Welche Rolle spielt das Theaterspielen in der Schule für die Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern?
Beim Theaterspielen erkunden, verstehen und bewerten Schülerinnen und Schüler ihr Verständnis von sich und der Welt, in der sie leben. Es fördert gleichermaßen ihre rationalen, physischen und individuellen wie auch ihre emotionalen, kreativen und sozialen Fähigkeiten und hilft somit bei der Identitätsfindung. Theaterformen wie das Dokumentarische oder das Biografische Theater ermöglichen zudem die Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs bei der Reflexion von Theaterbesuchen sowie der Auseinandersetzung mit eigenen Inszenierungen oder bei Publikumsgesprächen nach eigenen Aufführungen. Möglich sind auch erste Erfahrungen im Ehrenamt. Eine Theatergruppe unserer Schule unterstützt z. B. seit sieben Jahren den »Martensmannschmaus« – eine Benefizveranstaltung verschiedener Serviceclubs der Stadt: Mit einem theatralen Begleitprogramm im Schweriner Schloss und auf Anfrage des zahnärztlichen Dienstes erarbeitete eine Theatergruppe ein Theaterstück zur zahnärztlichen Prävention, das an verschiedenen Schulen im Rahmen des »Tages der Zahngesundheit« aufgeführt wurde.
Welche Eigenschaften und Kompetenzen werden konkret mit dem Theaterspielen gefördert?
Durch seinen interdisziplinären Charakter werden im Theaterunterricht eine Vielzahl von Kompetenzen gefördert. Der Körper ist neben der Sprache das zentrale Ausdrucksmittel des Theaters. Allerdings behindert das vor allem durch die Medien erzeugte gestörte Verhältnis zum eigenen Körper in der heutigen Gesellschaft das theatrale Zusammenspiel durch vorgelebte Körperbilder, die fortschreitende Selektion der Wahrnehmungen und den Druck, die eigenen Gefühle zu beherrschen. Das konzeptionelle Körpertraining ermöglicht eine sensible Körperwahrnehmung und physische Beweglichkeit und somit die Nutzung des Körpers als künstlerisches Ausdrucksmittel. Die Auseinandersetzung mit der Stimme, mit Texten und den Möglichkeiten, Sprache zu gestalten, trainiert die rhetorischen Fähigkeiten. Ein unschätzbarer Vorteil ist, dass im forschenden Lernen das Scheitern ein Teil des Prozesses und damit eine positive Erfahrung ist. Dazu kommt, dass die Naturwissenschaften meist auf einem »Richtig« und »Falsch« beruhen, im Inszenierungsprozess das Hauptinteresse aber eher auf den Zwischenräumen, den Grauzonen liegt, d. h. die Aufhebung konventioneller Denkbarrieren fördert die Kreativität, Flexibilität, Originalität und Problemsensitivität. Die reflektierte Auseinandersetzung im Probenprozess schult die Selbst- und Fremdwahrnehmung und somit die Reflexionsfähigkeit, das Auseinander- und sich Hineinversetzen in verschiedene Charaktere, die Empathiefähigkeit. Zudem ermöglicht die besondere Lernsituation den Schülerinnen und Schülern mitzuplanen, mitzudenken und mitzugestalten. Die Möglichkeit, eigene Erfahrungen im geschützten Raum zu proben, fördert die Stärkung des Selbstbewusstseins.
Welche Bedeutung hat nach Ihrer Erfahrung das Theaterspielen in der Allgemeinbildenden Schule im Vergleich mit anderen Fächern und im Fächerkanon allgemein?
Trotz des eben genannten Potenzials fristet der Theaterunterricht wie in anderen Bundesländern auch ein Schattendasein im Fächerkanon in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Grund dafür ist, dass es zu wenige ausgebildete Theaterlehrkräfte gibt. Ein weiteres Problem ist, dass sich der Theaterunterricht nur eine geringe Stundenzahl mit den Fächern Musik und Kunst teilt und es, obwohl seit Schuljahr 2016/2017 als reguläres Unterrichtsfach eingeführt, an den meisten Schulen als solches nicht angeboten wird. Vorgesehen sind im Fächerkanon zwei musische Fächer, d. h. die Schülerinnen und Schüler müssten auf eines der Fächer in ihrer Schullaufbahn verzichten. Momentan können sie sich im Wahlpflichtbereich oder als Arbeitsgemeinschaft für den Theaterunterricht entscheiden. Einige Schulen bieten ihn in der der Sekundarstufe II als Grundkurs an, mit der Option in diesem Fach das mündliche Abitur abzulegen, wenn es bereits in Klasse 10 als Wahlpflichtfach belegt wurde. Meiner Erfahrung nach spielt die Wertschätzung der Schulleitung für dieses Fach eine wesentliche Rolle. In den letzten 15 Jahren wurde der Theaterunterricht dank der Unterstützung meiner Schulleitung bei uns sowohl im regionalen als auch im gymnasialen Bereich etabliert.