Mit dem Bluehouse Helgoland entsteht 60 Kilometer vom Festland entfernt ein neuer Ort der Wissenschaftskommunikation, der weit über die Grenzen einer Ausstellung hinausreicht. Forschung soll zur Erfahrung, Klimaschutz zur Gemeinschaftsaufgabe und Wissen zur demokratischen Ressource werden. In Zeiten wachsender Wissenschaftsskepsis will das Projekt ein starkes Zeichen für Transparenz, Teilhabe und Verantwortung setzen.

Das alte Aquarium von Helgoland stand seit 1959 Besucherinnen und Besuchern offen und gab einen Einblick in die Unterwasserwelt rund um Helgoland. Als Teil des Forschungsinstituts war hier Öffentlichkeitsarbeit mit Fragestellungen von Forscherinnen und Forschern verknüpft, und es wurde gleichermaßen von Insulanerinnen und Insulanern sowie Touristinnen und Touristen geliebt. Aufgrund baulicher Mängel musste das Gebäude für die Öffentlichkeit 2014 geschlossen werden. Durch intensive Kommunikation konnte Unterstützung aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), den Bundesländern, dem Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und der Gemeinde Helgoland für einen Neubau gewonnen werden. Ein neuer Ort der Teilhabe, Bildung und Aufklärung über Klimawandel und Meeresschutz sollte entstehen. Die Idee, einen wissenschaftlichen Begegnungsort mit Aquarien mit der lokalen Unterwasserfauna zu schaffen, ging mit dem Wunsch einher, auch den Neubau in der Formensprache der Bauhaus-Architektur zu gestalten. Der Neubau fügt sich so ins Ortsbild ein; die Maxime des Bauhauses »Die Form folgt der Funktion« entspricht dem Zweck, einen innovativen Wissenschaftsbegegnungsort zu schaffen, der nicht nur das frühere Aquarium ersetzt, sondern den demokratischen Anspruch von Wissenschaftsvermittlung in den Mittelpunkt stellt.

Für viele Menschen ist das Meer ein emotionaler Ort, ein Herzensort, für viele Meeresforscherinnen und Meeresforscher ist ihre Arbeit eine Herzensangelegenheit. Helgoland bekommt ein neues wissenschaftliches Herz – offen, lebendig und für alle zugänglich.

Das Bluehouse Helgoland ist mehr als eine Ausstellung: Hier entsteht ein Ort, der das Prinzip der Wissenschaft als öffentliches Gut ernst nimmt. In einer Zeit, in der der Zugang zu verlässlichen Informationen entscheidend für gesellschaftliche Teilhabe und Zukunftsgestaltung ist, setzt das Projekt ein deutliches Zeichen. Die Besucherinnen und Besucher sollen einen lebendigen Eindruck von den Meereswissenschaften bekommen.

Die interaktive Ausstellung richtet sich ausdrücklich an alle Menschen – unabhängig von Alter, Herkunft oder Bildungsstand. Hier wird lokale Identität Helgolands ebenso ernst genommen wie globale Perspektiven; die Inhalte wie zum Beispiel die Auswirkungen des Klimawandels werden regional und global betrachtet und werden auf Deutsch und Englisch wiedergegeben, außerdem wird es einen Audioguide in der Inselsprache Halunder geben. Durch mediale Gesamtkompositionen sollen Besucherinnen und Besucher wirklich eintauchen und emotional verstehen, wie sich diese Welt verändert und warum sich Handeln lohnt.

Das Ausstellungskonzept, vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) gemeinsam mit der Gemeinde Helgoland und dem Berliner Studio klv entwickelt, lädt zum Mitmachen ein. Vier große Themenbereiche führen durch die Ausstellung: von der Entstehung der Nordsee über ihre heutige Unterwasserwelt bis hin zu Fragen der aktuellen Meeresforschung und der Zukunft des globalen Klimas. Ein Highlight ist das 80.000-Liter-Aquarium, das die faszinierende Unterwasserwelt rund um Helgoland abbildet.

An sogenannten Explorer-Tischen werden Besucherinnen und Besucher selbst zu Forschenden und erkunden zum Beispiel spielerisch Verknüpfungen im Nahrungsnetz und Auswirkungen des Temperaturanstiegs im Wasser auf den Seehasen (Cyclopterus lumpus) oder die Aalmutter (Zoarces viviparus). In naher Betrachtung von großen und kleinen Aquarien können große und kleine Landschaften unter Wasser entdeckt werden, wie sie um die Insel Helgoland herum zu finden sind; eine Besonderheit ist, dass das Aquarium mit direktem Seewasserzufluss betrieben wird und damit naturidentische Bedingungen bietet. Das Felswatt, der Küstenbereich des Inselsockels aus Fels, der den Gezeiten unterliegt und in den Gäste der Insel aus Gründen des Naturschutzes nicht vordringen dürfen, wird mit großen Raumprojektionen »zum Eintauchen« dargestellt. Auf den rund 600 Quadratmetern wird also nicht nur Wissen vermittelt – es wird erfahrbar gemacht.

Besonderes Gewicht erhält in der Ausstellung die Vermittlung von wissenschaftlich gesicherten Fakten zum Klimawandel. Die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels auf die Meere sind komplex – und gleichzeitig für jeden erfahrbar, auf Helgoland, ob als Besuchende oder Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch in ganz Deutschland: steigende Meerestemperaturen, veränderte Artenzusammensetzungen, Bedrohung der Küsten durch Erosion und Extremwetter. Genau hier setzt das Bluehouse Helgoland an. Es macht diese Prozesse sichtbar und verständlich.

Karen Helen Wiltshire, ehemalige Vizedirektorin des AWI, betont: »In unserer Ausstellung zeigen wir, was es bedeutet, wenn sich das Meer direkt vor unserer Haustür verändert.« Die Präsentation jahrzehntelanger Langzeitdaten der Forschungsstation Biologische Anstalt Helgoland (BAH) vermittelt nicht nur, dass sich das Meer verändert, sondern auch, wie dieser Wandel gemessen, analysiert und eingeordnet wird. Seit über 100 Jahren werden an der Biologischen Anstalt Helgoland, die jetzt ein Teil des Alfred-Wegener-Instituts ist, die Meerwassertemperatur, der Salzgehalt und später auch die vorhandenen Nährstoffe und das Plankton (die Kleinstlebewesen im Wasser, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind) gemessen und aufgezeichnet. Diese Datenreihe ist so wichtig, dass sie in die globalen Klimamodelle und Berechnungen eingeht und klar den Wandel dokumentiert. Der Zugang zu diesen Daten ist eine demokratische Notwendigkeit – denn nur wer informiert ist, kann auch verantwortlich handeln.

Das Bluehouse Helgoland zeigt eindrücklich, warum der Schutz der Meere keine Nische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Meere sind Klimaregulator, Lebensraum und Nahrungsquelle und bedroht wie nie zuvor. Mit interaktiven Exponaten, Simulationen und Erlebnisstationen macht die Ausstellung erfahrbar, welche ökologischen Zusammenhänge bestehen, wie empfindlich das System Meer reagiert und welchen Beitrag jeder einzelne Mensch zum Schutz leisten kann.

Der direkte Zugang zur Forschung ist das Kernversprechen des Bluehouse. Die Ausstellung versteht sich nicht als Elfenbeinturm, sondern als Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Der neue Glasbau, der das Bluehouse mit dem benachbarten Forschungsgebäude verbindet, macht diese Idee auch architektonisch und im Material sichtbar; Forschung ist transparent, und Forschung und Öffentlichkeit gehören zusammen.

Das Ziel ist es, die Menschen in einen echten Dialog mit der Wissenschaft zu bringen. Dieser Dialog wird nicht nur im Ausstellungsraum geführt – neben Bildungsangeboten, Workshops und themenorientierten Führungen, die Bürgerinnen und Bürger selbst als Akteure des Wandels ernst nehmen, wird das jetzt schon bestehende Schülerlabor des AWIs OPENSEA im Bluehouse verortet sein. Das Schülerlabor bietet in mehr als 15 Kursen pro Jahr Schulklassen aus ganz Deutschland einen außerschulischen Lernort mit unmittelbarer Erfahrung des Lebensraums Meer. Hier werden in verschiedenen Modulen den Schülerinnen und Schülern physikalische Prozesse und Strömung im Meer, Mikroplastik im Meer, der Lebensraum des Felswatts und des Sandstrands vermittelt. Dabei spielt Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), um transformative Prozesse und ein bewusstes Handeln zu vermitteln, eine große Rolle. Gerade in einer Zeit, in der Desinformation und Wissenschaftsskepsis zunehmen, ist dies ein dringend notwendiger Beitrag zur demokratischen Resilienz.

Das Bluehouse Helgoland beweist, dass Wissenschaft nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden muss, sondern mitten im Leben, im besten Fall begreifbar und zugänglich. Es ist ein Ort für Bürgerinnen und Bürger, für Schülerinnen und Schüler, für Urlauber und Einheimische gleichermaßen. Die großen Fragen unserer Zeit von Klimakrise über Artensterben bis zum Schutz unserer Lebensgrundlagen können wir nur gemeinsam beantworten. Das Bluehouse Helgoland will zeigen, wie Wissenschaft, Klimaschutz und Demokratie zusammengehören – und warum Aufklärung mehr ist als Information. Ein Haus für das Meer. Und für uns alle.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.