Die Altstädte von Stralsund und Wismar wurden 2002 gemeinsam in die Welterbeliste eingeschrieben, als beeindruckende Beispiele der Backsteingotik und der schwedisch geprägten Barockzeit. Sie repräsentieren den Reichtum, den regionalen Einfluss und die Macht der Hanse.

 

Ludwig Greven: Welche Bedeutung hat es für Stralsund und seine Bewohner, dass die Altstadt gemeinsam mit der von Wismar seit 2002 Weltkulturerbe ist?

Steffi Behrendt: Stralsund und Wismar wurde weltweite Bedeutung zuerkannt. Die Städte sind Teil eines globalen Netzwerks geworden, und damit haben sich neue Perspektiven eröffnet.

Der Anerkennung ist ein längerer Prozess vorausgegangen. Die Stadtgesellschaft und die Bürgerschaft haben sich dazu bekannt, den Weg der Welterbe-Bewerbung zu gehen, und ihn aktiv unterstützt. Gleichzeitig wurden in jener Zeit große Anstrengungen unternommen, die Altstadt zu sanieren. Bis zur Wende war sie dem Verfall preisgegeben. Viele Gebäude waren kaum noch bewohnbar. Mit der Stadterneuerung nach der Wende sah man, dass hier einerseits etwas vorangeht, und dass das, was wir haben, andererseits nicht nur für uns, Mecklenburg-Vorpommern und Deutschland, sondern für die gesamte Menschheit eine Bedeutung hat. Insofern waren die Unterstützung und das Engagement vieler Akteure sehr stark. Als die Altstadt dann in die Welterbeliste aufgenommen wurde, war die Freude groß. Man spürte, es ist auch Anerkennung für das bisher Geleistete.

 

Was ist das Besondere an Stralsund, im Unterschied zu anderen Hansestädten an der Ostsee?

Stralsund und Wismar sind Beispiele für typische mittelalterliche Hansestädte. Sie haben ihre Stadtgrundrisse mit dem Gefüge aus Straßen, Quartieren, Plätzen und Grundstücken bis heute bewahrt. In beiden Städten sind sehr viele Gebäude aus verschiedenen Epochen erhalten, darunter Giebelhäuser, Klöster, das Rathaus und aus Backstein errichtete Pfarrkirchen. Es gibt viel authentische Bausubstanz. Das ist ein wichtiges Kriterium für die UNESCO. Ihre fast 200-jährige Zugehörigkeit zum schwedischen Königreich im 17. und 18. Jahrhundert machte Stralsund und Wismar zu wichtigen Festungen und Verwaltungszentren. Zeugnisse dieser Zeit wie barocke Palais und Wallanlagen sind noch zu finden. Der Untergrund beider Altstädte ist außerdem ein Bodendenkmal.

 

Etwas Besonderes ist auch, dass Sie gemeinsam mit Wismar Weltkulturerbe sind. Wie läuft die Zusammenarbeit?

Beide Städte haben jeweils eine Welterbe-Managerin. Wir kooperieren in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit, informieren auf einer gemeinsamen Webseite und in Publikationen regelmäßig über unsere jeweiligen und gemeinsamen Aktivitäten und organisieren Veranstaltungen.

In beiden Städten gibt es Besucherzentren, in Stralsund seit 2011 in Form der Welterbe-Ausstellung. Beide Städte haben außerdem die Deutsche Stiftung Welterbe gegründet, um andere Länder dabei zu unterstützen, Welterbe-Bewerbungen auf den Weg zu bringen oder Welterbestätten zu erhalten. Die Bürgermeister beider Städte bilden den Stiftungsvorstand. Jedes Jahr kommen im Rahmen eines regelmäßigen Monitorings Vertreter von ICOMOS, dem Internationalen Rat für Denkmalpflege, um sich über Vorhaben in den Altstädten zu informieren. Alle sechs Jahre sind wir aufgefordert, der UNESCO im so genannten Periodic Reporting umfangreich zu berichten. Auch hierbei stimmen wir uns eng ab.

 

Wie sehr schränkt der Welterbestatus die Entwicklung der Stadt ein?

Um unsere Altstadt zu schützen, gibt es rechtliche Leitplanken, in denen wir uns bewegen. Grundlage ist der Managementplan. Stralsund hat vielfältige Schutzinstrumente, darunter Satzungen, aber auch Gremien installiert. Alles, was verändert oder neu geplant wird, ist mit uns abzustimmen. Mit dem Blick der Welt, der auf Welterbestätten liegt, ist besonders gefordert, dass Sanierungen und Neubauten im Einklang mit den überkommenen Werten stehen. Uns ist wichtig, dass wir zeitgenössisch bauen. Die Attraktivität einer Stadt lebt auch von den Potenzialen der weiteren Entwicklung. Mit dem Welterbe-Status sind weiterhin große Vorhaben möglich, wie das Ozeaneum auf der Hafeninsel zeigt. Jede Generation möchte ihre Spuren hinterlassen. Das war in den vergangenen Jahrhunderten auch so.

 

Müssen Sie jedes Bauvorhaben von der UNESCO genehmigen lassen?

Nein, nur über große Vorhaben, die Einfluss auf den Welterbestatus haben könnten, müssen wir sie informieren. Die Verantwortung für den behutsamen Umgang mit dem Welterbe haben wir auf der lokalen Ebene übernommen. In der Regel erhalten wir Entwürfe, die sich in diesem Rahmen bewegen. Wenn nicht, bemühen wir uns, eine verträgliche Lösung zu finden. Dabei hilft uns der Gestaltungsbeirat.

 

Wie verhindern Sie dennoch, dass die Stadt durch den Welterbestatus zum Museum wird?

Indem wir die vielen Funktionen der Altstadt stärken und uns nicht einseitig auf eine touristische Nutzung fokussieren. Dazu zählen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Gastronomie, Kultur und Freizeitgestaltung. Wichtig ist eine gute Mischung und Ausgewogenheit für die Bewohner und unsere Gäste, damit es ein lebendiger Stadtraum bleibt.

 

Funktioniert das?

Ja, die Einwohnerzahl in der Altstadt hat sich von 3.000 am Tiefpunkt Mitte der 1990er Jahre auf aktuell 6.000 verdoppelt. Und die Altstadt ist der jüngste Stadtteil mit einem Altersdurchschnitt von 37 Jahren.

 

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2025.