Große wandfüllende Formate, starke flächige Farben, eine einzigartige und wirkungsvolle Technik aus farbigen Schnipseln handgeschöpften Hanji-Reispapiers sowie groß angelegte Werkserien mit Themen zwischen Poesie und Politik – seit über 20 Jahren gehören die Werke von SEO, bürgerlich Seo, Soo-Kyoung, zum festen Bestandteil internationaler Kunstausstellungen, Galerien und Diskurse. Von 1992 bis 1996 besuchte die 1977 in Korea geborene Künstlerin das Kunstgymnasium in Gwangju, von 1996 an bis 2000 studierte sie an der dortigen Chosun-Universität und wurde am Ende ihres Studiums »Beste Studentin des Jahres«. Im gleichen Jahr noch verließ sie Südkorea in Richtung Deutschland und nahm ein Jahr später das Studium in der Klasse des Malers Georg Baselitz an der Universität der Künste in Berlin auf.

Von der Leidenschaft zur Malerei war SEO besessen, seit sie sich erinnern kann: »Als ich zwölf Jahre alt war, ging meine Schwester bereits jeden Tag zur privaten Kunstschule. Ich war damals noch zu jung und durfte entsprechend nicht mit ihr mit, bin ihr dann aber immer heimlich hinterhergegangen. Meine Mutter hat dann stets mit mir geschimpft, weil ich der Schwester immer alles weggenommen habe, die Kreide, das Papier und wenn ich nichts bekommen habe, habe ich an der Wand weiter gemalt. Schließlich hat sie dann verstanden, dass in mir diese Leidenschaft steckt und ich durfte parallel zur normalen Schule nachmittags auf die private Kunstakademie gehen.«

Die Weichen waren also bereits im Kindesalter gestellt, seit damals ist die Malerei zentraler Teil von SEOs Existenz. Ihre Erfahrungen, Emotionen, Erlebnisse und Sichtweisen verarbeitet SEO in Malerei: »Ich verstehe mich klar als Malerin, aber natürlich hat auch die Malerei immer einen konzeptionellen Anteil. Die Auswahl von Motiven, Inhalten und Aussagen der Arbeiten sind – neben emotionalen Aspekten – ein konzeptioneller Vorgang.«

Dass sie nach Deutschland ging und nicht zuerst die lebendigen Szenen in den USA oder in Frankreich aufsuchte, verdankte sie dem Einfluss ihres koreanischen Lehrers, bei dem sie vier Jahre lang Tuschmalerei studierte, und der selbst auch einige Jahre in Deutschland gelebt hatte. Durch ihn lernte sie die Künstler des neuen deutschen Expressionismus kennen und lieben. Besonders fasziniert war sie von den Arbeiten von Georg Baselitz. Gezielt kam sie daher nach Berlin, um beim Meister selbst zu studieren.

SEOs Kunst bezieht ihre Kraft aus zwei Welten, der asiatischen und der europäischen. Ihre Motive sind gegenständlich und von der asiatischen Bilderwelt geprägt. Sie arbeitet sowohl an Mensch- und Natur-Gemälden als auch an surrealen neonfarbigen Fantasiewelten. SEO hat für ihre Gemälde eine eigene Mischtechnik entwickelt, in der sie eingefärbte Streifen aus Hanji-Reispapier mit Acrylmalerei kombiniert. Sie zerreißt Papier in unzählige bunte Schnipsel und Streifen, die sie mithilfe ihrer Assistenten nach genauer Überlegung auf die Leinwand klebt.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten entstanden zahlreiche Werkgruppen, die sich jeweils um eine Leitidee bilden. So etwa in »Meine deutschen Träume«, »Reisfelder« oder den Bildern der Gruppen »Krieg« und »Seerosen«. Auch das Thema Globalisierung ist ein wichtiger Teil ihres Sujets und fasziniert sie aus den verschiedensten Gründen sehr. SEOs Arbeiten gelten als geglücktes Beispiel für Globalisierung: »Wie wollen wir gemeinsam leben? Welche gesellschaftlichen Chancen entstehen? Welche Risiken entstehen? Wie wird unsere Wahrnehmung geprägt? Und wie fühlen wir uns dabei? Das sind alles Fragen und Facetten der Globalisierung, die mich faszinieren.«

Für die aktuelle Diskussion über Restitution und Cultural Appropriation wünscht SEO sich, dass diese mit Empathie begleitet wird und konstruktiv bleibt: »Hier entsteht zunehmend eine Sensibilität für Kulturphänomene, die früher gefehlt hat. Sicherlich geht diese Sensibilisierung auch mit der Globalisierung, der medialen Entwicklung und der Veränderung von Informationstechnologien einher.«

Ihre Arbeiten sind in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen, wie dem Bundeskanzleramt Berlin, der Kunsthalle Mannheim oder dem Museum of Modern Art in New York, vertreten. Im Mai hatte sie eine große Einzelausstellung mit zahlreichen Werkgruppen in der Galerie Noah in Augsburg. Danach war sie für einige Projekte mehrere Wochen in Korea. Bei der Kunstmesse Frieze/KIAF in Seoul im September dieses Jahres wird SEO eine große Arbeit für eine Acht-Meter-Wand zeigen. Dazu folgen noch dieses Jahr zwei Gruppenausstellungen in Seoul, Jeju und Berlin. Für 2023 plant sie mehrere Solo- und Gruppenausstellungen, z. B. im Frühjahr eine Einzelausstellung mit der Galerie Wetterling in Stockholm.

Was die Entstehung und Konzeption ihrer Werkgruppen angeht, gibt es Phasen der Planung und Phasen der Spontaneität: »Ich reise und lese sehr viel – daher können es spontane Impulse und Beobachtungen sein, die meine Werkgruppen beeinflussen. Manchmal sind sie aber auch Ergebnis längerer Konzeptionsphasen.« SEO versteht sich als ein politischer Mensch und sieht ihre Malerei als Konzentrat ihrer Auseinandersetzung mit den Problemen dieser Welt. Auch die Tagespolitik bleibt in ihrem Atelier nicht außen vor: »Man müsste ein eiskalter Mensch sein, wenn die aktuellen Geschehnisse keinen Einfluss auf die Kreativität haben. Mich haben in den letzten zwei Jahren daher vor allem die gesellschaftlichen Fragen beschäftigt. Ein Ausdruck dessen sind die Bilder meiner Serie ›Fremd im eigenen Heim‹ mit den Schwan-Motiven, die für mich ein Symbol des gesellschaftlichen Zusammenseins darstellen. Die Schwäne sind zwar in Gemeinschaft verbunden, gleichzeitig erscheinen sie aber auch für sich allein isoliert. Kriegerische Auseinandersetzungen und ihre Konsequenzen haben mich künstlerisch schon lange beschäftigt. In 2010 hatte ich Ausstellungen zum Thema Krieg im Gwangju Staatsmuseum in Korea namens ›War Paintings‹ und im Today Art Museum in Beijing, China, namens ›Without Words‹. Ich zeige immer das Wesen der Dinge. Bei den Kriegsbildern habe ich daher den Schmerz des Krieges anhand von unschuldigen Kindern gezeigt, um den Betrachter über die Konsequenzen aufzurütteln.«

SEO arbeitet mit verschiedenen vertrauten Galerien wie z. B. Wetterling und Noah zusammen und führt Gespräche mit neuen Galerien, so z. B. Johann König. »Die Zusammenarbeit zwischen Künstler und Galerie ist mehr als nur ›Produzieren‹ und ›Verkaufen‹«, sagt sie. »Es ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit, wodurch eine große gemeinsame Kraft entsteht, die weder Galerist noch Künstler allein erzeugen könnten.«

SEO – ihr Künstlername ist der in Versalien als Markenzeichen geschriebene Familienname. Im Rahmen seiner Recherchen kam der Autor nicht umhin, »SEO« in die Suchmaschine einzutippen. Dies bewog ihn zu der folgenden Frage an die Malerin: »Was haben SEO und ›SEO‹, Search Engine Optimization, gemeinsam?« Die Angesprochene nahm es mit Humor: »Das ist eine lustige Frage. In Search Engine Optimization tauchen ja ›Suche‹ und ›Optimierung‹ auf, das sind durchaus wesentliche Punkte, die auch auf mich zutreffen, da ich ständig auf der künstlerischen Suche bin und meine Arbeit immer weiter verbessern möchte. Das Wort ›Engine‹ würde ich durch ›Emotion‹ ersetzen.«

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2022.