Was wissen wir über das World Wide Web vor der Zeit von Plattformen und sozialen Netzwerken – das sogenannte »Web 1.0«? Vor allem, dass Menschen ihre persönlichen Homepages komplett selbst gemacht haben. Diese Seiten waren grell, laut und chaotisch. Technisch waren sie nicht kompliziert – man konnte mit einer Standard-Funktion des Browsers den Code anderer Webseiten anzeigen lassen, kopieren und für die eigenen Zwecke anpassen. Das Gleiche galt für Grafiken: JPEGs und GIFs wanderten von einer Seite zur nächsten. Einige wurden so populär, dass sie das Web der 1990er überlebten und heute noch auf Webseiten zu finden sind, die diesen frühen Stil imitieren: Sternenhimmel-Hintergründe, tanzende Menschen und Tiere, glitzernde Bullets und Buttons. Doch eine Grafik stach besonders hervor. Mitte der 1990er war kaum eine Webseite ohne sie denkbar: das »Under Construction«-Schild.

Es symbolisierte die Aufbruchsstimmung, kurz nachdem Wissenschaftler und Ingenieure ihre Arbeit am »Information Superhighway«, der »Datenautobahn«, abgeschlossen hatten. 1993 war das WWW plötzlich für alle da. Ganz normale Leute griffen zu ihren digitalen Werkzeugen und begannen, eigene Straßen und Kreuzungen im Netz zu bauen. Überall wurde gearbeitet, überall war etwas noch nicht fertig: Links führten ins Leere oder zu Seiten, die noch nicht existierten. Deshalb setzte man diese Schilder auf Webseiten, um vor fehlenden Inhalten oder nicht funktionierender Navigation zu warnen.

Manche dieser Schilder waren winzig, andere nahmen das halbe Browserfenster ein. Einige waren animiert wie kurze Filme, andere elegant in das Seitendesign integriert. Manche kindlich, andere brutal – es gab auch viele mit erotischen Motiven. Wer Fan von Simpsons, Pokémon, Akte X usw. war, fand sicher ein passendes »Under Construction«-Bild in einer von Nutzern gepflegten, frei zugänglichen Grafiksammlung oder auf einer anderen Website – oder gestaltete selbst eines und teilte es mit anderen. Die Autorinnen und Autoren fast aller Bilder waren anonym. Nur ein einziges Mal konnte ich den Urheber eines populären Under-Construction-Schilds ausfindig machen – aber auch er sagte, er habe ein bestehendes Bild lediglich animiert und wisse nicht mehr, woher die ursprüngliche Grafik stammt. Eine sehenswerte Sammlung von Schildern sind im Internet zu bewundern. Die Sammlung ist längst nicht vollständig, und dennoch überwältigend.

Mit der Zeit veränderten sich das Web und auch persönliche Homepages, viele wurden funktionaler, professioneller – und der Bedarf, auf fehlende Inhalte hinzuweisen, nahm ab. Doch die Schilder verschwanden nicht. Stattdessen wandelten sie ihre Bedeutung vom Warnhinweis zum Versprechen. Sie konnten auf leeren oder sogar vollständig funktionierenden Seiten erscheinen – als Zeichen für ein wachsendes Projekt. Häufig tauchte nun das neuere Schild »Always Under Construction« auf.

»Always Under Construction« bedeutete nicht, dass die Seite nie fertig wird – sondern signalisierte, dass sich jemand kontinuierlich kümmert und es sich lohnt, regelmäßig zurückzukehren.

Allerdings eignete sich das Schild kaum, um diese Botschaft von ständiger Weiterentwicklung und Veränderung wirkungsvoll zu transportieren. Kaputte Straßen und Baustellen waren keine gute Illustration für Fortschritt. Um 1997 herum war das Symbol bereits nur noch ein Running Gag. Selbst in der Mainstream-Presse hieß es: Das Web sei ohnehin immer im Wandel. Bald hörten die Leute auf, die Schilder zu platzieren.

Einige stilvolle Varianten blieben jedoch: »Diese Seite wird derzeit überarbeitet« wurde zur eleganteren Alternative für blinkende Baustellenlampen. Es entstanden auch neue Methoden, um die kontinuierliche Weiterentwicklung eines Projekts sichtbar zu machen: ein »News«-Bereich auf der Startseite, ein »Zuletzt aktualisiert«-Hinweis oder die absurde, aber äußerst beliebte Idee, einfach eine Echtzeituhr auf der Website einzubauen, um den Eindruck von Präsenz und Aktualität zu erzeugen.

Weder das »Under Construction«-Schild noch die Idee einer permanenten Baustelle schafften es in die damalige professionelle Webgestaltung. Die Vorstellung von Unfertigkeit widersprach dem kommerziellen Grundprinzip von Auftrag und abgeliefertem Ergebnis, bei dem Termine eingehalten und fertige Produkte abgenommen werden müssen.

Um 2005 wurde das Konzept im professionellen Web allerdings aufgegriffen. Immer neue Dienste erschienen fast im Wochentakt. Wegen des starken Wettbewerbsdrucks und des Ziels, die Ersten auf dem Markt zu sein, gingen viele Projekte mit dem Zusatz »Beta« an den Start: Gmail Beta, Flickr Beta, Skype Beta …

Dieser Hinweis war eine Zeit lang üblich, doch bald hatten sich die Nutzer daran gewöhnt, dass kein Onlinedienst je stabil oder »fertig« ist. Alles kann jederzeit überarbeitet, umgestaltet oder sogar abgeschaltet werden. Die Hinweise »Beta« oder »Under Construction« wurden überflüssig, ständiger Wandel zur Normalität.

Wenn man heute ein »Under Construction«-Banner, einen schwarzgelb gestreiften Trenner oder ein Warnschild auf einer Webseite sieht, bedeutet das vor allem eines: Einer vergangenen Ära wird Respekt gezollt. Einer Zeit, in denen Menschen nicht in Plattformen eingeschlossen waren; als es im Web nicht in erster Linie ums Konsumieren ging, sondern ums Gestalten: darum, Designentscheidungen zu treffen, Grafiken zu erstellen, die von anderen übernommen werden konnten, sich gegenseitig zu verlinken – mit anderen Worten, das World Wide Web zu bauen.

Mehr dazu unter: textfiles.com/underconstruction

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.