Der Aachener Dom wurde 1978 als erste deutsche Kulturstätte in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. 793 bis 813 als Palastkapelle Karls des Großen erbaut, wurde er nur ein Jahr später zur Grabstätte des Kaisers. Der Dom gilt als künstlerisches und architektonisches Meisterwerk und Symbol des Wiederaufstiegs Westeuropas nach dem Ende des Römischen Reiches.

 

Ludwig Greven: Der Aachener Dom hat eine Geschichte von 1200 Jahren. Macht es Sie ehrfürchtig, für ihn verantwortlich zu sein? Oder ist es eine Last?

Jan Richarz: Beides. Dombaumeister zu sein, ist unter Denkmalpflegern etwas Besonderes, sehr viel mehr gibt es da nicht. Wo sonst kann man für ein Gebäude zuständig sein, das Weltkulturerbe ist, und gleichzeitig für alle Fragen vom Fugenmörtel bis zur politischen Ebene? Das ist eine enorme Verantwortung. Als sich mein Vorgänger von mir verabschiedete, habe ich den Dom angeschaut und gesagt: »So, jetzt passe ich auf Dich auf.« Da hatte ich Gänsehaut. Aber man gewöhnt sich dran. Wenn ich nun morgens zur Arbeit radle, denke ich mir: »Gott sei Dank, er steht noch!«

 

Hatten Sie nach dem Brand von Notre Dame Alpträume, dass so etwas Ihrem Dom passiert?

Ich war damals noch nicht im Dienst, aber möglich ist das immer. Allerdings sind wir sehr gut vorbereitet. Im Dom ist bereits 1928 eine Feuerlöscheinrichtung eingebaut worden. Wir werden die Schutzmaßnahmen jetzt noch einmal deutlich verbessern. Der Dom hat immerhin schon einen Luft- und einen Bodenkrieg überstanden. Darauf kann man vertrauen. Die Substanz scheint also recht gut zu sein, um auch einen Brand vertragen zu können. Nach dem Brand von Notre Dame wurde bei uns eine Video-anlage installiert, die Flammen sofort erkennen soll. Und wir haben auch Wärme- und Rauchmelder.

 

Bereiten Sie sich auch auf einen möglichen neuen großen Krieg in Europa vor?

Das ist Teil des Weltkulturerbe-Managements. Es gibt dazu genaue Pläne. Die werden immer wieder überarbeitet. Das ist sensibel, weil es natürlich auch Angriffspunkte liefert. In der Ukraine ist das sehr konkret. Das beziehen wir angesichts der politischen Situation mit ein.

 

Welchen Aufwand müssen Sie ständig betreiben, um Schäden zu beseitigen?

Das hängt vom Material ab. Unser Mauerwerk ist heterogener als zum Beispiel beim Kölner Dom. Wir haben 23 Gesteinsarten, die alle unterschiedlich auf Umwelteinflüsse reagieren. Durch die karolingische Bauweise haben wir jedoch den Vorteil, dass damals viel mit Kalk gebaut wurde. Der kann sehr gut mit den Einflüssen der Atmosphäre umgehen. Schwierig sind die gotischen Bauteile in den Seitenkapellen und der Vorhalle. Da wurde viel Sandstein benutzt, der ist sehr anfällig. Im Moment erneuern wir den Verfugmörtel und beheben dabei die Fehler der letzten Jahrzehnte, in denen viel mit Zementmörtel gearbeitet wurde. Den entnehmen wir, denn der ist viel zu hart. Es bilden sich Lücken, wo Wasser eindringen kann. Allein um die Chorhalle herum braucht das fünf Jahre. Und es gibt weitere Baustellen.

 

Haben Sie dafür genügend Leute?

Der Aachener Dom ist kleiner als der Kölner, demzufolge haben wir wesentlich weniger Mitarbeiter. Deshalb müssen wir Firmen von außen einspannen. Das große Glück des Weltkulturerbes ist, dass wir die nötigen Mittel bekommen. Ich kann genau auswählen, welche Arten von Mörtel und Steinen ich nutzen möchte, und ich kann Vorgaben machen, wie es ausgeführt wird. Wir haben den Anspruch, richtig gute Denkmal-pflege zu machen.

 

Finden Sie noch Handwerker für diese speziellen Tätigkeiten?

Wir haben nur drei gute Handwerker, dazu eine halbe Bautechnikerstelle, eine Viertel-Sekretariatsstelle, eine halbe Projektstelle für das Weltkulturmanagement und zwei Studenten, die sich um die Digitalisierung alter Pläne kümmern. Und wir sind auch noch für viele andere Gebäude verantwortlich, zum Beispiel für die Schatzkammer und den Kreuzgang. Wir machen alles, von der Steckdose bis zu den großen Sachen am Dom. Dafür setzen wir auf Spezialfirmen. Das Bauhüttenwesen steht auch auf der Liste des immateriellen Kulturerbes.

Wir haben den Auftrag, die Kunst der Dombauhütten weiterzutragen. Deshalb arbeiten wir viel mit den örtlichen Handwerkskammern zusammen. Junge Tischler, Maurer oder Zimmerleute schleusen wir einmal im Jahr durch den Dom, um bei ihnen Interesse zu wecken.

 

Bekommen Sie durch die UNESCO-Auszeichnung leichter Gelder?

Wir sind in Nordrhein-Westfalen Teil eines Programms für besonders förderungswürdige Großkirchen. Dennoch muss ich immer die Gelder beantragen. Zusätzlich erhalten wir Mittel für große Vorhaben wie etwa die Brandmeldeanlage oder eine neue Elektroanlage. Ganz wesentlich ist, dass wir den Dombauverein haben, der aktiv Gelder gewinnt, weil wir ein Weltkulturerbe sind. Dennoch ist es immer zu wenig. Ich kann mich oft nur um sehr akute Schäden kümmern. Wünschenswerte wäre, vor den Schaden zu kommen. Das ist die große Schwierigkeit.

 

Welche Schäden richten Besucher an?

Ein großes Thema bei den Welterbestätten ist der »Overtourism«. Die vielen Gäste, die nur deshalb kommen, weil es ein Weltkulturerbe ist, sind durchaus eine Gefahr. 1,3 bis 1,4 Millionen Besucher pro Jahr sorgen für einen enormen Materialabtrag. Aber natürlich möchten wir der Öffentlichkeit weiterhin dieses wunderbare sakrale Gebäude zeigen und seine einzigartige Geschichte vermitteln, das verstehen wir als unseren Auftrag.

 

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2025.