Es ist lehrreich, auch schlechte Ausstellungen zu besuchen. Wo sonst könnte einem klarer werden, wie man etwas nicht machen sollte? Insofern war mein jüngster Gang ins Museum für Hamburgische Geschichte eine bereichernde Erfahrung. Denn dort war bis vor Kurzem die – jetzt lehne ich mich ausnahmsweise weit aus dem prophetischen Fenster – schlechteste Ausstellung dieses Jahres zu besichtigen. Sie zeigte die Ergebnisse eines künstlerischen Wettbewerbs zur Umgestaltung des Bismarck-Denkmals. So klein die Ausstellung war, so tief ließ sie einen in die Abgründe gut gemeinter Gedenkkultur schauen. Auch Menschen, die nicht aus Hamburg stammen, kennen das monströse Bismarck-Denkmal bei der Reeperbahn. Alle wissen, dass es scheußlich ist. Trotzdem wurde es kürzlich mit zu vielen Euro-Millionen saniert. Parallel hatte sich eine Protestbewegung gesammelt. Ich weiß nicht, ob der Kolonialismus das Problematischste an Bismarck war. Mir fielen eher seine antisozialistischen und antikatholischen Feldzüge ein sowie sein autoritäres Politikverständnis. Doch nun war es eine kolonialismuskritische Interessengruppe, die eine Auseinandersetzung mit dem gerade aufgehübschten Monstrum einforderte. Also musste die Kunst ran: Ein Wettbewerb wurde ausgelobt.

Es ist schwer, die ausgestellten Einsendungen zu kritisieren oder sich über sie zu mokieren, weil sie sich geschlossen selbst zum Gespött machen. Was soll man zu Entwürfen sagen, die Bismarck eine Darth-Vader-Maske aufsetzen oder ihm ein Laserschwert in die Hand drücken, ihm eine »Knastträne« auf die Wange »tätowieren« (als Zeichen seiner Schuld) oder bei ihm einen Tränenfluss einbauen, ihm einen »Friesennerz« überziehen oder einen riesigen Zahnstocher neben ihn stellen –mit der Begründung, dass dies Fragen »evozieren« werde. Ja, aber welche? Dass es offenkundig künstlerisch ambitionierte Menschen gibt, denen gar nichts peinlich ist? Einige Entwürfe wurden als so anstößig eingestuft, dass man sie nur über einen QR-Code auf dem eigenen Handy anschauen durfte. Beispielsweise einen, der Bismarck als »Indianerhäuptling« darstellen und ihm ein Stirnband mit Feder auf dem Kopf setzen wollte. Da könnte man über den Rassismus von Antirassisten ins Sinnieren kommen, wenn es die Mühe wert wäre. Das ist es aber nicht. Allerdings war ich für diese neue Art von Triggerwarnung durchaus dankbar: Achtung, verstörende Dummheit!

Apropos Dummheit: Es ist erstaunlich, wie wenig eigenes Nachdenken in den Entwürfen steckt. Natürlich waren sie darin geübt, all die Modewörter aufzuführen, ohne die kein Förderantrag mehr auskommt: kritisch, partizipativ, interaktiv, immersiv, Intervention, Kontextualisierung. Aber dann fielen ihnen nur Plattheiten ein. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wie viele eine Begegnung mit Bismarck »auf Augenhöhe« inszenieren wollten. Ich staunte, wie oft dieses ausgelatschteste und verlogenste Wortklischee der Gegenwart von den vermeintlich kritisch-künstlerischen Geistern aufgerufen wurde. Aber ich erschrak, wie viele es wirklich eins zu eins umsetzen wollten, nämlich indem sie irgendwelche Gerüste konstruierten, auf denen die geneigte Öffentlichkeit hochklettern sollte, um dann Bismarck – ja, echt, leider – »auf Augenhöhe« zu begegnen.

So ist man zumindest dafür dankbar, dass die Jury den Wettbewerb ohne Ergebnis beendet hat. Das erfordert ein gewisses Maß an Urteilskraft und Mut. Man hat ja schon erleben müssen, dass bei ähnlichen Veranstaltungen der am wenigsten katastrophale Entwurf prämiert und dann auch realisiert wurde. So lernt man aus dieser grauenhaften Ausstellung immerhin eines: Kunst ist auch nicht immer die Lösung – vor allem nicht, wenn es um problematische Denkmäler geht.

Mit dieser negativen Lehre dürften einige kulturpolitisch Verantwortliche sogar zufrieden sein, konnten sie doch mit diesem – keineswegs überraschend – gescheiterten Wettbewerb einen Konflikt mit aktivistischen Gruppen ins Leere laufen lassen. Warum aber wurde von niemandem die entscheidende Frage gestellt, nämlich: Sollte man solch einen kolossalen Schandfleck nicht am besten einem kontrollierten Verfall preisgeben?

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2023.