Juergen Boos gibt Auskunft über Aufgaben und Ziele der internationalen Bücherschau.
Barbara Haack: Auf Ihrer Webseite findet sich eine Mission der Buchmesse: »Wir wollen auf der Frankfurter Buchmesse unsere Leidenschaft für gute Geschichten und für kreative Ideen als Erlebnis für alle Sinne inszenieren.« Ist das immer noch der Kern der Buchmesse?
Juergen Boos: Das ist ganz sicher der Kern der Buchmesse. Unser Hauptziel ist es, Menschen zusammenzubringen, die sich mit Geschichtenerzählen beschäftigen. Wir verstehen unsere Aufgabe auch darin, international zu agieren und alle am Prozess Beteiligten, vom Autor zum Leser, in den Austausch zu bringen und aufeinander neugierig zu machen.
Welche Rolle spielt der Leser für die Frankfurter Buchmesse – auch im Vergleich mit der Leipziger Buchmesse, bei der der Leser im Fokus steht?
Wenn man Verleger fragt, sagen sie immer zuerst, der Leser sei das Wichtigste. Wenn man ein bisschen tiefer bohrt, wird plötzlich der Autor das Wichtigste. Für uns ist beides gleichbedeutend. Auch den Übersetzer muss man mitdenken. Im Gegensatz zu Leipzig sind wir zwar primär eine Fachmesse. Aber auch wir existieren nicht ohne den Leser.
Welche Plattformen gibt es auf der Messe, die die Menschen zusammenbringen?
In erster Linie findet die persönliche Begegnung an den Ständen statt. Dann haben wir die zahlreichen Bühnen zu unterschiedlichen Themen. Das reicht von Begegnungen mit Kinder- und Jugendbuchautoren bis hin zu sehr harten Diskussionen um das Urheberrecht. Wenn man erlebt, was sich in den letzten Jahren im Bereich »New Adult« tut: Da geht es um die 1:1-Begegnung zwischen Leser und Autorin. Dafür haben wir seit letztem Jahr eine eigene Halle eingerichtet.
Wir schaffen Begegnung auch das ganze Jahr über, z. B. durch Teilnahmen an internationalen Buchmessen. Die Frankfurter Buchmesse hat – ähnlich wie das Goethe Institut – den Auftrag, für das deutsche Buch, für die deutsche Literatur im Ausland zu werben.
Auch der Lizenzhandel spielt eine wichtige Rolle auf der Frankfurter Buchmesse. Welche?
Der Lizenzhandel ist sicher unser Rückgrat. Daraus resultiert unsere Internationalität. In unserer Branche kaufen wir besonders viel aus dem englischen Raum. Allerdings erleben wir in den letzten Jahren ein großes Interesse an anderen Ländern, Sprachräumen, Kulturräumen. Passend dazu sind unser Ehrengast in diesem Jahr die Philippinen.
2020 hat die Buchmesse im Wesentlichen digital stattgefunden. Ist heute alles so wie früher? Was ist übrig geblieben vom digitalen Messegeschehen?
Wir haben Corona als große Bedrohung erlebt. Wir haben damals an virtuellen Messe-Angeboten gebaut. Das interessiert heute kaum mehr jemanden. De facto sind es komplementäre Angebote, die zum Teil auch schon vor der Buchmesse ganzjährig stattfanden. Die Frankfurter Buchmesse verändert sich im Übrigen jedes Jahr. Wir spiegeln, was wirtschaftlich in der Buchbranche und was gesellschaftspolitisch auf der Welt los ist. Unsere Branche lebt dabei sehr vom Vertrauen. Dieses Vertrauen lässt sich nur im persönlichen Raum herstellen. Wir haben gelernt, dass die persönliche Begegnung nicht zu ersetzen ist.
Zur Digitalisierung gehört auch die KI. Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz?
In den Workflows der Verlage hat sich das schon seit zwei, drei Jahren komplett etabliert. Im Hintergrund benutzt man KI für den Produktionsprozess. Im Vertriebsbereich, in der Zielgruppenanalyse ist es schon gang und gäbe. Kompliziert wird es, wo Inhalte generiert werden. Im Bereich der Literatur sprechen wir über originäre Inhalte, die aus meiner Sicht von KI nicht geschaffen werden können, weil KI nach hinten blickt. Gleichzeitig ist das Thema verknüpft mit der Urheberrechts-Problematik. Da stimmen die Rahmenbedingungen noch nicht.
Wir erleben aktuell viele sich verschärfende internationale Konflikte und Brandherde. Werden Konflikte auch im Rahmen der Buchmesse ausgetragen?
Das ist für uns inhärent, es gehört seit der Gründung der Frankfurter Buchmesse dazu. Alle bringen ihren eigenen Konflikt mit, der sich über die Literatur, aber auch über politische und gesellschaftspolitische Diskussionen abbildet. Bis jetzt ist es uns aber immer gelungen, dass dieser Diskurs in Frankfurt friedlich stattfindet.
Haben Sie in diesem Jahr Sorgen, wenn es z. B. um den Nahen Osten geht?
Nein. Es brennt überall auf der Welt, aber die Buchmesse darf niemanden ausschließen. Wir müssen auch mit einem gewissen Konfliktpotenzial umgehen können, weil Literatur immer viel mit nationaler und kultureller Identität zu tun hat.
Was kann die Frankfurter Buchmesse aktiv tun, um diese Konflikte friedlich zu halten?
Indem wir selbst einen gesellschaftspolitischen Diskurs initiieren – etwa mit unserem kulturpolitischen Programm »Frankfurt Calling«. Wir werden palästinensische Autoren, wir werden aber auch israelische Autoren hier haben. Wir werden sie idealerweise gemeinsam auf ein Panel setzen. Wenn sie das nicht wollen, ist es auch in Ordnung.
Wie sind Sie mit dem Börsenverein verbunden?
Wir haben auf der einen Seite das Messegeschäft. Wir haben als Teil der Börsenvereinsgruppe des Deutschen Buchhandels aber auch die Aufgabe, für das deutsche Buch wirtschaftlich und kulturpolitisch zu werben. Die Börsenvereinsgruppe hat hier eine wichtige Funktion als Vorbild weltweit, wir stehen für einen der größten Buchmärkte der Welt.
Vielen Dank.