In Tiergärten oder Aquarien zu bauen, gehört nicht mehr zu den Sonderaufgaben des Planens und Entwerfen. Zoodirektoren haben längst erkannt, dass Architekturwettbewerbe zwar zu einer höheren Qualität der Bauten führen. Aber zwischen dem Ansatz eines Zoos als Kirmesplatz oder als Museumsort liegt ein völlig gegensätzliches Verständnis eines modernen Tierparks. Dies zeigen gerade internationale Vergleiche. Besonders in den USA bedienen die Zoologischen Gärten ein Freizeitverhalten, das auf Belustigung und Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Dagegen haben Zoos in Deutschland erkannt, dass der Denkmalschutz historischer Bauten inzwischen auch zu einem Aspekt gehört, sich von konkurrierenden Freizeiteinrichtungen zu unterscheiden. In Leipzig, Köln oder Berlin etwa wird dem Neubau und dem Bestand eine gleiche Wertschätzung entgegengebracht. Sofern sich alte Gehege nicht in artgerechtere Anlagen umbauen lassen, dienen sie immerhin als naturkundlicher Museumsbau oder der Vermittlung von Natur- und Klimaschutzthemen. Auch im städtebaulichen Maßstab rüsten die Einrichtungen auf. Die Zoos in Zürich, Stuttgart oder Magdeburg haben jüngst Rahmen- und Masterpläne aufgestellt, um ihren Anlagen eine erforderliche Neuausrichtung zu ermöglichen oder bestehende Konzepte zu vervollständigen.

In beiden Extremen – gesteigerter Kommerz einerseits, anspruchsvoller Wissenstransfer andererseits – dient Architektur als Vehikel für die Botschaft, die in den Zoos und Aquarien vermittelt werden soll. Aber um welche Art von Baukultur geht es dabei? Der Vergleich mit einem Kunstmuseum verdeutlicht diese gegensätzliche Auffassung: Seitdem Kunst in eigenen Bauten präsentiert wird, stellen sich Architekten und Kuratoren die Frage, ob das Kunstmuseum selbst ein Objekt sein darf, oder ob es sich neutral zu den in ihm ausgestellten Objekten verhalten muss. Auf die Zooarchitektur übertragen hieße das: Muss ein Panzernashorn wie etwa im Berliner Zoo zusammen mit einer indischen Pagode ausgestellt werden? Die derzeit im Bau befindliche Anlage orientiert sich an Vorbildern aus Kolonialzeiten und bedient das Klischee eines Tieres, das laut Pressemitteilung ein »neues Zuhause erhält«. Die zoologische Tradition, Tieren in Gefangenschaft einen Namen zu geben, unterstreicht diese Vermenschlichung. Aber der Berliner Zoo ist seit Kurzem auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Themen Denkmalschutz und Ausstellungsdidaktik mit einer Architektur der Verwilderung verbinden lassen. Im Februar 2022 eröffnete Zoodirektor An­dreas Knieriem die modernisierte Großkatzenanlage, in der die Tiere zwischen Kunstfelsen vor der Silhouette der westlichen Innenstadt präsentiert werden. Der 1975 von Hans Schäfers geplante Altbau dient nun als Raum für eine Ausstellung im Charakter eines Naturkundemuseums. Für die neue Anlage zeichnen die Büros Rasbach und HJW + Partner verantwortlich.

Internationale Trends

International setzen derzeit Aquarien neue Akzente. An der mexikanischen Pazifikküste stellt die Architektin Tatiana Bilbao in Mazatlán bis 2022 ein spektakuläres Zentrum für Meeresforschung fertig, und in China übertreffen sich die Städte derzeit mit immer größeren Neubauten für Aquarien. Ebenfalls in diesem Jahr wird ein Meeresmuseum mit Aquarium am Jangtse-Fluss bei Shanghai nach einem Entwurf des New Yorker Büros Ennead Architects fertiggestellt – zwei Bauten, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Das von der mexikanischen Architektin Tatiana Bilbao entworfene Gebäude ist ein aktuelles Beispiel für den auch dort zu beobachtenden Trend einer Verwilderung der Zooarchitektur. Das Meeresforschungszentrum im Nordwesten Mexikos ist ein Ort, an dem die pazifische Küstenlandschaft mit der menschlichen Zivilisation zusammentreffen. Gebäudehohe fensterlose Wände sind orthogonal zueinander angeordnet und sollen nach Vorstellung der an der Yale University lehrenden Architektin von wild wachsenden Kletterpflanzen überwuchert werden. Die Gebäudeteile wirken in der Vogelschauperspektive wie Piet Mondrians ab­strakte Kompositionen. Das Aquarium ist Teil eines Regenerationsplans für das Meer von Cortez, von dem berühmten Ozeanographen Jacques-Yves Cousteau seinerzeit als »das Aquarium der Welt« bezeichnet. Dieser Naturraum ist eines der biologisch vielfältigsten Gewässer der Erde.

Auch China setzt mit den zahlreichen Neubauten von Aquarien neue Akzente, besonders an der Ostküste. Das New Yorker Büro Ennead Architects gewann 2019 den international ausgelobten Wettbewerb für das »Yangtze River Estuary« in Shanghai, einem Meeresmuseum mit Aquarium, das sich unter anderem für den Schutz des Chinesischen Störs einsetzt. Das in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekturbüro Andropogon geleitete Projekt ist die architektonische Hülle für ein weit ehrgeizigeres Projekt. Es geht um nichts weniger als die Rettung von vom Aussterben bedrohter Arten und um die Wiederherstellung der Artenvielfalt eines Lebensraums, der von Verschmutzung und den Auswirkungen früherer Baumaßnahmen betroffen ist. Auf einer Insel an der Mündung des Jangtse-Flusses gelegen und in eine 17,5 Hektar große Landschaft eingebettet, umfasst das 427.000 Quadratmeter große Naturschutzgebiet ein Aquarium mit Doppelfunktion und eine Forschungseinrichtung, die die Bemühungen um die Wiederansiedlung der schwindenden Bestände des Chinesischen Störs und des Jangtse-Glattschweinswal mit dem Engagement der Öffentlichkeit verbindet.

Baukunst mit Botschaften

Die gesellschaftliche Wertvorstellung vom optimalen Zusammenleben von Mensch und Tier hat sich grundlegend gewandelt. Die Erkenntnis, dass Tiere nicht reine Schauobjekte, sondern Wesen mit eigenen Rechten sind, etabliert sich immer mehr. Der kürzlich im Arizona-Sonora Desert Museum in Phoenix veranstaltete Kongress »A Wilder Kingdom. Rethinking the Wild in Zoos, Wildlife Parks, and Beyond« erörterte solche Aspekte ebenso wie die Frage, wie viel Wildheit man den Besuchenden in einem Zoo eigentlich zumuten dürfe. »Was steht für den Begriff der Wildheit? Ist es die Größe eines Tieres? Oder ist es das Füttern einer Schlange mit einer lebenden Maus?«, fragte Irus Braverman von der University at Buffalo die Anwesenden. Die Expertinnen und Experten aus den USA und Europa blieben bei ihren Antworten zwiegespalten. Dürfe man einer Familie mit kleinen Kindern einen solchen inszenierten Tötungsdelikt an einem Sonntagnachmittag überhaupt präsentieren? Wie weit lassen wir das Wissen zu, dass sich ein Großteil unserer Nahrung auf der Aufzucht und Schlachtung von Nutztieren basiert?

Dieser Wandel in der Einschätzung eines optimalen oder zumindest angemessenen Zusammenlebens von Mensch und Tier ist immer schon ablesbar in der historischen Entwicklung der Zoos, insbesondere auch in der dort versammelten Architektur. Denn sie übernimmt eine zusätzliche pädagogische Aufgabe, indem sie im Zoo dabei helfen soll, welche ökologischen Zusammenhänge zum Funktionieren der Welt als Ganzes führen. Über einen Spaß-Erlebnis-Raum hinaus muss moderne Zooarchitektur wie ein modernes Museum zum Nachdenken und vor allem zur Aktion animieren: Wie wertvoll ist mir die Natur – und was kann ich selbst tun? Hierdurch fungiert der Zoo als Schnittstelle zwischen dem Erlebnis des Zoobesuchs, dem lebendigen Tier und der Wissenschaft und deren Vermittlung.

Der Zoologische Garten hat sich von einer lebenden Trophäensammlung über ein Museum mit lebendigen Exponaten hin zu einem Erlebnispark mit moralischem Auftrag gewandelt. Die Zooarchitektur ist hierbei die sichtbare Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Menschen und Tieren. Wie man den Auftrag der Arterhaltung in Zoos und eines moralisch vertretbaren Mensch-Tier-Verhältnisses durch Baukultur unterstützen kann, ist eine Aufgabe, an der sich künftige Generationen Zoologischer Gärten messen lassen müssen – ob es die zahlreichen Neugründungen nicht zuletzt des ostasiatischen Raums sind oder die teils bitter nötigen Modernisierungen des Baubestandes in Europa, bei denen zunehmend denkmalpflegerische Aspekte zu berücksichtigen sind.

Stützenfreie Hallen und fugenlose Scheiben

Der Zoo steht vor einem Dilemma: einerseits seiner Verantwortung gerecht zu werden und eine Sensibilisierung für die Natur zu schaffen, andererseits eine angenehme Szenerie für die Besucher zu schaffen, die Kinderbetreuung, Reiseersatz und Eventgastronomie zugleich bietet. Der Fokus vor allem auf Kinder verlangsamt dabei die Transformationsfähigkeit der Zoos. Mit anderen Worten: Solange der Zoo mit Spielgeräten und Attraktionen Besucher anlockt und nur indirekt auf Naturschutz hinweisen möchte, braucht es mindestens 20 Jahre, bis diese Kinder in ihrer persönlichen und beruflichen Verantwortung ein neues Umweltbewusstsein umsetzen können. Was das für den Zoo heißt, beschreibt der Direktor des Kölner Zoos Theo Pagel: »Wir müssen unseren Worten Taten folgen lassen. Das bedeutet, Zoos sollten bis hin zu ihren gastronomischen Angeboten Vorbild in Sachen Ökologie sein. Man kann nicht Umweltbewusstsein predigen und dann im Zoo-Laden Stofftiere aus Billigproduktion verkaufen«. Und die Zoos haben das erkannt. Sie wollen kein Freizeitpark sein. Es fällt auf, dass in großen Zoos im deutschsprachigen Raum derzeit ein Transformationsprozess stattfindet.

Tierrecht, Zooarchitektur und Verwilderung

Neue Themen erweitern die Debatte über moderne Zoos. Tiere werden zunehmend als Lebewesen mit Rechten betrachtet. Das bringt der Philosoph Richard David Precht immer wieder zur Sprache. Dieses neue Naturverständnis spiegelt sich aber auch in der Zooarchitektur wider. Was zunächst nach einem Nischenthema für Architekten klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine grundlegende Aufgabe unserer Gesellschaft.

Das Bauen für Zootiere wird zu einer Endlosschleife in dem Sinne, dass die Zooarchitektur seit jeher angestrengt versucht, für den Zoobesucher eine ebenso wilde Umgebung zu schaffen wie für die Tiere. Charles Darwin zufolge passen sich die Tiere an die Umgebung an, in der sie sich befinden. Nach mehr als 100 Jahren Erfahrung mit modernen Zoologischen Gärten stellt sich nun die Frage: Was wird eigentlich gebaut und für wen? Um den Aufgaben Zoologischer Gärten gerecht zu werden gilt es, neben Wissensvermittlung, Entertainment, Arterhaltung und Forschung auch die Baukultur im Zoo als einen wesentlichen Auftrag zu eta­blieren.

Wer heute durch einen Zoologischen Garten geht oder im Aquarium die Becken und Schaukästen bewundert, wird eine neue Tendenz beobachten, die in den USA ihren Anfang gemacht hat. Es geht darum, die Habitate in ihrer größtmöglichen Authentizität zu gestalten und der Natur mit ihren eigenen Gesetzen mehr Raum zu lassen. Denn eine moderne Zooarchitektur muss nach Ansicht des in Phoenix, Arizona, lehrenden Ethikprofessors Ben A. Minteer nicht nur ein Erlebnisraum sein, sondern auch zum Nachdenken und vor allem zum Handeln anregen.

Einerseits könnte die Verwendung gemeinsamer zoologischer und architektonischer Terminologien dazu führen, dass das Bauen für Tiere dazu beiträgt, einen Standort für den Menschen im Kontext der Fauna zu bestimmen. Denn die Gestaltung eines Zoos ist immer auch ein Hinweis auf den Status unserer Beziehung zu Tieren. Andererseits kann das Nachdenken über die Zoologie der Architekturdiskussion einen neuen Impuls geben. Denn wie die Natur kommt auch die Architektur mit wenigen Grundformen aus, die die Kreativität dann unendlich variieren kann.

Von Tieren gebaute Nester und Höhlen oder von Meeresbewohnern geprägte Beckenböden in Aquarien tragen dazu bei, diese simulierte Verwilderung zu schaffen. Wenn es damit gelingt, mit dem Verhältnis von Architektur und Zoologie, von Baukultur und Natur einen Baustein für eine architektonische Debatte über zeitgemäße, verwilderte Habitate zu legen, dann ist ein weiterer wichtiger Meilenstein erreicht. In der Zoologie-Konferenz in Arizona diskutierten die vom pandemiebedingten Besucherschwund gebeutelten Betreiber auch über die Finanzierung der immer teurer werdenden Tierhäuser und Gehege. Die Besuchenden gäben sich längst nicht mehr damit zufrieden, einen Löwen irgendwo in einem Außengehege suchen zu müssen.

Zoos bedienen dieses Verlangen, die Großkatzen hautnah hinter einer Acrylwand zu präsentieren, um so viel Tier wie möglich zu zeigen. »All the real without risk« lautet das Schlagwort in den USA – möglichst viel Wirklichkeit und Adrenalinschub bei geringstmöglichem Risiko. Wohl auch aus diesem Grund werden wir in naher Zukunft das eine oder andere Gebäude im Zoo als verwilderte Hütte bewundern können. Aber wie viel Wildheit darf Architektur zulassen, wenn sie zugleich sicher, stabil, dicht und repräsentativ sein soll?

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2022.