Der Sprecherrat des Deutschen Kulturrates hat am 18. März 2025 einen neuen Vorstand gewählt. Der Cellist Christian Höppner, Deutscher Musikrat, wurde einstimmig zum Präsidenten gewählt. Er war bereits von 2013 bis 2019 Präsident des Deutschen Kulturrates und 2022 erneut gewählt worden. Im Amt als Vizepräsidentin wiedergewählt wurde die Bildende Künstlerin Dagmar Schmidt, Deutscher Kunstrat. Als neuer Vizepräsident wurde der Archäologe Manfred Nawroth, Rat für Baukultur und Denkmalkultur, gewählt. Wir haben den Vorstandsmitgliedern zehn Fragen gestellt.

 

Welche ist die größte kulturpolitische Herausforderung der nächsten Jahre?

Christian Höppner:

Die Erkenntnislage über die fundamentale Bedeutung von Bildung und Kultur für unsere Gesellschaft mit adäquaten Rahmenbedingungen vor Ort für jede Bürgerin und jeden Bürger erfahrbar zu machen. Kulturelle Teilhabe und Kulturelle Bildung von Anfang an und ein Leben lang in der qualifizierten und kontinuierlichen Vermittlung. Dazu braucht es endlich einen kooperativen Kulturföderalismus, der Sonntagsreden in Montagshandeln transformiert

Dagmar Schmidt:

Die starke Polarisierung und die zunehmende Fragmentierung der Gesellschaft in viele unterschiedliche Informationsblasen sind herausfordernd. Wie wird es gelingen, im Gespräch zu bleiben bzw. (wieder) ins Gespräch zu kommen?

Manfred Nawroth:

Für den Kulturbetrieb muss bei möglichen Sparmaßnahmen eine angemessene finanzielle Unterstützung von Bund, Ländern und Kommunen zugesichert werden. Sparmaßnahmen hätten desaströse Folgen und sind unbedingt zu vermeiden.

 

Wo sehen Sie in den nächsten Jahren eine besondere kulturpolitische Chance?

Höppner:

Mit einem Mentalitätswechsel zu »Mehr Kultur wagen«: Die kulturpolitischen Forderungen des Deutschen Kulturrates bieten auf allen föderalen Ebenen die Chance, mit der Kraft der guten Argumente sowie Beharrlichkeit die Unterfinanzierung der bildungskulturellen Infrastruktur in der drittstärksten Volkswirtschaft zu beenden. Bildung und Kultur sind eine öffentliche Aufgabe, in öffentlicher Verantwortung und überwiegend öffentlicher Finanzierung.

Schmidt:

Die finanziellen Herausforderungen, etwa wieder für die Freie Szene, sind zugleich eine Chance für alle, gemeinsam Solidarität zu leben. Ich hoffe auf anhaltende Empathie bei den Institutionen, insbesondere den »großen Schiffen«, im Kulturbetrieb.

Nawroth:

Der Kulturbetrieb hat die Chance, sich den wachsenden und wandelnden Herausforderungen bei Themen wie kulturelle Bildung, Erhalt des Kulturerbes, Nachhaltigkeit, Einfluss der KI oder den sich verändernden Interessen beim Generationenwechsel zu stellen und Ansprüche zu formulieren. Hier gilt es selbstbewusst zu agieren.

 

In welchen Themen und Arbeitsfeldern des Deutschen Kulturrates möchten Sie Ihre Schwerpunkte setzen?

Höppner:

Neben der moderierenden Kraftfeldstärkung des Deutschen Kulturrates, die im Zusammenwirken mit dem Sprecherrat und der Geschäftsführung zu den Kernaufgaben des Präsidenten gehört, gilt mein besonderes Engagement der Deutschen Welle und der Deutschen UNESCO Kommission.

Schmidt:

Es gibt viel zu tun. Daher möchte ich mich auf die Implementierung von nachhaltigen Prozessen im Kultur- und Kulturverbandsbetrieb konzentrieren und mich darüber hinaus Fragen der Kunstfreiheit, Inklusion, aber auch ganz konkreten Problemen wie Steuerfragen widmen.

Nawroth:

Dem Erhalt des kulturellen Erbes und dem Denkmalschutz gilt weiterhin mein besonderes Augenmerk. Darüber hinaus gilt es auch für mich, im Vorstand die Interessen aller Kunstschaffenden zu vertreten.

 

Wo im Kulturbetrieb darf sich KI auf keinen Fall durchsetzen?

Höppner:

Es gilt die Kunstfreiheit. Meine Hoffnung ist, dass KI auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein wird, mit dem Unvorhergesehenen »kreativ« umzugehen.

Schmidt:

Künstliche Intelligenz wird die menschliche Kreativität zwar erweitern, aber nicht ersetzen. Das letzte »Wort« soll immer der/ein Mensch haben.

Nawroth:

KI wird sich wahrscheinlich nahezu überall durchsetzen. Es gilt dabei unbedingt die Rechte der Kunstschaffenden u. a. in Film, Medien, Musik, bei Übersetzenden usw. zu wahren und zu stärken.

 

Was denken Sie, wenn Sie den Begriff »Leitkultur« hören?

Höppner:

Eine uralte Sackgassen-Diskussion. Die ausgewogene Balance von kulturellem Erbe, den zeitgenössischen künstlerischen Ausdrucksformen einschließlich der Jugendkulturen sowie anderer Herkunftskulturen prägt das Fluidum kulturellen Lebens in offenen Gesellschaften. Die völkerrechtlich verbindliche UNESCO-Konvention Kulturelle Vielfalt und der weite Kulturbegriff der UNESCO gehören u. a. zu den viel zu wenig genutzten kulturpolitischen Berufungs- und Handlungsgrundlagen.

Schmidt:

An eine alte kulturpolitische Debatte, die leider immer (wieder) hervorgeholt wird, um kulturelle Inspiration aus den Erfahrungen der immigrierten Menschen als Nachteil darzustellen und einzuschränken.

Nawroth:

Der Begriff »Leitkultur« führt uns gesellschaftlich sicher nicht in die richtige Richtung. Es gilt vielmehr, die Vielfalt in Gesellschaft und Kultur zu wahren und zu stärken.

 

Mit welcher Künstlerin, welchem Künstler würden Sie gerne einmal zu Abend essen?

Höppner:

Gerhard Richter.

Schmidt:

Mit dem Musiker Alan Walker.

Nawroth:

Es kommen mehrere Personen in Frage, auch Personen, die mir bekannt sind wie die Fotografin Herlinde Koelbl.

 

Mit welcher Politikerin, welchem Politiker würden Sie gerne einmal ausführlich über die Bedeutung von Kunst und Kultur diskutieren?

Höppner:

Friedrich Merz.

Schmidt:

Ursula von der Leyen.

Nawroth:

Auf jeden Fall würde ich ein Gespräch mit der/dem Kulturstaatsminister/in für wünschenswert halten.

 

Welches Buch, LP, Computer-spiel o. ä. würden Sie unseren Leserinnen und Lesern empfehlen?

Höppner:

Reinhard K. Sprenger: »Gehirnwäsche trage ich nicht: Selbstbestimmt leben und arbeiten«.

Schmidt:

Zwei Bücher: Victor Klemperer: »LTI. Notizbuch eines Philologen« zum Abgleich mit der deutschen Gegenwart sowie Stefan Baron, Guangyan Yin-Baron: »Die Chinesen. Psychogramm einer Weltmacht«, das den Blick auf das »Reich der Mitte« großartig weitet.

Nawroth:

Wieder einmal aktuell in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart und Zukunft ist das Album »Golden Years« von Tocotronic für mich empfehlenswert.

 

Welche Persönlichkeit aus dem Kulturbereich hat Sie in den letzten Monaten besonders beeindruckt?

Höppner:

Christian Thielemann – nicht nur in den letzten Monaten.

Schmidt:

Die Preisträgerin des Gabriele Münter Preises 2025, die Deutsch-Iranerin Parastou Forouhar.

Nawroth:

Es gibt viele Künstlerinnen und Künstler, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Themen auseinandersetzen. Eine davon ist Nino Harataschwili, die sich in schwierigen Umbruchszeiten für Solidarität mit der georgischen Bevölkerung stark macht, ein Engagement, von dem wir mehr benötigen.

 

Womit beschäftigen Sie sich gerne, wenn es einmal nicht um Kultur oder Kulturpolitik geht?

Höppner:

Die Kraft und Schönheit der Natur immer wieder auf ein Neues zu erleben sowie meinen kulinarischen und vinologischen Erfahrungsschatz im Praxisvollzug weiter auszubauen.

Schmidt:

Da fällt mir nichts ein. Ich wüsste nicht, was von meinen Beschäftigungen nicht Kultur oder Kulturpolitik ist.

Nawroth:

Es gibt einiges, was ich abseits der Kulturpolitik gern mache. Auf jeden Fall gehört dazu auch, Zeit im Freien zu verbringen, sei es beim Wandern oder bei anderen Aktivitäten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2025.