeist geht dies jedoch im Alltagshandeln unter, sodass Drittmittelprojekte eine Alternative darstellen und in vielen Einrichtungen wertvolle Arbeit ermöglichen. Oftmals bleiben aber die Ergebnisse aufgrund der kurzen Laufzeiten oder weil der Stundenanteil der Expertinnen und Experten zu klein ist, unabgeschlossen. Das Thema ist zu wichtig, und es muss sinnvoll und dauerhaft weiterentwickelt werden. Begreifen wir Provenienzforschung als bleibende Aufgabe, müssen wir die notwendigen Kapazitäten bereitstellen können. So wie wir verstanden haben, dass die Digitalisierung dauerhafter Bestandteil unserer Arbeit ist, so sollten wir auch mit der Provenienzforschung verfahren. Hierfür sind bleibende Strukturen notwendig.