Bodo Hinüber der Gruppe Rabenauge im Gespräch mit Olaf Zimmermann.

 

Olaf Zimmermann: Wir sprechen über das künstlerische Selbstverständnis der Demoszene. Im Gegensatz zu klassischen Künstlerinnen und Künstlern, die immer darum kämpfen, mit ihrem eigenen Namen genannt zu werden, findet man ganz viele Aliasnamen in dieser Szene. Wie ist das entstanden?

Bodo Hinüber: Den Leuten ist es schon wichtig, dass sie genannt werden, aber der Aliasname reicht oft aus. Das kommt unter anderem daher, dass die Demoszene zwei Wurzeln hat. Es gibt die Leute, die ganz früh Demos gemacht haben. Damals gab es den Begriff noch nicht, und es waren auch sehr wenige. Dann gab es die Crackerszene, die Crack Intros, kurze kleine Einführungssequenz zu geknackten Computerspielen und anderer Software, machte und aus verständlichen Gründen nicht namentlich genannt werden wollten.

 

Wie würdest du dich als Demo Künstler selbst beschreiben?

Erstmal weiß ich gar nicht, ob das Kunst ist, was ich mache. In der Demoszene sehen das nicht alle als Kunst. Als wir damit anfingen, haben wir es einfach gemacht. Das mit der Kunst kam erst viel später. Teilweise ist es aber auch ganz einfach Ingenieursdenken. Ich habe z. B. ein PET, diesen Computer von Commodore. Der kann eigentlich von Haus aus nur schwarz und einen Grünton auf dem Bildschirm darstellen. Ich habe drei Grüntöne hingekriegt, mittlerweile habe ich sogar acht Grüntöne. In einem Demo geht es dann darum, dass man das schön präsentiert. Aber mir selbst geht es eher um die Leistung, dass ich diese Grüntöne hinbekommen habe.

 

Du kitzelst mit deinem Ingenieurswissen aus diesem Gerät etwas heraus, was eigentlich gar nicht drin war. Und du machst daraus ein Programm, das ansprechend und kreativ ist.

Es gibt auch eine Gruppe »Akronyme Analogiker«, die machen oft sogenannte Tech-Demos. Sie zeigen wirklich nur, was geht, ohne es wirklich schön zu präsentieren. Ich als Programmierer finde das dann auch cool. Aber die Grafiker in der Demoszene rümpfen oft die Nase. Es ist natürlich schöner, wenn man das Ganze auch schön verpackt. Aber das macht mir persönlich weniger Spaß, weil ich es anstrengend finde, weil ich kein Grafiker oder Designer bin.

 

Du bist also auch ein Forscher, indem du in die Tiefen eines Chips hineintauchst. Mit welcher Programmiersprache arbeitest du?

Mit Assembler.

 

Assembler können ja nicht so viele Menschen auf der Welt.

Das habe ich mir selbst beigebracht. Ich hatte Glück, weil mein Vater mich unterstützt hat. Er war auch in der EDV, wie es damals noch hieß. Und als ich dann meinen ersten Computer, den C128, hatte, habe ich erst Basic gelernt und war irgendwann frustriert, weil es zu langsam war für Spiele oder Demos. Mit 15 habe ich angefangen, Assembler zu lernen. Da hat mein Vater mich unterstützt. In der Demoszene haben die meisten Assembler aus Büchern gelernt und die meisten auch ohne Hilfe ihrer Eltern.

 

Vorurteile gegen die Computerspiele-Spieler hat es immer gegeben: Das sind diese Leute, die außerhalb der Gesellschaft in irgendwelchen dunklen Kellern hocken und dort ihre Sachen machen. Programmieren wirst du sicherlich auch mal in einem dunklen Keller, aber dann steigst du aus dem Keller heraus, weil es mit Kollegen gemeinsam gemacht wird. Und du bist auch in einer Gruppe – »Rabenauge«. Was bedeutet das?

Das ist unsere Demogruppe. Normalerweise entstehen die Demos nicht von einer Einzelperson. Es gibt zwar Multitalente, die Grafik, Musik und Code alleine machen. Das ist aber die Ausnahme. Oft gibt es Demogruppen, die aus mehreren Leuten bestehen, da ist üblicherweise dann mindestens ein Grafiker, ein Musiker und ein Programmierer dabei. Die entwickeln das gemeinsam.

 

Wie arbeitet ihr zusammen? Trefft ihr euch in Präsenz? Oder macht jeder sein eigenes Ding, und dann trefft ihr euch online?

Rabenauge wurde in Berlin gegründet. Die meisten der Mitglieder sind tatsächlich in Berlin, einige allerdings auch in Holland, Polen und England. Hin und wieder treffen wir uns. Aber ganz viel passiert tatsächlich online. In der Demoszene wurden die Projekte vor 20 Jahren oder 30 Jahren schon so gemacht. Und da gab es noch keine Videokonferenzen, da konnte man nur telefonieren und per Modem Daten hin und her schicken. Wir waren ziemlich weit voran, alles hat natürlich länger gedauert als heutzutage. Ich finde ich diese Home-Office-Debatte, wenn Firmen jammern, dass das nicht geht, ein bisschen lächerlich.

 

Die Präsentationen finden dann ganz analog statt, vor allem auf Partys. Man stellt dort die Maschine auf, das Programm startet, und die Leute schauen sich das an.

Wenn man auf so einer Party sieht, wie das eigene Demo auf einer riesigen Kinoleinwand gezeigt wird und dann die Reaktion aus dem Publikum wahrnimmt, das ist einfach toll. Es gab auch schon Demos, da wurde in der Laufschrift geschrieben: Kommt alle auf die Bühne und tanzt. Das haben dann tatsächlich Leute gemacht. Das ist immer lustig, weil es ein bisschen chaotischer ist als zum Beispiel bei einem normalen Filmfestival.

 

Ist das ein Kunstevent oder eher eine soziale Interaktion? Oder ist es ein Austausch von Ingenieurwissen? Wie kann ich mir das als Nicht-Partybesucher vorstellen?

Es ist alles. Allerdings wird zu allem, was ich hier erzähle, wahrscheinlich jeder in der Demoszene eine komplett andere Meinung haben. Als ich jünger war, hatte ich viele Freunde aus den unterschiedlichsten Subkulturen, sowohl Punks als auch Hippies, Normalos oder Hip Hopper. In der Demoszene gibt es alles. Es gibt Rechtsanwälte, Ärzte, aber natürlich hauptsächlich Softwareentwickler und Grafiker. Aber es gibt auch Handwerker, das Milieu ist bunt gemischt. Es gab einen, der hat ein paar Jahre als Obdachloser gelebt, weil er drogensüchtig war, und nachdem er clean war, hat er tolle PC-Demos gemacht. So ist es auch bei den Partys. Da wird gefachsimpelt. Ich als Programmierer unterhalte mich mit anderen Programmierern über Technologien. Gleichzeitig unterhalte ich mich aber auch mit Grafikern über Design. Und es wird auch mal einfach viel Bier getrunken und wie auf einer normalen Party ganz normaler Blödsinn geredet. Außerdem gibt es oft, wenn gerade keine Demos gezeigt werden, ein anderes Programm, z. B. DJs, die auflegen. Dann tanzen die Leute auch. Es gibt auch diese Klischee-Nerds in der Demoszene. Und es ist extrem tolerant.

 

Es ist schon so ein Stückchen Subkultur, oder?

Ja, schon.

 

Wenn du durch ein Museum läufst, so ein richtig klassisches Museum: Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass da auch Demos gezeigt werden sollten? Bisher sind das noch zwei getrennte Bereiche. Woran liegt das, und wie könnte man das vielleicht ändern?

Die Demoszene gibt es ja erst seit 30, 40 Jahren. Und viele in der Demoszene sehen das, wie gesagt, selbst gar nicht als Kunst. Viele finden dieses Untergrundmäßige auch gerade gut. Andere in der Demoszene forcieren, dass sowas passiert. Das ist auch eine Frage der Zeit, bis so etwas im Museum landet. Ich habe auch schon im Museum sogenannte Computerkunst gesehen, die mit der Demoszene nichts zu tun hatte. Die fand ich stinklangweilig. Da dachte ich, Demos sind cooler.

 

Vielen Dank.