Zum Weltkulturerbe Weimar gehören sowohl die Weimarer Klassik, seit 1978 auf der UNESCO-Welterbeliste, mit den Wohnhäusern von Goethe und Schiller, der Anna-Amalia-Bibliothek und Schlössern und Parks, als auch Stätten des Bauhauses und der Nachlass von Friedrich Nietzsche. Goethes handschriftlicher Nachlass ist seit 2001 Teil des Programms »Gedächtnis der Menschheit«.
Ludwig Greven: Frau Köppel, welche Bedeutung hat es für Ihre Arbeit, dass Weimar zwei UNESCO-Weltkulturerbe besitzt, das »Klassische Weimar« von Goethe, Schiller, Herder und eine Bauhaus-Stätte?
Ulrike Köppel: Das ist ein großes Glück. Es zeigt den universalen Wert, den Weimar verkörpert. Den stellen wir für die Tourismuswerbung ins Schaufenster. Die UNESCO hat ausgezeichnet, was die Stadt ausmacht. Unser Marketing bezieht sich stark auf diese Themen – sowohl das klassische Weimar als auch das Bauhaus. Viele andere Weimarer Kapitel beziehen sich darauf.
Wie viele Gäste kommen jedes Jahr nach Weimar, um die Häuser von Goethe und Schiller, ihre Nachlässe, das Bauhaus und die anderen Kulturstätten wie die Stadtkirche zu besichtigen?
2024 kamen 4,5 Millionen Gäste. Allein 700.000 besuchten die Museen der Klassikstiftung, 181.000 die des Bauhauses und der Weimarer Moderne. Die meisten kommen nicht wegen des einen oder des anderen, sie verbinden das. Im Unterschied zu vielen anderen Städten hatten wir 2024 ein deutliches Plus bei den Übernachtungen. Doch nicht nur Bauhaus und Klassik ziehen die Besucher an: Viele Schulklassen und internationale Touristen kommen auch wegen des neuen Museums zur Zwangsarbeit und der KZ-Gedenkstätte Buchenwald.
Ist es ein Nachteil, dass Weimar in erster Linie als Ort einer großen kulturellen Vergangenheit gesehen wird, nicht so sehr einer attraktiven Gegenwart?
Das ist zum Glück nicht so. Gerade haben wir einen Markendiskurs abgeschlossen. Ein Jahr lang haben wir Gäste befragt, wie sie Weimar erleben. Dabei kam heraus, dass sie die Stadt als sehr heutig und lebendig sehen – mit vielen Kulturangeboten, Ausstellungen und erholsamen Parks und Gärten. Wir haben eine Universität und eine Musikhochschule mitten in der Stadt. Weimar ist in Summe alles andere als ein »Museumsdorf«.
Welche konkreten Vorteile bringt die Aufnahme in mehrere UNESCO-Listen?
Zunächst ist es eine unschätzbare Marke und ein internationales Label. Es zeigt, welche Bedeutung Weimar für die Welt hat. Es bringt uns in Gemeinschaft mit anderen außergewöhnlichen Kulturorten. Wir tauschen uns untereinander aus. Sowohl die Weltkulturerbe-Betreiber als auch wir Touristiker diskutieren miteinander über den Schutz der Kulturgüter und über die heutige Vermittlung, die zu ihrem besonderen Status passen muss. Trotzdem brauchen wir ganz neue Formen der Ansprache und Präsentation. Da hilft der ehrliche Austausch untereinander ungemein. Anderswo gemachte Erfahrungen werden genutzt und auf die eigenen Gegebenheiten adaptiert.
Gibt es durch die Aufnahme in die UNESCO-Liste auch Beschränkungen, etwa bei der Gestaltung?
Die Klassikstiftung ist sehr progressiv unterwegs. Sie hat zum Beispiel ein grünes Klassenzimmer direkt vor das Stadtschloss gesetzt oder veranstaltet zu Ausstellungseröffnungen Umzüge durch die Stadt. Ausgeschlossen ist aber etwa, dass wir eine große Bühne in den Park an der Ilm bauen und dort ein Heavy-Metal-Festival zulassen. Sicherlich gibt es manchmal Reibungen zwischen dem, was wir gern wollen, und dem, was die Denkmalpflege für möglich hält. Das wird sensibel miteinander abgewogen. Wir wollen ja das schützen, was wir unseren Gästen auch in 100 Jahren noch zeigen möchten. Was uns jedoch beschäftigt, ist das Klima. Die Parks leiden unter den Folgen, die Städte werden heißer. Wir brauchen Beschattungen und Trinkbrunnen. Inzwischen verkürzen wir an Hitzetagen unsere Stadtführungen, weil es Gästen bei 35 Grad im Schatten nicht zuzumuten ist, durch die heiße Stadt zu laufen.
Welche Rolle spielt, dass Weimar auch die Stadt ist, in der die Verfassung für die erste deutsche Demokratie geschaffen wurde – in einer Zeit, in der die Demokratie wieder stark bedroht ist?
Weimar wurde 1919 wegen seiner Vergangenheit und des klassischen Erbes für die Nationalversammlung ausgesucht, aber auch, weil es hier schon seit 200 Jahren Tourismus gibt. Man brauchte für die Delegierten Hotels und Versammlungsräume. Die gab es hier. Seit 2019 haben wir das Haus der Weimarer Republik, das mit einer großartigen Ausstellung von dieser spannenden Zeit zeugt. Bis dahin gab es nur eine Etage im Stadtmuseum und eine Erinnerungstafel am Deutschen Nationaltheater, wo die Verfassung beraten wurde. In der heutigen Zeit mit weltweiter Wirtschaftskrise und einer fragilen Demokratie wird Weimar wieder stark mit den »Weimarer Verhältnissen« konnotiert. Meist wird dabei nur das Scheitern gesehen. Die Errungenschaften, die bis heute Bestand haben, wie Gewerkschaften, Meinungsfreiheit, Frauenwahlrecht gehen in der allgemeinen Krisenberichterstattung leider unter. Die neue Ausstellung zieht viele Besucher an. Weimar ist ein Ort der deutschen Demokratie wie die Frankfurter Paulskirche und das Hambacher Schloss und darüber hinaus ein Bildungsort. Auch darin sehen wir unseren Auftrag.
Vielen Dank.