Armeghan Taheri aka Robin Hoe ist Schriftstellerin, Künstlerin und Herausgeberin. Sie ist Gründerin von »Afghan Punk« – einem mehrsprachigen Community-Magazin in Berlin, in dem Befreiungskämpfe durch Storytelling kreativ miteinander verbunden werden. In ihrer künstlerischen Praxis arbeitet sie an der Sprengung von strukturell auferlegten Grenzen von Sprache, Kunst und Politik. Zurzeit schreibt sie als Stipendiatin der Stiftung Künstlerdorf Schöppingen. Taheri ist Teil des kuratorischen Teams beim Länderschwerpunkt zu Afghanistan im »Goethe-Institut im Exil«, der mit einem Festival vom 30. Juni bis zum 2. Juli eröffnet wird. Patrick Wildermann spricht mit ihr über Arbeit und Leben in der afghanischen Diaspora.

Patrick Wildermann: Frau Taheri, auf der Homepage Ihres Magazins »What’s Afghan Punk Rock, anyway?« schreiben Sie: »The afghan story sells«, die afghanische Geschichte verkauft sich gut. Worauf genau zielt diese Kritik?

Armeghan Taheri: Es geht mir um Identitäten, die von der Mehrheitsgesellschaft und den Medien festgelegt werden und die es uns schwer machen, in unserer gesamten Menschlichkeit und in komplexeren historischen Zusammenhängen wahrgenommen zu werden. »The afghan story sells« bezieht sich auf eine Geschichte der Trauer und Unterdrückung, besonders Frauen betreffend. Wir können uns nur in einer Binarität bewegen. Entweder sind wir die Opfer, die von ihren afghanischen Männern unterdrückt werden, oder wir werden in eine vom Westen kontrollierte Heldenrolle erhoben wie z. B. die Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai. Wir müssen also politische Narrative bedienen. Dazwischen gibt es kaum Spielraum, irgendetwas anderes zu repräsentieren.

Woran machen Sie diese Beschränkung fest?

Unsere Gesichter werden als exotische Gesichter gezeigt, die weinen, leiden, Trauma reproduzieren. Nur wenn wir unseren Schmerz erzählen, nur wenn wir diesen emotionalen Cash-out bedienen und die Flüchtlingsgeschichte so erzählen, wie sie von der Mehrheitsgesellschaft gehört werden will, dürfen wir existieren.

Sie sind Erwartungen nicht nur durch die Mehrheitsgesellschaft, sondern auch durch die afghanische Diaspora ausgesetzt. Ein doppelter Druck?

In der Diaspora gibt es auch eine normative Art und Weise zu sein, die durchaus Parallelen zu einer deutschen Bürgerlichkeit aufweist. Queer zu sein ist beispielsweise schwierig – womit ich nicht nur eine bestimmte Identität von schwul-lesbisch meine, sondern ein bestimmtes politisches Verständnis und Gemeinschaftsgefühl. Es gibt Erwartungen, was es bedeutet, eine gute Frau zu sein, wie man sich zu kleiden, sich zu benehmen und wie man zu sprechen hat. Speziell Frauen, die politisch oder künstlerisch aktiv sind, werden in diesem Raum in eine Ecke getrieben, nicht ernst genommen oder marginalisiert.

Was war der Impuls, das Magazin »What’s Afghan Punk Rock, anyway?« zu gründen, das Geschichten, Comics und Gedichte versammelt?

Der Gedanke war ganz simpel. Ich brauchte diesen Raum, der in Deutschland nicht gegeben war, deswegen habe ich ihn selbst geschaffen – und nach und nach gemerkt, dass auch andere ihn brauchen und das gleiche Bedürfnis haben: frei reden zu dürfen, zu reflektieren, was Kunst eigentlich ist, was Sprache ist, was Originalität ist? Wer sind die Wächter dieser Merkmale? Wer bestimmt darüber? Der ursprüngliche Gedanke der Zine-Kultur ist es, Partizipation und politische Selbstorganisation zu ermöglichen, das hat mich auch zu »What’s Afghan Punk Rock, anyway?« inspiriert. Es ging darum, Kunst und Kultur aus den neoliberalen Zusammenhängen zu lösen und sich als Community zu begreifen, jenseits des westlichen Hyperindividualismus.

Wie ist die erste Ausgabe entstanden?

Zu dem Zeitpunkt war ich gerade in einer vierwöchigen Kunstresidenz. Ich hatte keinen festen Plan, ich habe einfach einen Call gestartet und geschaut, was Leute mir zuschicken. Alles war DIY, wir leben zum Glück in einem Zeitalter, in dem das Internet vieles einfacher macht und Zugänge zu Ressourcen schafft, z. B. zu Grafiksoftware. Inhaltlich war diese Ausgabe sehr auf Identität fokussiert, bei vielen Menschen, die mir Beiträge geschickt haben – nicht nur afghanische übrigens –, kamen traumatische Erlebnisse hoch, sie brauchten einen Raum, wo sie sich nicht instrumentalisiert oder verurteilt fühlen. Die zweite Ausgabe haben wir dann dem Thema Liebe gewidmet.

Mit einem bestimmten Fokus?
Auch beim Thema Liebe geht es darum, Binaritäten aufzubrechen. Liebe ist nicht nur die bürgerliche Norm der romantischen Liebe zwischen Mann und Frau, Liebe kommt in vielen verschiedenen Formen vor, jenseits von Hierarchisierung. Es gibt Freundschaft als Liebe, Community als Liebe, Liebe für die Menschheit, Liebe für Gott. Wenn wir nicht daran glauben würden, dass ein anderes Miteinander möglich ist, würden wir diese Arbeit nicht machen. Die dritte Ausgabe beschäftigt sich mit Zukunft. Wie sehen wir uns selbst in der Zukunft, welchen Raum haben wir da? Ein Spiel mit Futurismus.

Welchen Begriff von Community haben Sie? Ist es ein Kreis von Gleichgesinnten oder viel-mehr eine Bewegung, die auch auf Solidaritäten und Allianzen mit der Mehrheitsgesellschaft zielt?

Zunächst mal: Ich mache keine Arbeit für die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Keine Aufklärungsarbeit. Wenn ich über Community spreche, meine ich ausschließlich das Magazin. Diese Community, das sind nur ich und einige Freundinnen und Freunde, die versuchen, Strukturen aufzubauen parallel zu den gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir leben. Man muss auch aufpassen, dass dieser Community-Begriff nicht zu sexy wird und bloß noch nach Lyrik für den Fördermittelantrag klingt, während er sich in den realen Arbeitszusammenhängen gar nicht mehr einlöst. Im Kapitalismus werden Begriffe nun mal schnell vereinnahmt und ihrer eigentlichen empowernden Intention beraubt. Community bedeutet für mich Verantwortung.

Inwiefern?

Viele vergessen leider, wie viel Arbeit, vor allem unsichtbare Arbeit, dahintersteckt. Im Kontext des Magazins bedeutet das, ich möchte meine Community auch schützen, die Leute in ihrer Verletzlichkeit, die eben nicht verkauft oder vermarktet werden sollen. Community bedeutet für mich auch Care, und das ist in meinen Augen eine Genderfrage. Es bedeutet, außerhalb des Patriarchats darüber nachzudenken, wie viele internalisierte Dinge wir erst mal verlernen müssen, damit eine Community zum Leben kommen kann und Leute sich sicher fühlen.

Im Sinne eines Safe Space?

So etwas wie Sicherheit gibt es nicht. Wir können nur versuchen, alles relativ sicher zu machen. Wir sind Menschen, wir müssen damit rechnen, dass Fehler passieren. Ich gehe von einem transformativen Gerechtigkeitsgedanken aus. Das heißt, wir sind alle gewaltvoll auf die eine oder andere Weise, aber wir versuchen, zusammen die Wurzeln dieser Gewalt zu sehen, kollektiv Verantwortung zu übernehmen und sie dadurch zu transformieren.

Sie haben unter anderem einen Essay über Meena Keshwar Kamal geschrieben, die Gründerin der »Revolutionary Association of the Women of Afghanistan«. Ist sie ein Vorbild?

Ich habe keine Vorbilder und finde, wir sollten uns generell von Vorbildern und Podesten lösen. Natürlich gibt es Menschen, die ich respektiere. Meena ist für mich nur eine von vielen Frauen, die im Westen nicht sichtbar sind. Aber ihre Sichtbarkeit ist auch unsere, und Meena ist definitiv ein gutes Beispiel für den Feminismus in Afghanistan, der oft geleugnet oder als Import aus dem Westen deklariert wird. Von wegen. Wir hatten einen intersektionalen Feminismus, einen antikolonialen und antiimperialistischen Feminismus, vorangebracht von afghanischen Frauen. Wir wurden nicht erleuchtet, wir kannten das Licht.

Ist es möglich, mit Traumata und Schmerz sichtbar werden, ohne sich zu verkaufen?
Gerade in der Kunst ist das so eine Sache. Intention und Rezeption finden ja selten zusammen. Wenn ich in meinem Schreiben, in meinen Buchprojekten wirklich an die Authentizität meiner eigenen Schmerzen gehen will, dann wird auf jeden Fall irgendwann das Trauma hochkommen. Das werde ich nie kontrollieren können. Aber ich kann darauf bestehen, in meiner ganzen Menschlichkeit gesehen zu werden, das ist ein Handlungsspielraum, den ich auch nutze.

Auf welches Trauma beziehen Sie sich?

Ich bin es leid, dass die Kondition meiner Existenz in bestimmten Räumen daran gebunden ist, dass ich über mein Trauma spreche, vor allem, wenn es um Kunst und Kultur geht. Ich möchte wie eine weiße Person vielleicht mal über Blumen schreiben. Über die Liebe. Natürlich hängt der Begriff mit meinem Leben zusammen. Selbst wenn ich über Liebe schreibe, schreibe ich am Ende des Tages über das Trauma der verlorenen Liebe, verlorene Zärtlichkeit. Aber damit beziehe ich mich auf einen strukturellen Traumabegriff, der mich entmenschlicht. In meinen Geschichten spiegelt sich die Zerrüttung auch im Mikrokosmos des persönlichen Lebens, im Bezug zu Liebe, Intimität, Berührung und Zärtlichkeit. Es geht um die kollektiven und persönlichen Auswirkungen von globalen Machtverhältnissen, die uns beraubt haben, nur um hier auf diesen Boden auf systematische Gewalt zu stoßen.

Ist Diaspora eine Verortung, die sich für Sie schlüssig anfühlt?

Schon, auf eine bestimmte Art und Weise müssen wir eine Grenze ziehen bezüglich unserer Lebenserfahrung und wie wir über bestimmte Verhältnisse sprechen. Ich bin nicht in Deutschland geboren, aber ich habe einen deutschen Pass und bin hier sozialisiert. Die Art und Weise, wie ich auf Afghanistan schaue, unterscheidet sich von der einer Person, die dort aufgewachsen ist. In der Diaspora gibt es auch viel Romantisierung, Selbstorientalisierung, diese Sehnsucht nach dem Granatapfel der Mutter – bestimmte romantisierende Projektionen. Aber als Positionierung ergibt der Begriff auf jeden Fall Sinn.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.