Was haben die Waldsiedlung Zehlendorf, die Fundstätte der Schöninger Speere, das Pretziener Wehr, die Europäischen Großbogenbrücken des 19. Jahrhunderts, die Keltischen Machtzentren der älteren Eisenzeit nordwestlich der Alpen, der Fernsehturm Stuttgart, der Olympiapark München mit dem Natur- und Kulturraum Grünes Band gemeinsam? Sie stehen alle auf der Tentativliste der Kulturministerkonferenz für eine Nominierung zum UNESCO-Welterbe.

Dabei hat die Waldsiedlung Zehlendorf schon den nächsten Sprung geschafft, sie soll in diesem Jahr nominiert werden. Die Waldsiedlung Zehlendorf ist die Erweiterung der bereits existierenden Welterbestätte Wohnsiedlungen der Moderne. Die Fundstätte der Schöninger Speere ist für das Jahr 2026 vorgesehen und die anderen genannten potenziellen Weltkulturerbestätten für die nachfolgenden Jahre. Die Kulturministerkonferenz hat die Tentativliste entsprechend den Empfehlungen des von ihr eingerichteten Fachbeirats verabschiedet. Dieser internationale besetzte Fachbeirat hatte insgesamt 21 Anträge aus 13 Bundesländern zu prüfen und empfahl nach einer ersten Prüfung der eingereichten Unterlagen und der sich daran anschließenden Vorortprüfung, die oben genannten potenziellen Weltkulturerbestätten auf die Tentativliste zu setzen. Zugleich verteilte der Fachbeirat Hausaufgaben. Alle Anträge waren noch verbesserungsbedürftig, bevor eine Vorlage bei der UNESCO erfolgen kann.

Der Natur- und Kulturraum Grünes Band hat insofern einen Sonderstatus, als dass es als UNESCO-Naturerbe mit der Option der Erweiterung um den Kulturteil als gemischte Welterbestätte der Kulturministerkonferenz vorgelegt wurde und die Kulturministerkonferenz diesem Vorschlag folgte. Darüber hinaus fand beim Natur- und Kulturraum Grünes Band noch keine Vorprüfung durch einen Fachbeirat statt. Gleichwohl ist es ein deutliches Signal, dass der Natur- und Kulturraum Grünes Band überhaupt den Sprung auf die Tentativliste geschafft hat. Schließlich wurden von den eingereichten 21 Vorschlägen in der Vorprüfung 15 vom Fachbeirat abgelehnt. Hier wurde empfohlen, andere Auszeichnungen wie z. B. das Europäische Kulturerbesiegel oder andere anzustreben.

 

Einmaligkeit

Der Natur- und Kulturraum Grünes Band beeindruckt bereits mit seiner Länge. Beginnend an der Ostsee zieht er sich durch von Nord nach Süd durch die gesamte Bundesrepublik bis zum bayrisch-sächsisch-tschechischen Grenzgebiet. Er hat insgesamt eine Länge von 1.378 km und schließt Berlin natürlich ein.

Der Natur- und Kulturraum Grünes Band markiert die ehemalige deutsch-deutsche Grenze und steht damit symbolisch für die Konfrontation der beiden militärischen Blöcke NATO und Warschauer Pakt nach dem 2. Weltkrieg. Diese Grenze durchschnitt Deutschland der Länge nach und unterschied sich damit von anderen Grenzen, die Staaten voneinander trennen, oder auch von Grenzen in Gebieten, in denen wechselnde staatliche Zugehörigkeit in die Geschichte eingeschrieben sind wie etwa dem Elsass oder Lothringen.

Die deutsch-deutsche Grenze zerschnitt Familien, Wirtschaftsbeziehungen, Bergbaugebiete, Flüsse und anderes mehr. Die Grenzanlagen auf der östlichen Seite, also der damaligen DDR, ähneln eher Befestigungsanlagen als einer Grenze. Galt es doch in erster Linie, die Bevölkerung an der Flucht aus dem eigenen Land zu hindern. Die Grenze auf der westlichen Seite war oftmals nicht eindeutig erkennbar, wurde doch über Jahrzehnte hinweg vor allem auf Schildern mit »Halt hier Zonengrenze« vor dem Weitergehen gemahnt.

Der Fall der Berliner Mauer, der zugleich die Öffnung der Grenzübergänge von Lübeck bis nach Hof bedeutete, war ein Ereignis großer Freude. Menschen, die über Jahrzehnte getrennt waren, lagen sich in den Armen. Mit Neugierde wurde sich begegnet. Der Ausspruch »Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört« fasst die Euphorie der ersten Zeit zusammen.

Heute scheint die Grenze manchmal höher und breiter zu sein, als es anfangs vermutet wurde. Ablesbar beispielsweise am Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl. Die ehemalige deutsch-deutsche Grenze kann am Erststimmenergebnis nachgezeichnet werden.

Naturseitig ist im Natur- und Kulturraum vieles zugewachsen, um nicht zu sagen überwachsen. Wer mit dem Fahrrad die ehemalige Grenze entlang fährt, fragt sich bei der Betrachtung und beim Genießen der Natur manchmal, ob er nun in Ost- oder in West-Deutschland ist. Gerade weil den Grenzraum über vierzig Jahre, abgesehen von den Grenzsoldaten, niemand betreten durfte, konnte sich schon während der Teilung ein Naturreservat von herausragender Bedeutung herausbilden. Hier war eben keine Industrialisierung der Landwirtschaft oder Ansiedlung von Industrieunternehmen möglich. Nach der Grenzöffnung war es der BUND, der mit sehr viel bürgerschaftlichem Engagement dafür Sorge trug, das Bewusstsein für diesen einmaligen Naturraum zu schärfen und sich für den Schutz, bis hin zum Kauf von Flächen, einzusetzen.

Was auf der Naturseite positiv zugewachsen ist, muss kulturseitig offengelegt werden. Zum einen geht es um den materiellen Schutz der Grenzüberreste, also der Verhinderung des Überwachsens. Hier wurde bereits vieles erfasst und von den Denkmalschutzbehörden unter Schutz gestellt. Das ist das eine, was für die Anerkennung als Weltkulturerbe bedeutsam ist. Schließlich geht es um die Anerkennung als materielle UNESCO-Welterbestätte.

Freigelegt werden muss aber wesentlich mehr. Es geht um Erinnerungsschichten und um eine Gedächtnislandschaft. Vierzig Jahre Teilung bedeuten nicht nur vier-zig Jahre unterschiedliches Arbeiten und Leben, in denen sich verschiedene Mentalitäten ausgeprägt haben. Vierzig Jahre Teilung bedeuteten beispielsweise das Zuschütten von Stollen, das Zerschneiden der Wasserversorgung im Harz und im Harzvorland. Vierzig Jahre Teilung waren vierzig Jahre Umweltverschmutzung zu beiden Seiten der Grenze. Die Bundesrepublik plante im Salzstock in Gorleben ihr Atomendlager, der Stätte, die im Übrigen inzwischen als Atomlagerstätte aufgrund des geologischen Aufbaus definitiv ausgeschlossen ist. Die DDR hatte auf ihrer Seite das Endlager Morsleben. Die Kohlekraftwerke in Helmstedt sollten mit dem Westwind die Abgase in die DDR wehen. Die umweltschädlichen Rückstände des Kalibergbaus mündeten von Ost nach West schließlich in die Weser. Das fränkisch-thüringische Spielzeugviertel wurde zerschnitten. In der Lübecker Bucht entstand ein touristischer Hochhauswettbewerb zwischen hüben und drüben.

Das Genannte sind lediglich Beispiele für die sich in vierzig Jahren Teilung entwickelten Unterschiede. Am Natur- und Kulturraum Grünes Band kann gelehrt und gelernt werden, wie sich mit der sehr unterschiedlichen Entwicklung in zwei deutschen Staaten nach 1949 auseinandergesetzt wurde und wie sich eine gemeinsame Geschichte erarbeitet werden kann. Hierzu gehört die Auseinandersetzung mit den materiellen Artefakten wie dem Kolonnenweg, Grenzsteinen und Wachtürmen und ebenso die intensive Befassung mit der Geschichte. Einige Gedenkstätten wie z. B. Marienborn legen neben der Erinnerung an den Transit zwischen Ost und West auch das Gedenken an NS-Zwangsarbeit frei. Auch hier lohnt sich im Rückblick die Reflexion der unterschiedlichen Erinnerungskultur in Ost und West.

Bei allem Trennenden, Schmerzlichen und Schwierigen steht der Natur- und Kulturraum Grünes Band ebenso für Demokratie, für die Überwindung der Teilung ohne einen Schuss, für den Freiheitswillen vieler Menschen in Ostdeutschland. Hierauf können wir alle stolz sein, und es würde sich lohnen, bei allem Klagen über Unterschiede und Verwerfungen zwischen Ost und West zu verdeutlichen, dass die Überwindung der Teilung auch ein großer Akt der Solidarität war und ist. Und vielleicht ist es auch gar nicht schlimm, wenn so mancher Mentalitätsunterschied bleibt, schließlich unterscheiden sich die Menschen im äußersten Norden Deutschlands auch von denen im Süden. Und erst kürzlich war zu lesen, dass sich sogar anhand des Limes Unterschiede mit Blick auf die Lebenszufriedenheit feststellen lassen. Wie schön, dass ich von der römischen Seite des Limes stamme.

 

Föderalismusband

Der Natur- und Kulturraum Grünes Band begrenzt zehn Länder. D. h. die Mehrzahl der Länder in der Bundesrepublik ist unmittelbar für diesen einmaligen Natur- und Kulturraum verantwortlich. Es spricht für seine Bedeutung, dass das Grüne Band zunächst ohne die obligatorische Vorprüfung von der Ländergemeinschaft auf die Tentativliste genommen wurde. Es zeugt vom Bewusstsein aller Länder für die einmalige und international herausragende Bedeutung dieses Natur- und Kulturraums.

Zusammen mit dem BUND arbeitet der Deutsche Kulturrat seit Anfang dieses Jahres und noch bis September 2027 daran, das Bewusstsein für den Natur- und Kulturraum zu heben, seine Besonderheit zu präzisieren und herauszustellen und vor allem den Dialog mit unterschiedlichen Akteuren zu suchen und zu pflegen. Mit den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung der Länder und der Kommunen, mit den Akteuren aus Kultur und Umweltschutz, mit der Wissenschaft, mit der Denkmalpflege und vielen anderen mehr. In Regionalkonferenzen wollen wir Themen und Thesen zur Diskussion stellen und freuen uns auf den Dialog. Diese Regionalkonferenzen sollen auch dazu dienen, den außergewöhnlichen universellen Wert des Natur- und Kulturraums Grünes Band noch klarer herauszuarbeiten und herauszustellen. Damit wollen Deutscher Kulturrat und BUND ihren zivilgesellschaftlichen Beitrag im Nominierungsprozess als UNESCO-Welterbestätte leisten. Die Vorprüfung und die Nominierung obliegen den Ländern. Doch für uns gilt, der Weg ist das Ziel.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2025.