Im Koalitionsvertrag 2021 wurde eine Evaluation zum Beitrag der Bundeskulturförderung zur kulturellen Bildung vorgesehen. Die Studie »Kulturelle Teilhabe im Wandel« nahm sich dieser Aufgabe an. Dabei entwickelte ein Fachbeirat, der sich aus Repräsentanten von BKM-geförderten Einrichtungen, Vertretern aus Bundesländern und den Referatsleitungen Kulturelle Bildung der Bundesressorts Kultur, Bildung und Jugend zusammensetzte, eine Definition mit Zieldimensionen für kulturelle Bildung. Diese Zieldimensionen waren Grundlage für eine quantitative Erhebung in den Jahren 2023 und 2024 in den dauerhaft von der BKM geförderten Einrichtungen mit Publikumsverkehr. Erfasst wurden dabei die Aktivitäten des Jahres 2022. Der Rücklauf betrug 93 Prozent.
Leitziel Kulturelle Bildung als Querschnittsthema in den Einrichtungen verankern
Pädagogische Fachkräfte allein können Menschen mit Behinderung nicht erreichen, wenn die Kommunikation, das Haus, die Infrastruktur etc. nicht barrierearm sind, oder Familien, wenn die programmatische Ausrichtung nicht vielfältige altersgerechte Bezüge ermöglicht, Objekte für Klein und Groß gleichermaßen komfortabel einsehbar sind, Wickelkommoden vorhanden sind und vieles mehr. Eine Zieldimension der Studie lag daher in der gelebten Praxis, kulturelle Bildung und Teilhabe als ein gesamtstrategisches Leitziel der Einrichtung zu verankern.
Eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit zur kulturellen Bildung fand 2022 nach der Evaluation in vielen Einrichtungen noch nicht konsequent statt. So banden nur 56 Prozent der befragten Einrichtungen im Vorfeld der Programmgestaltung Fachkräfte des Bereichs Bildung und Vermittlung regelmäßig mit ein, 73 Prozent dagegen Verantwortliche aus der Öffentlichkeitsarbeit. Bei etwa der Hälfte der Einrichtungen bestand zudem 2022 nicht oder eher selten Mitspracherecht des Bereichs Bildung und Vermittlung in anderen Arbeitsbereichen, die mit kulturellen Teilhabefragen verbunden sind, wie die Öffentlichkeitsarbeit oder der Besucher-/innenservice.
Zur angemessenen Ausstattung eines eigenen Bereichs Bildung und Vermittlung
Eine weitere Zieldimension betraf die angemessene Ausstattung eines eigenen Bereichs Bildung und Vermittlung in den Einrichtungen. Angemessen ist eine flexible Größe. In der Studie wurde erstmals der Versuch unternommen, diese finanziellen Ausgaben zu beziffern. Bezogen auf die Einrichtungen, die Rückmeldungen hierzu gaben, lag der durchschnittliche finanzielle Anteil für die Ausstattung eines eigenen Bereichs Bildung und Vermittlung im Bezugsjahr 2022 bei etwa 7 Prozent des Gesamtetats. Eine Differenzierung nach Einrichtungsarten verdeutlicht, dass die Gedenkstätten und Einrichtungen historisch-politischer Bildung 2022 mit durchschnittlich 18 Prozent des Gesamtetats deutlich mehr in die Ausstattung eines eigenen Bereichs Bildung und Vermittlung einbrachten als die Kultureinrichtungen.
Zur gesamtstrategischen Entwicklung von Zielgruppenkonzepten
Sowohl Einrichtungsleitungen als auch pädagogische Fachkräfte erachteten 2022 das Erreichen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen als wichtigstes Ziel der kulturellen Bildungsarbeit. Die Praxis einer aufsuchenden Kulturarbeit – auch als »Outreach« bezeichnet – mit dem Ziel, neue Zielgruppen zu erreichen, praktizierten 2022 60 Prozent der Einrichtungen. Allerdings standen dabei selten Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf im Fokus. Externe Veranstaltungen fanden vor allem in Kultur- oder Bildungseinrichtungen statt. Wenige Kooperationen existierten mit Bürgereinrichtungen, Verbänden oder anderen sozialen Einrichtungen.
Zielgruppenansprachen für spezielle Bevölkerungsgruppen existierten 2022 weitgehend in allen Einrichtungen. Es gab jedoch Zielgruppen, die stärker adressiert wurden, und Zielgruppen, die weniger im Fokus standen, beispielsweise Vorschulkinder oder Menschen aus Stadtteilen mit Entwicklungsbedarf. Dabei stellt sich die Frage: Sollen alle Zielgruppen strategisch eingebunden werden oder eher spezifische, in Abhängigkeit vom eigenen Angebot oder von der geografischen Lage? Der begleitende Fachdiskurs zur Studie legte offen, dass diese strategischen Überlegungen bisher oft nicht systematisch und einrichtungsübergreifend geführt wurden.
Zukunftsziel Barrierearmut
Noch nicht erfolgreich umgesetzt wird die UN-Behindertenrechtskonvention in den Einrichtungen. Beispielsweise gaben nur etwa ein Drittel der Einrichtungen (34 Prozent) an, bei der Vermittlung grundsätzlich mit einfacher Sprache als Hilfsmittel zu arbeiten, nur 10 Prozent bieten grundsätzlich Materialien in Blindenschrift an und 13 Prozent Gebärdensprachdolmetschen. Auch haben beispielsweise 35 Prozent der Einrichtungen keine Behindertenparkplätze und 40 Prozent bieten keine Rollstuhlplätze bei Veranstaltungen an.
Migrantische Perspektiven sind innerhalb des Programms und der konkreten Bildungsangebote deutlich präsenter. Noch nicht gelungen ist dabei, Vielfalt innerhalb der Mitarbeitenden in den Einrichtungen abzubilden. Angesichts dieses Umstands wird es umso wichtiger, Menschen mit Migrationsperspektive auf anderen Wegen beratend in die Programmplanung und Angebotsgestaltung mit einzubinden.
Fortbildungsbedarf beim Einsatz digitaler Techniken
Die Einrichtungen griffen 2022 viele aktuelle gesellschaftspolitische Themen auf, sehr selten jedoch das Thema Künstliche Intelligenz (7 Prozent). Allgemein stellen nach der Studie Digitalität und hybride Formate immer noch eine besondere Herausforderung für viele Einrichtungen dar. Wurden interaktive Informationsmedien (63 Prozent) 2022 mehrheitlich in der Bildungsarbeit eingesetzt, galt dies beispielsweise noch nicht für Apps zu kulturellen Inhalten (40 Prozent), Podcasts (39 Prozent) oder Online-Tutorials (33 Prozent). Der Einsatz innovativer, aber auch technisch aufwändiger Formate, wie mit Virtual Reality aufbereitete Inhalte (22 Prozent) oder Serious Games (13 Prozent) fand sehr selten innerhalb der Bildungsarbeit statt. Auch gaben lediglich 38 Prozent der befragten Einrichtungen an, 2022 Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte zum Thema »Digitale Technologien« ermöglicht zu haben.
Zieldimensionen im Wandel: Bürgerbeteiligung im Kommen?
Kulturelle Teilhabe durch Austausch und Mitgestaltung wurde als eine weitere Zieldimension kultureller Bildungsarbeit hervorgehoben. Fragen der Partizipation und Bürgerbeteiligung stellen angesichts der Liberalisierung von Kultur und kulturellen Lebensstilen eine zunehmende Herausforderung und Notwendigkeit dar. Wurden in den letzten Jahrzehnten vor allem Strategien des Audience-Development diskutiert, geht es in jüngster Zeit stärker um das Schaffen von Begegnungsräumen für kulturelle Aushandlungsprozesse, in Anlehnung beispielsweise an »Dritte Orte«, wie sie der Soziologe Ray Oldenburg skizziert. In der im Rahmen der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft 2021 entstandenen Porto-Santo-Charter zur Demokratisierung der Kulturpolitik wird sogar das Einrichten von beratenden Bürgergremien zur Gewährleistung von Beteiligungsprozessen in den Einrichtungen gefordert. In der Evaluation wurde diese Zieldimension im Vergleich zu den anderen als am wenigsten wichtig erachtet. Dies galt vor allem für die Leitungsebene. Weniger als die Hälfte der befragten Einrichtungen (40 Prozent) ließ zudem 2022 Rückmeldungen von Besuchenden oder der Bürgerschaft in die programmatische Arbeit einfließen.
Fazit: Empfehlungen der Studie für mehr kulturelle Teilhabe
Einige Zieldimensionen der Studie wurden 2022 von den von der BKM dauerhaft geförderten Einrichtungen sehr gut umgesetzt, andere müssen strategisch noch entwickelt werden und an Akzeptanz gewinnen.
Für diese Transformationsleistungen bedarf es des Freiraums zum Experimentieren und damit der Unterstützung vonseiten der Politik, aber auch den Transformationswillen der Einrichtungen, sich als Orte noch mehr für kulturelle Aushandlungsprozesse vielfältiger Bevölkerungsgruppen zu öffnen. Erste Schritte in diese Richtung sind mehr Kooperationen mit Bürgerinitiativen, sozialen Verbänden und Einrichtungen, die abteilungsübergreifende Erarbeitung von strategischen Zielgruppenkonzepten, das Einbeziehen des erweiterten digitalen Raums und Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung. Gelingt es den Einrichtungen angesichts zunehmender gesellschaftlicher Fragmentierung, als Orte kultureller Aushandlungsprozesse von unterschiedlichen Milieus anerkannt zu werden, könnten kulturelle Teilhabe, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Demokratie gestärkt werden.