Wie verhält sich die Demoszene zum Einsatz von KI? Der folgende Text besteht einerseits aus Gedanken des Autors und andererseits aus Zitaten der Kulturtragenden, die aus dem Thread »AI is forcing the hand of the Demoscene« auf www.pouet.net, einer der wichtigsten Kommunikations- und Dokumentationsplattformen der Demoszene, entnommen sind. Da es sich dabei um aus dem Kontext genommene Auszüge handelt, wird das Lesen des gesamten Threads empfohlen.
Mit diesem Beitrag nehme ich die kulturellen Aspekte von KI in den Blick, indem ich ein kurzes und hoffentlich inspirierendes Schlaglicht auf den Diskurs zu KI innerhalb der Demoszene werfe, die die erste und bisher einzige originär digitale Kultur ist, die UNESCO-Kulturerbestatus besitzt. Da es sich bei der Demoszene per se um eine digitale Kultur handelt, geht es mir dabei nicht um die Auswirkungen der Digitalisierung im Allgemeinen und KI im Besonderen auf die etablierten und tradierten Kulturbereiche. Indem ich die Perspektive einer in der 8-Bit-Ära entstandenen digitalen Kultur einnehme, möchte ich der Frage nachgehen, wie sich die Dynamiken der Digitalisierung in einer freiheitlichen, auf dem Ideal der Individualität fußenden Gemeinschaft auswirken, für die Computer etwas Selbstverständliches und technische Basis kreativen Schaffens sind.
»Für mich ging es in der Demoszene immer darum, Grenzen zu überschreiten, das System zu hacken, jede Lücke zu erkunden und auszunutzen, die wir finden konnten. Warum sollten wir angesichts dieser Denkweise nicht dieselben Prinzipien auf KI anwenden? Die Zukunft der Demoszene könnte von unserer Fähigkeit abhängen, menschliche Kreativität mit künstlicher Intelligenz zu verbinden und dabei neu zu definieren, was wir als ›Kunst‹ und ›Kreation‹ verstehen.« [2023-07-01 by fra]
Ein anderer Teil der Szene lehnt hingegen den Einsatz von KI konsequent ab.
»Der Hauptunterschied zwischen ›Prompt-Ingenieuren‹ und ›echten Künstlern‹ ist wohl die Kontrolle. Ich respektiere Menschen, die ihr Handwerk beherrschen. Erfahrene Programmierer, Fraktal-Künstler, die nicht generativ arbeiten, Musiker, die Wissen und quantitative Techniken anwenden, anstatt Parameter willkürlich zu verändern, bis es passt.« [2023-07-02 by NR4]
Positionen, die KI ablehnend gegenüberstehen, betonen die kulturelle Bedeutung des Erstellungsprozesses. Die Position der oben zitierten Befürworter gewichtet hingegen das Werk stärker. Während dieses Spannungsverhältnis prinzipiell für alle handwerklich auf bestimmten Technologien basierenden Kulturen relevant ist, stehen digitale Kulturen vor einer besonderen Herausforderung. Anders als Blaudruck oder das Töpferhandwerk, die technisch ausentwickelt sind, stellt sich digitalen Kulturschaffenden von Anfang an und auf absehbare Zeit die Frage, ob, und wenn ja, wie sie ihr Brauchtum der technischen Entwicklung anpassen.
»Ich erinnere mich an die Proteste innerhalb der Demoszene gegen vorgefertigte Animationen, MP3-Musik, Drittanbieter-Assets, Windows, 3D-Karten, Amiga-Beschleuniger, gefilmte Videos, Fantasy-Konsolen, 3D-Engines von Drittanbietern usw. Dasselbe gilt heute für KI. Wer Angst vor neuen Technologien hat, wird nicht der Erste und der Beste sein.« [2023-08-04 by Manwe]
Es ist diese Fähigkeit, die rasanten technischen Entwicklungen in ihre kulturelle Praxis zu integrieren, die die Lebendigkeit der Demoszenenkultur bis heute gesichert hat. So ist sie keine Retrokultur geworden, die ausschließlich Fans von 8-Bit-Rechnern anspricht. Vielmehr war sie in der Lage, technisch up to date zu bleiben, auch wenn die Programmierung von Demos auf heutigen Windowssystemen ein anderes Wissen benötigt als auf einem C64.
Zwei Gründe sind meiner Meinung nach für den bisher gelungenen Balanceakt der Szene zwischen Tradition und Weiterentwicklung wesentlich verantwortlich.
1) Flexibilität: Basierend auf einer ausgeprägten Individualität haben sich nie offizielle Strukturen oder eine zentrale Instanz herausgebildet. Zwar gab es von Anfang an ein globales Netzwerk, das alle Möglichkeiten der digitalen Kommunikation schon früh nutzte, doch blieb es immer den Einzelnen überlassen, was sie für gut und richtig oder schlecht und falsch hielten.
»Die Demoszene wird von Menschen geprägt, die etwas tun. Nicht von Menschen, die anderen sagen, was sie tun sollen, und nicht von Menschen, die andere fragen, was sie tun sollen.« [2023-08-03 by ham]
Entsprechend lebendig gestaltet sich daher auch seit jeher die Diskussionskultur der Szene. Auf übergeordneter Ebene waren es die Veranstalter der Demopartys, die jeweils die Wettbewerbe und damit die technischen Grundlagen festlegten. Es war ganz wesentlich diese dezentrale Struktur und individualistische Ausrichtung, die der Demoszene die Möglichkeit zu dieser Flexibilität gibt.
2) Werteorientierung: Für den Zusammenhalt der Szene ist neben dem Leistungsethos meiner Meinung nach auch ein gemeinsames Wertegerüst wesentlich verantwortlich. Dies ist, wie bei einer individualistisch, eher anarchistisch geprägten Community zu erwarten, nicht allzu engmaschig. Im Gegenteil lässt es großen Spielraum für alle möglichen z. B. politischen Einstellungen. Doch ist es gerade diese Toleranz, die die tragenden Stützen des Gerüsts umso deutlicher hervortreten lässt. Es sind dies Respekt und Freundschaft, die eng mit Werten wie Transparenz und Vertrauen verbunden sind. Dabei muss Respekt verdient werden und Freundschaft kann entstehen. Respekt kann man sich sowohl durch Können verdienen, das im Rahmen der Wettbewerbe gemessen wird, als auch durch Engagement mit Leistungen für die Community. Freundschaften können auf den Demopartys entstehen, die einen zentralen Platz im Brauchtum der Demoszene einnehmen.
Es ist diese Verschränkung von traditionellen und physischen Kontexten mit digitaler Technologie, die der Demoszene, und vielleicht nicht nur ihr, helfen kann, auch mit gegenwärtigen und zukünftigen technischen Umbrüchen einen Umgang zu finden, der die bisherige Kultur lebendig hält.
Doch wohin tendiert die Diskussion innerhalb der Demoszene?
Auch wenn es ein laufender Prozess ist, lassen sich meiner Meinung nach jetzt schon interessante Beobachtungen machen. So habe ich den Eindruck, dass es niemanden zu geben scheint, der KI unvoreingenommen begrüßt. Selbst die Befürworter des Einsatzes von KI argumentieren eher aus einer nüchternen Haltung heraus.
»Ich sehe nur Anwendungsmöglichkeiten, bis wir die Grenzen verstehen. Und dann werden KI-generierte Inhalte zu einem weiteren Werkzeug im Werkzeugkasten. Der Erstellungsprozess wird sich nicht grundlegend ändern.« [2023-07-04 by bifat]
Wie für eine digitale (Experten-)Community naheliegend, wird KI eher mit sachlichen als emotionalen Kriterien bewertet.
»Ich verstehe nicht, warum alle LLMs mit KI in einen Topf werfen. Meine Probleme mit LLMs sind: (1) Sie sind Energiefresser, (2) Sie sind zentralisiert und im Besitz von Großkapital und (3) Sie (Chatbots, Prompt-to-Image-Bots) stellen weder einen originellen noch kreativen Einsatz von Technologie dar. Sie bringen nichts Neues oder Revolutionäres auf den Tisch, sie imitieren eher mehr von der gleichen alten ›Kunst‹«. [2023-07-02 by 4gentE]
Aus dieser nüchternen Betrachtungsweise resultiert auch die klare Unterscheidung zwischen technischen und menschlichen Fähigkeiten.
»Denn nur ein frischer Geist mit einem Zeichenstift kann etwas Neues, Originelles schaffen. Diese Promptmaschinen geben etwas von sich, was es vor ihnen schon gab. Wie könnt ihr das nicht erkennen? Sie sind konservativ, rückwärtsgewandt statt vorwärtsgewandt.« [2023-07-04 by 4gentE]
Wobei oft der Werkzeugcharakter von KI betont wird.
»Ich denke, der Szenegeist sollte uns dazu inspirieren, jedes neue kreative Werkzeug zu nutzen und seine Grenzen sowie die vielfältigen Möglichkeiten zur Verbesserung des menschlichen Ausdrucks und der Ideenfindung zu erkunden. Wenn jemand Grafiker ist und trotzdem nicht all diese neuen Dinge ausprobieren möchte, ist er/sie meiner Meinung nach bereits ein lebendes Fossil.« [2023-07-06 by ham]
Diese offene Haltung gegenüber KI basiert oft auf einem freiheitlichen, durch Selbstbestimmtheit geprägten Menschenbild, in dem KI eine förderliche Rolle in der eigenen Kultur spielen kann.
»Obwohl es für einen Menschen praktisch unmöglich ist, gegen eine KI mit einer ELO-Zahl von über 3500 zu gewinnen, ist Schach heute beliebter denn je (selbst als in der Kasparow/Karpow-Ära). Ein Ferrari kann den 100-Meter-Sprint besser absolvieren als jeder Mensch – und trotzdem gibt es die Olympischen Spiele noch. Ich denke, wir werden es schaffen.« [2023-07-03 by abductee]
Die existenzielle Herausforderung, die KI für die eigene Kultur darstellen kann, wird in der Diskussion immer im Blick behalten.
»Heutzutage erleben wir ähnliche Veränderungen in der Kunst. Es hängt von uns ab, ob die Demoszene in der ersten Reihe der künstlerischen Entwicklung steht oder… zu einer weiteren fossilen Kunst wird (im Sinne ihrer Unveränderlichkeit, denn nur Veränderliches ist lebendig).« [2023-07-06 by ham]
Als roter Faden zieht sich der Hinweis auf die menschliche Verantwortung durch den szeneinternen Diskurs über KI.
»Wir sollten versuchen, KI/ML im Allgemeinen von der Implementierung der aktuellen LLMs zu trennen. Interessante Technologie mit großem Potenzial in allen Bereichen (…) im Gegensatz zum anarchokapitalistischen Missbrauch aller historischen menschlichen Kreativität zum Profit einiger weniger großer Unternehmen. Das ist kein Problem der Technologie, sondern ein Problem der Menschen, die sie nutzen.« [2023-07-06 by smash]
Ich hoffe mit diesen Schlaglichtern verdeutlicht zu haben, dass gerade der Beitrag einer digitalen Kultur, die ihre Wurzeln in einer Zeit hat, in der IT noch durchschaubarer als heute war, Hinweise zu einem kulturfördernden und damit gemeinschaftsstiftenden Umgang mit KI liefern kann. Durch die bereits erfolgte UNESCO-Anerkennung der Demoszene ist die Tür zu einem Diskursraum geöffnet, innerhalb dessen nun auch mögliche gesamtgesellschaftliche Bezüge herausgearbeitet werden können.
Die im Artikel verwendeten Zitate sind mit KI-Hilfe aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.