In Art. 27 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht: »Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.« D. h., kulturelle Teilhabe ist weder ein »nice to have« noch eine besondere Leistung des Kultursektors, sondern vielmehr die Umsetzung eines Menschenrechts.

Mit Blick auf Menschen mit Behinderungen wird der Zugang zu Kultur und Medien durch das »Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen« (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) konkretisiert. Die UN-BRK wurde 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen und ist seit 2009 in Deutschland in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland muss regelmäßig über die Umsetzung bzw. Anwendung der UN-BRK Bericht erstatten. Federführend ist hier das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Das Deutsche Institut für Menschenrechte überwacht als Monitoring-Stelle die Umsetzung der UN-BRK. Sie erstellt sogenannte Parallelberichte zu den Staatenberichten, die an den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen weitergeleitet werden.

 

Artikel 21 und Artikel 30 im Fokus

Die UN-BRK muss selbstverständlich auch im Kultur- und Medienbereich in all ihren Facetten wie z. B. Zugänglichkeit zu Informationen und Gebäuden oder auch Zugang zum Arbeitsmarkt beachtet werden. Der Kultur- und Medienbereich wird aber zusätzlich in zwei Artikeln explizit adressiert.

In Artikel 21 geht es um die »Zugänglichkeit von öffentlichen Informationen«, allgemein gesprochen, den Zugang zu Medien, insbesondere Massenmedien wie dem Rundfunk, sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Artikel 30 hebt auf die »Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport« ab. Teilhabe wird hier nicht nur als die Möglichkeit zur Rezeption von Kunst und Kultur, sondern ebenso als die Möglichkeit zum eigenen künstlerischen Ausdruck und der Entfaltung der eigenen Kreativität verstanden.

In beiden Artikeln wird explizit auf die Gebärdensprache und Gehörlosenkultur Bezug genommen, die stärkere Anerkennung, Anwendung und Unterstützung erfahren soll.

 

Staatenprüfverfahren

Die Umsetzung der UN-BRK wird regelmäßig in einem mehrstufigen Verfahren geprüft. Das aktuelle Prüfverfahren nahm im Jahr 2018 mit der Erarbeitung einer Fragenliste seinen Anfang. An der Erarbeitung der Fragenliste waren die Monitoring-Stelle und die Zivilgesellschaft beteiligt. Auf diesen Fragenkatalog hat die Bundesregierung im September 2019 mit ihrem Staatenbericht geantwortet. Im Staatenbericht wurde der Umsetzungsstand der UN-BRK dargelegt. Im Oktober 2022 hat der UN-Ausschuss entschieden, Deutschland im Herbst 2023 zu prüfen. Die Monitoring-Stelle hat im Juli 2023 den »Parallelbericht an den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zum 2./3. Staatenprüfverfahren Deutschland« vorgelegt. Im August 2023 fand der »Konstruktive Dialog«, ein mündlicher Austausch zwischen Mitgliedern des UN-Ausschusses, BMAS und der Monitoring-Stelle statt. Im Oktober 2023 hat der UN-Ausschuss seine Abschließenden Bemerkungen vorgelegt.

 

Wo stehen wir?

Festzuhalten ist zuerst, dass das Thema Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an den Medien sowie an Kultur an Bedeutung gewonnen hat und einige Aspekte der UN-BRK umgesetzt wurden. So wird auch im genannten Parallelbericht gelobt, dass öffentlich-rechtliche und private Medienanbieter ihre barrierefreien Angebote ausgebaut haben. Mit dem Medienstaatsvertrag, der 2022 in Kraft trat, besteht erstmals eine gesetzliche Verpflichtung für die Medienunternehmen und Rundfunkanstalten, barrierefreie Angebote vorzuhalten und »im Rahmen der technischen und finanziellen Möglichkeiten« auszubauen. Kritisiert wird allerdings, dass barrierefreie Angebote im linearen Programm, insbesondere bei Liveübertragungen, unzureichend vertreten sind. Barrierefreie Angebote finden sich v. a. im non-linearen Angebot, oftmals sind bestimmte Geräte bzw. zumindest eine Internetverbindung erforderlich, um sie nutzen zu können. Die Monitoring-Stelle hat daher empfohlen, »verbindliche Vorschriften zu erlassen, die barrierefreie Inhalte des tagesaktuellen – auch linearen – Fernsehprogramms gewährleisten«. Die Vorschriften sollen gleichermaßen für öffentlich-rechtliche wie für private Anbieter gelten. Ferner wird empfohlen, Menschen mit Behinderungen stärker an der Programmgestaltung zu beteiligen. Der UN-Ausschuss zeigte sich in seinen Abschließenden Bemerkungen besorgt, dass eine gesetzliche Norm fehlt, die den barrierefreien Zugang zu Informationen gewährleistet und v. a., dass die Einhaltung einer solchen Norm wirksam überwacht wird. Die eingeschränkte Barrierefreiheit benachteiligt, so der Ausschuss, insbesondere gehörlose und schwerhörige Menschen sowie Menschen mit einer intellektuellen Behinderung. Er empfiehlt daher der Bundesrepublik Deutschland, eine Regel zur Gewährleistung barrierefreier Medien inklusive eines wirksamen Überwachungs- und Sanktionsmechanismus einzuführen.

Der Deutsche Kulturrat hat in einem Dialogprozess zusammen mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Verbänden und Organisationen der Behindertenselbsthilfe sowie Bundeskulturverbänden »Teilhabeempfehlungen für eine inklusive Kultur« erarbeitet. Sie wurden im Dezember 2024 der Öffentlichkeit vorgestellt. In diesen Teilhabeempfehlungen wird u. a. empfohlen, dass beim Ausbau des barrierefreien Angebotes in den Medien die verschiedenen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen in den Blick genommen werden sollten. Ebenso wird geraten, die Expertise von Menschen mit Behinderungen einzubeziehen, wenn KI genutzt wird, um barrierefreie Angebote zu generieren.

Fällt das Urteil zur Zugänglichkeit zu öffentlichen Informationen im Parallelbericht der Monitoring-Stelle noch relativ milde aus, wird mit Blick auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am kulturellen Leben ein deutlich härteres Urteil getroffen. In der Bewertung ist zu lesen: »Der allgemeine Kunst- und Kulturbetrieb ist trotz seiner Bedeutung für eine inklusive Gesellschaft und für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach wie vor stark exklusiv«. Das sind sehr deutliche Worte. In der Situationsbeschreibung wird beklagt, dass Menschen mit Behinderungen zu wenig Zugang zu einer Kunst- oder Musikhochschule haben, dass zu wenig Menschen mit Behinderung im regulären Kulturbetrieb erwerbstätig sind und dass sich zwar aufgrund des Ausschlusses aus dem regulären Kunst- und Kulturbetrieb ein großer Bereich der »inklusiven kulturellen Bildung und Kulturarbeit« etabliert hat, dieser aber eine Sonderstruktur darstellt und daher wiederum exkludierend wirkt. Ebenso besuchen, so der Parallelbericht, weniger Menschen mit Behinderungen kulturelle Veranstaltungen als es bei nicht-behinderten der Fall ist. Namentlich erwähnt werden Bibliotheken, hier wird beklagt, dass zu wenig Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, um barrierefrei zugänglich zu sein und entsprechende Angebote bereit zu halten. Die Monitoring-Stelle empfiehlt in ihrem Bericht, dass Menschen mit Behinderungen barrierefrei Zugang zur Ausbildung in künstlerischen Berufen und zum Arbeitsmarkt Kultur erhalten. Ebenso sollen Kunst- und Kulturinstitutionen barrierefrei gestaltet werden, statt Sonderstrukturen einer inklusiven Kulturlandschaft zu stärken. Generell sollten Maßnahmen zu einer besseren Zugänglichkeit von Kulturangeboten ergriffen werden. Der UN-Ausschuss zeigte sich in seinen Abschließenden Bemerkungen entsprechend besorgt, dass Menschen mit Behinderungen nur unzureichend Zugang zum kulturellen Leben haben. Er empfiehlt der Bundesrepublik u. a., durch starke Maßnahmen sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen am kulturellen Leben teilhaben können, dass die Angebote barrierefrei sind, dass die kulturelle und sprachliche Identität gehörloser Menschen sowie die Inklusion in den künstlerischen Studiengängen und die kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft gefördert wird.

In den bereits angeführten »Teilhabeempfehlungen für eine inklusive Kultur« gibt es eine Fülle an Handlungsempfehlungen, in denen auf die genannten Aspekte eingegangen wird. Barrierefreiheit wird sowohl bei Einrichtungen der kulturellen Bildung als auch bei Kultureinrichtungen angemahnt und zugleich deutlich gemacht, dass hierfür die entsprechenden finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden müssen. Die Teilhabeempfehlungen beziehen sich ebenso auf mehr Barrierefreiheit in den Hochschulen und adressieren dabei die Länder und die Hochschulen selbst. Sie schlagen eine Ausbildungsinitiative für Kulturberufe vor und mahnen eine einheitliche Anlaufstelle an. Viele Kulturunternehmen und -einrichtungen sind an sich bereit, Ausbildungsverträge mit Menschen mit Behinderungen einzugehen. Sie scheitern an einem Dschungel an Vorgaben und Vorschriften sowie an mangelnden konzisen Informationen, welche – auch finanziellen – Unterstützungen in Anspruch genommen werden könnten. Ähnliches gilt für den Arbeitsmarkt Kultur. Auch hier wäre es zentral, dass Kulturunternehmen und -einrichtungen an einer Stelle alle Informationen finden, die sie benötigen, um einen inklusiven Arbeitsplatz einzurichten. Hier sind insbesondere die Bundesagentur für Arbeit, die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern gefordert. Sie sollten darüber hinaus viel umfänglicher darüber informieren, welche unterschiedlichen Berufe und Tätigkeitsbereiche im Kultur- und Mediensektor bestehen. Allzu viele denken bei Kultur an klassische Kultureinrichtungen oder noch verkürzter an künstlerische Tätigkeit auf einer Bühne. Der Arbeitsmarkt Kultur ist aber weitaus größer und bietet an sich Menschen mit unterschiedlichen Talenten, Fähigkeiten und Kenntnissen Chancen.

 

Nach dem Bericht ist vor dem Bericht

Das nächste Prüfverfahren zur Umsetzung der UN-BRK startet 2029 mit der Bekanntgabe der Fragenliste. Die Monitoring-Stelle und die Zivilgesellschaft haben dann ein Jahr Zeit, um Vorschläge für die Fragenliste einzureichen. Spätestens im März 2030 wird der UN-Ausschuss die Fragenliste der Bundesregierung zuleiten, die ein Jahr, also bis 2031, Zeit für die Beantwortung hat. Der UN-Ausschuss wird mit einigem zeitlichen Abstand, der auch mehrere Jahre umfassen kann, die Sitzung bekannt geben, auf der Deutschland geprüft wird. Ab diesem Zeitpunkt wird von der Monitoring-Stelle unter Beteiligung der Zivilgesellschaft der Parallelbericht erstellt. Hierfür steht ein Jahr zur Verfügung. Darauf folgt der »Konstruktive Dialog« und mit einem Abstand von ca. einem Monat die abschließenden Bemerkungen des UN-Ausschusses.

Die nun zur Verfügung stehende Zeit sollte in der föderalen Bundesrepublik auf den verschiedenen politischen Ebenen genutzt werden, um Änderungen zu mehr Inklusion im Kultur- und Mediensektor auf den Weg zu bringen. Gefragt sind alle:

 

  • der Bund, die Länder und die Kommunen, um die Rahmenbedingungen für inklusive Kultureinrichtungen zu schaffen und vor allem ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit Inklusion umgesetzt werden kann
  • die kulturellen Bildungseinrichtungen, die Hochschulen und die Anbieter Dualer Berufsausbildung, um den Zugang zu kultureller Bildung sowie insbesondere zu Aus- und Weiterbildung von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten
  • die öffentlichen und privaten Kultureinrichtungen, die Kulturanbieter und die Kulturunternehmen, um ein inklusives Kulturangebot zu realisieren

 

Wie eingangs gesagt, dies alles ist kein »nice to have«. Der Zugang von Menschen zu Kultur, die Partizipation am Arbeitsmarkt Kultur ist ein Menschenrecht. Bis dies verwirklicht ist, ist noch vieles zu tun. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen und vor allem einer Schärfung des Bewusstseins, dass mehr Inklusion allen zugutekommt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2025.