Angesichts derzeitiger Versuche der Volksrepublik China, sich den demokratischen Inselstaat Taiwan »einzuverleiben« hat Stephan Thomes Roman einen hohen Aktualitätswert. Das Buch erzählt uns die bewegte Geschichte dieser Insel. Im Mittelpunkt steht eine einheimische taiwanesische Familie. Die junge Umeko ist zu Beginn der Erzählung – in den 1940er Jahren – acht Jahre alt, ihr Bruder Keiji ist der unbestrittene Baseball-König seiner Schule und seiner Region. Vater Ri-san hat sich – als Nicht-Japaner – eine wichtige Position in der örtlichen Goldmine erarbeitet.

Am Ende des Buches ist Umeko eine 82-jährige Frau. Sie heißt jetzt Lee Ching: Der Wechsel vom japanischen zum chinesischen Namen ist Ausdruck der historischen Geschehnisse. Ende des 19. Jahrhunderts ging Taiwan von China an Japan, die einheimischen Inselbewohner assimilierten sich in den folgenden Jahrzehnten an die neuen Herrscher. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Chinesen zu Feinden; 1945 nahm Generalissimus Chiang Kai-shek mit seinen Kuomintang die Insel wieder für China ein, um dann den Kommunisten auf dem Festland zu weichen und Taiwan zu seinem Herrschaftsgebiet zu machen. Thome erzählt anschaulich und bewegend, wie Umeko/Lee-Ching und ihre große Familie die Wirren der Zeit erleben, von einem friedlichen Dasein und Sich-Arrangieren mit den japanischen Herren über Krieg, Unterdrückung, Gewalt, Schuld, Auflehnung und Niederschlagung hin zu einem demokratischen System, dessen Konstrukt durchaus zerbrechlich ist. Wir werden Zeuge davon, wie sehr sich Menschen, die Traumatisches erleben, verändern, bitterer, härter oder unnahbarer werden, wie andere an den Geschehnissen zugrunde gehen, weil sie sich neuen – und gewalttätigen – Herrschern nicht unterwerfen wollen. Menschliche und politische Entwicklungen gehen dabei Hand in Hand. Umekos 28-jährige Enkelin Julie ist ein Kind der Demokratie. Sie weiß wenig über die Familiengeschichte, weil über vieles geschwiegen wird. Die Lesenden erfahren mehr, für die handelnden Personen bleibt vieles im Ungewissen. Ein spannendes, einfühlsames und nebenbei auch sehr informatives Buch!

Stephan Thome. Pflaumenregen. Berlin 2021

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2022.