Wenn Ilija Matusko an seine Vergangenheit zurückdenkt, steigt ihm der Geruch von Pommes und Frittierfett in die Nase. Doch wird dieser nicht begleitet von einem wohlig warmen Gefühl der Nostalgie oder der Sehnsucht, nur für einen Moment mal wieder Kind sein zu können. Es ist vielmehr die Scham, die ihn verfolgt, und die omnipräsente Angst, dass dieser Geruch auch heute noch an ihm haftet. Wie ein olfaktorischer Stempel, der unfehlbar auf seine soziale Herkunft zu verweisen scheint und dessen fettiger Abdruck selbst von seiner frisch gewaschenen Kleidung nicht beseitigt werden kann.

Matusko wächst in Bayern als Sohn einer Deutschen und eines Kroaten auf. Seine Eltern betreiben eine Gastwirtschaft nach der anderen, und auch er muss schon als Kind in diesen Lokalen mitarbeiten, weil das Geld immer knapp ist. Das bemerken auch seine Mitschüler: »Es riecht nach Pommes, Ilija kommt!«, ruft einer mal und manifestiert damit eine Konstante im Leben des Autors, welche gleichzeitig als Ausgangspunkt für sein Debüt »Verdunstung in der Randzone« dient.

In diesem ergießt sich ein fragmentarischer Bewusstseinsstrom aus persönlichen Erinnerungen, die Matusko an Zitate aus Coaching-Ratgebern, Amazon-Produktbewertungen, Lexika und Gesetzestexten montiert. Dieses literarische Handwerk beherrscht er dabei so gut, dass man förmlich hineingesogen wird in das, was seine Realität ist: eine Kindheit geprägt von dem Wunsch nach Zugehörigkeit und den scheinbar hoffnungslosen Bemühungen, die Prekarität seiner Lebensumstände zu verstecken; danach der Versuch einer Abgrenzung von dieser Vergangenheit und die Hinwendung zu Kunst und Kultur; schließlich seine akademische Laufbahn und die Kulmination dieser in seiner Tätigkeit als Autor. Er befindet sich zunehmend in einer Randzone, in einer inneren Zerrissenheit, in einem »unaufhörlichen Erbstreit«, wie er schreibt. Muss er das Erbe seiner sozialen Herkunft antreten? Kann er sich diesem überhaupt entziehen? Ilija Matuskos nuancierte Reflexionen darüber finden sich in seinem absolut lesenswerten Debüt.

Ilija Matusko. Verdunstung in der Randzone. Berlin 2023

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.