Was wäre Amateurtheater ohne Partizipation? Eine sehr kurze Antwort lautet: Es wäre nicht existent. Amateurtheatergruppen können nur arbeiten, wenn sich Menschen in einem aktiven Schaffens- und Tätigkeitsprozess ehrenamtlich einbringen und zumindest für einen gewissen Zeitraum kontinuierlich ihre freie Zeit opfern und nutzen, um Theater zu schaffen. Dieses aktive kulturelle Engagement ist das notwendige Rückgrat der Bühnenerlebnisse im Amateurtheater: für ein Publikum, besser unterschiedlichste »Publika« an vielen Orten, ob in entlegenen Landstrichen wie die Freilichtbühne Hallenberg in Hallenberg im Sauerland, oder in dichten Stadträumen wie das Theater »Vineta 1900« in der Neuköllner Oper im Herzen Berlins.

Im Selbst-Aktivsein im Theaterspiel, im Engagement in einer Theatergruppe erfahren Menschen neben Selbstwirksamkeit auch Gemeinschaftswirksamkeit, ein Effekt von Partizipation. Partizipation, Teilhabe, Teilgabe sind Wesensmerkmale, sie bilden die DNA von Amateurtheater. Gleichzeitig handelt es sich um eine Beziehung in Wechselseitigkeit: Wer neu dazukommt, aber sich nicht angenommen fühlt, geht wieder. Und gründet vielleicht selbst eine neue Theatergruppe, zu der wieder weitere Menschen beitragen. Zu den knapp 2.500 im Bund Deutscher Amateurtheater e. V. (BDAT) bundesweit organisierten Theatergruppen kommen immer wieder Neugründungen hinzu.

Ein wesentlicher Aspekt trägt zur Partizipation in Amateurtheatern bei: Im Regelfall gibt es kein »Casting« für die Aufnahme in den Theaterverein. Die oft unausgesprochene Idee dahinter lautet: »Come as you are« (»Komm so, wie du bist«) – anders als bei »Bürgerbühnen«-Angeboten der Stadt- und Staatstheater, die durch Castings für oft befristete Projekte naturgemäß Ausschlüsse von Teilhabe bewirken können. Amateurtheater ermöglichen kontinuierlich und über viele Jahre kulturelle Teilhabe. Die Menschen, die sich dort engagieren, kommen aus verschiedensten Backgrounds, Berufsbereichen, Familienständen, mit unterschiedlichen Lebensläufen, Heimaten. Sie sind unterschiedlich jung, alt oder irgendwo dazwischen. Häufig arbeiten die Theatergruppen von Haus aus generationsübergreifend und tragen so ganz selbstverständlich dazu bei, dass Bänder zwischen verschiedenen Alterskohorten entstehen. Einige bieten in speziellen Kinder- oder/und Jugendtheatergruppen geschützte Räume für die künstlerische Arbeit junger Menschen, manche gründen Theatergruppen speziell für alte Menschen. Nicht von ungefähr ist ein Leitmotiv im Bund Deutscher Amateurtheater »Theater mit allen!«.

Gleichzeitig stellt sich, stellen wir uns spätestens seit dem Diversitätsentwicklungsprozess, in den wir seit 2020 als Dachverband für Amateurtheater intensiver eingetaucht sind, immer wieder die Frage: Ist Amateurtheater in Deutschland wirklich offen für alle Menschen? Finden diejenigen tatsächlich Zugang, können Teil haben und Teilgabe leisten an Amateurtheater, deren finanzielle Ausgangsbedingungen, soziale Settings, Herkünfte und individuelle Beeinträchtigungen es erschweren oder die in ihrem Alltag von strukturellen Benachteiligungen und Diskriminierungen betroffen sind? Wirken Inszenierungen, wirkt Theaterkunst, die ja so viele Künste und Spielarten in sich vereinigen kann, im Amateurtheater vielleicht manchmal zu »textlastig«, abschreckend für Menschen, die weniger gut auswendig lernen oder Deutsch nicht auf Hochschulniveau beherrschen? Sicher gibt es hier noch Potenziale, die entwickelt und ausgeschöpft werden können. Die hier skizzierten theoretischen Überlegungen können in viele Richtungen weitergehen. Amateurtheater aber lieben die Praxis, deshalb sei hier auf ein paar praktische Theaterbeispiele aus dem BDAT verwiesen, stellvertretend für viele andere.

Das Teatro International in Ulm, Baden-Württemberg, arbeitet dezidiert mit einem transkulturellen Verständnis. Es heißt als offene Gruppe »für alle, die Lust auf Theaterspielen haben« ausdrücklich neue Interessierte zum Mitspielen willkommen. In selbst entwickelten Inszenierungen wie »Ich bin so frei«, »Fly high – scheiter heiter« oder »Brot & Spiele« beschäftigt sich das Team beispielsweise mit dem Balanceakt zwischen Freiheit und Sicherheit in einer Demokratie, mit bereichernden Erfahrungen aus dem Scheitern oder einer Reise durch die Welt des Brots.

Im 1911 gegründeten Theaterclub Elmar im hessischen Offenbach finden alle Interessierten einen Platz zum Mitwirken, ob mit einer Behinderung, ob im Kindes- oder Jugendalter. Viel zu tun gibt es auf spielerischer und organisatorischer Ebene durch das ganze Jahr hindurch. Der Verein ist im weniger vermögendem Teil des Großraums Frankfurt sehr aktiv und wirkt mit seinen bunten Veranstaltungen im Capitol, im Ledermuseum und im öffentlichen Raum in die Offenbacher Stadtgesellschaft hinein.

Der relativ junge Theaterverein Spielfreu(n)de bietet in der 11.000-Einwohner-Stadt Stollberg in Sachsen vor allem jungen Menschen die Möglichkeit, sich neue Theaterwelten zu eröffnen und selbst zu gestalten. Die Spielfreu(n)de Stollberg und die jungen Spielenden im Theaterclub Elmar pflegen übrigens seit Jahren einen innerdeutschen künstlerischen Arbeitsaustausch und begegnen sich manchmal bei europäischen Workshop- oder Festivalformaten. Auch so wird ein Aspekt von Teilhabe verwirklicht.

Als ein besonderes Instrument, um Partizipation zu fördern und damit Diversität und Inklusion in den Amateurtheatern zu stärken, hat sich seit 2012 der generationsoffene Bundesfreiwilligendienst (BFD) im BDAT etabliert. Nicht nur junge Erwachsene, sondern Menschen allen Alters, z. B. in beruflichen Neuorientierungsphasen, leisten ein Freiwilligenengagement für 12 bis maximal 18 Monate bei einem Amateurtheater. Engagierte, die über den »Incoming«-Teil des BFD teilweise auch aus anderen Ländern kommen, bringen neben ihren Fähigkeiten oft andere Sichtweisen oder neue Herangehensweisen in Amateurtheatern ein.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2025.