Was Welterbe sein kann, ist so vielfältig wie die Kulturen und Naturlandschaften unserer Welt. So gehören Altstädte, Kulturlandschaften, archäologische Stätten, Sakralbauten und Industriedenkmäler ebenso zum UNESCO-Welterbe wie Wildnisgebiete, Bauten der Moderne und Zeugnisse der Erdgeschichte. Diese Vielfalt findet sich auch in Deutschland: vom Aachener Dom über die Fossilienfundstätte Grube Messel, die Altstadt von Quedlinburg und die Zeche Zollverein im Ruhrgebiet bis hin zu den transnationalen Stätten der prähistorischen Pfahlbauten rund um die Alpen und dem Wattenmeer in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden als grenzüberschreitendes Welterbe.

Ausgangspunkt für die Welterbe-Idee ist eine bis heute einzigartige internationale Solidaritätskampagne. Als 1964 die Tempel von Abu Simbel in Ägypten durch den Bau des Assuan-Staudamms von Überflutung bedroht waren, setzten sich viele Staaten in internationaler Zusammenarbeit dafür ein, die Tempel zu verlegen und so zu retten. Damit war die Idee des Welterbes geboren: Die Tempel von Abu Simbel zu bewahren, war nicht ausschließlich im Interesse Ägyptens, sondern im Interesse der gesamten Menschheit. Da sich dieser Gedanke nicht nur auf die Tempel von Abu Simbel anwenden lässt, sondern auf Stätten in der gesamten Welt, kam es in der Folge zur Verabschiedung der Welterbekonvention durch die UNESCO im Jahr 1972, die bis heute die Grundlage für das Welterbe-Programm der UNESCO bildet.

Dieses Programm umfasst mittlerweile mehr als 1.200 Welterbestätten in fast 170 Ländern. Davon befinden sich aktuell 54 ganz oder teilweise in Deutschland. Allen Welterbestätten gemeinsam ist ihr »außergewöhnlicher universeller Wert«, dessen Nachweis Voraussetzung ist, um als Welterbestätte in die Welterbeliste eingeschrieben zu werden. Dieser leitet sich aus zehn Kriterien ab, von denen die Welterbestätte mindestens eins erfüllen muss. Zu diesen Kriterien gehört zum Beispiel, dass die Stätte ein Zeugnis herausragender menschlicher Schöpferkraft ist; oder sie ist besonders bedeutsam für einen historischen Zeitraum oder stellt für ein spezielles Kulturgebiet einen wichtigen Schnittpunkt menschlicher Entwicklung in Sachen Architektur, Technik, Großplastik, Städtebau oder Landschaftsgestaltung dar. Im Bereich des Naturerbes müssen die Stätten zum Beispiel überragende Naturerscheinungen sein oder Gebiete von außergewöhnlicher Naturschönheit aufweisen.

Weitere Voraussetzungen für eine mögliche Eintragung einer Stätte in die Welterbeliste durch das in der Regel einmal im Jahr tagende Welterbekomitee ist die historische Echtheit (Authentizität) bei Kulturerbestätten und die Unversehrtheit (Integrität). Zudem muss der Vertragsstaat, auf dessen Gebiet die Stätte liegt, ein Managementsystem nachweisen, das in einem Managementplan verschriftlicht sein sollte. Welche Stätten für die Welterbeliste nominiert werden, entscheiden die Vertragsstaaten eigenständig. Sie führen ihrerseits Vorschlagslisten mit Stätten, so genannte Tentativlisten. Für die dort geführten Stätten wird die Aufnahme in die Welterbeliste beantragt, aber immer nur höchstens eine pro Land und Jahr. Vertragsstaaten sind nicht verpflichtet, jährlich Stätten aus ihrer Tentativliste in den Nominierungsprozess zu geben. Wenn transnationale Einschreibevorhaben dazu kommen, die unter der Federführung eines anderen Vertragsstaats laufen, so kann es jedoch auch sein, dass in einem Jahr ein Land zwei oder mehr neue Welterbstätten dazubekommt. Dies ist in Deutschland zuletzt im vergangenen Jahr geschehen, als neben dem Residenzensemble Schwerin auch die Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine in Sachsen als Erweiterung der bereits seit 2015 bestehenden Welterbestätte Christiansfeld in Dänemark unter der Federführung der USA und dem Namen »Moravian Church Settlements« eingetragen wurden. Zusammen mit den Komponenten in Dänemark, Deutschland, Irland und den USA bilden sie nun eine Welterbestätte.

Das gesamte Nominierungs- und Einschreibeverfahren ist stets ein mehrjähriger Prozess, an dem verschiedene staatliche und nichtstaatliche Akteure und Organisationen beteiligt sind. In Deutschland sind im Kulturerbe-Bereich – aufgrund der Kulturhoheit der Länder – die Bundesländer in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und der Kultusministerkonferenz (KMK) dafür zuständig und haben damit auch das Nominierungsrecht. Gleichzeitig tragen sie die finanziellen Verpflichtungen, die sich aus der Aufnahme von Stätten in die Welterbeliste ergeben. Anträge werden daher zunächst von der antragstellenden Stätte in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Ressort des jeweiligen Landes bearbeitet. Dabei erarbeiten sie eine genaue Beschreibung des außergewöhnlichen universellen Wertes der Stätte und legen einen ausführlichen Managementplan vor. Sind alle Abstimmungen getroffen, leitet das Auswärtige Amt das Nominierungsdossier über die Ständige Vertretung Deutschlands bei der UNESCO in Paris an die UNESCO weiter. Dort, aber auch schon im Vorfeld, gibt es fest definierte Verfahrensschleifen, in denen die einschlägigen Beraterorganisationen der UNESCO, ICOMOS (Internationaler Rat für Denkmalpflege) und IUCN (Internationale Naturschutzunion) den Antrag prüfen. Neben diesen beiden Organisationen unterstützt ICCROM (Internationale Studienzentrale für die Erhaltung und Restaurierung von Kulturgut) die UNESCO bei Welterbe-Themen und setzt sich für Forschung und Training in Erhaltungsfragen ein.

Auf der Grundlage der Empfehlungen von ICOMOS und IUCN trifft das Welterbekomitee die endgültige Entscheidung über die Aufnahme in die Welterbeliste. Damit gehen der Vertragsstaat und die Weltgemeinschaft die Verpflichtung ein, diese außergewöhnlichen Stätten zu schützen, zu erhalten und ihren Wert zu vermitteln. Diesen Geist trägt das UNESCO-Welterbekomitee weiter, wenn es in seinen jährlichen Sitzungen über Neuaufnahmen in die Welterbeliste entscheidet und den Erhaltungszustand der anerkannten Welterbestätten überprüft.

Es ist wichtig zu betonen, dass das Welterbekomitee auch über neuere Entwicklungen im Welterbe, Anpassungen der Durchführungsrichtlinien, den Erhaltungszustand von Welterbestätten und Maßnahmen der Abhilfe sowie mögliche Ein- und Austragungen in der Liste des gefährdeten Welterbes berät und kein reines »Einschreibungsgremium« ist, wie es manchmal verkürzt dargestellt wird. Bei Welterbekomitee-Sitzungen werden die Leitlinien und Vereinbarungen definiert, an denen sich das Welterbe-Programm ausrichtet und die für alle Vertragsstaaten verbindlich sind. Nach einem festgelegten Schlüssel sind immer 21 Länder im Komitee vertreten. Diese Länder wurden zuvor von der Generalversammlung der Vertragsstaaten für vier Jahre gewählt. Deutschland war zuletzt von 2011 bis 2015 Mitglied im Welterbekomitee, und ich hatte als damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt 2015 das Vergnügen, die Welterbekomitee-Sitzung in Bonn leiten zu dürfen. Insgesamt haben 196 Staaten die Welterbekonvention unterzeichnet.

Neben Schutz und Erhalt der Welterbestätten ist es von gleichwertiger Bedeutung zu vermitteln, was Welterbe ist und warum Welterbe für uns alle als völkerverbindendes, friedenserhaltendes und nachhaltig angelegtes Programm so wichtig ist. Ziel ist es, Welterbestätten für die Zukunft zu erhalten und vor möglichen Bedrohungen wie Verfall, Klimawandel, Naturkatastrophen oder Bebauung zu schützen, und dies kann nur gelingen, wenn allen ihr besonderer Wert bewusst ist. Die Welterbekonvention kann aufgrund ihrer Bekanntheit, der Zahl ihrer Vertragsstaaten und ihrer ausgefeilten Durchführungsrichtlinien als eines der erfolgreichsten internationalen Schutzinstrumente für Natur- und Kulturerbestätten bezeichnet werden.

Welterbestätten sind sowohl für Menschen vor Ort als auch für Touristinnen und Touristen von großer Bedeutung. Das zeigt sich auch an den Welterbestätten in Deutschland, die sich großer Beliebtheit erfreuen und zahlreich besucht werden. Einen besonderen Tag, um sich mit dem Welterbe in Deutschland auseinanderzusetzen, koordiniert die Deutsche UNESCO-Kommission seit 2005 gemeinsam mit dem Verein der deutschen Welterbestätten. Jeden ersten Sonntag im Juni laden wir gemeinsam mit allen Welterbestätten in Deutschland dazu ein, das Welterbe bei einem umfangreichen Sonderprogramm zu feiern und zu entdecken. In diesem Jahr findet die zentrale Eröffnungsfeier in Hildesheim statt, 2024 wurde die Eröffnung in der Völklinger Hütte gefeiert.

Schützen und Erhalten und dabei die Welterbe-Idee bekannt zu machen, sind die zentralen Anliegen des UNESCO-Welterbes, das zugleich ein völkerverbindendes, für Frieden werbendes Programm ist. Es gibt uns allen einen klaren Auftrag: Nur wenn wir verantwortungsbewusst mit unserem Erbe umgehen, können wir es an künftige Generationen weitergeben.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2025.