Seit einiger Zeit rumort es mal wieder in meiner Branche. Wer darf wen und was spielen, ist dabei die große Frage. Amazon hat schon vor Monaten Richtlinien herausgegeben, für Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit. Das klingt erst einmal gut und vorbildlich. Eine riesige Produktionsgesellschaft bemüht sich um Minderheiten! »Es sollen nur noch Schauspieler engagiert werden, deren Identität (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmt.« – Oha!

Outing

Also Schwarze spielen Schwarze, Homosexuelle Homosexuelle und Juden Juden. Wie soll das gehen? Werden Ausweise bei Drehbeginn verlangt, wo z. B. eine Schauspielerin nachweisen muss, dass sie eine jüdische Lesbe ist? Wird sie fortan unter dem unfreiwilligen Outing leiden? Werden sich schwarze Darsteller um die Rolle Nelson Mandelas streiten, weil es keine anderen Rollen für sie gibt? Auch die Öffentlich-Rechtlichen haben sich offensichtlich diesen Richtlinien verschrieben: In den ersten zehn Minuten eines Tatorts erscheinen auf der Bildfläche ein Homosexueller, ein Schwarzer, ein Mensch mit Behinderung, ein Jude und erst dann die Leiche. Wenn der Kommissar endlich auftaucht, habe ich den Plot schon komplett vergessen.

Entstanden war das Ganze unter anderem, weil sich seit Jahrzehnten im Erscheinungsbild nichts getan hatte. Die immer gleichen Nasen, sehr häufig weiße alte Männer mit sehr jungen Blondinen, spielten alles rauf und runter. Kein Mensch hatte mehr Lust, diese Filme zu sehen. Die Quoten waren miserabel, Menschen mit Migrationshintergrund sahen gar kein deutsches Fernsehen, denn sie kamen ohnehin nicht vor.

Underdog

Dass die Realität anders aussah, schien die Sender nicht wirklich zu stören. Ich hatte mich seit Jahren damit abgefunden, den Underdog im deutschen Fernsehen zu geben. Ich hatte bei Bruno Ganz geputzt, bei Wolfgang Stumph und Oliver Pocher. Mir fehlte nur noch der Bundespräsident. Durch die neuen Maßstäbe scheint sich aber wirklich etwas zu verändern: Ich habe an Wert gewonnen, ich bin sogar ein Sechser im Lotto: Ich bin eine ältere Frau (Außenseiter) mit Migrationshintergrund (Problemfall), Jüdin (Minderheit), und wenn man meine Größe bedenkt (1,56 Meter), kann ich mit etwas Wohlwollen noch als behindert eingestuft werden. Ich habe so viel zu drehen wie seit Jahren nicht mehr. Ich spiele eine Richterin, eine Ministerin, eine Galeristin mit zwei Liebhabern (in meinem Alter, im deutschen TV, Wahnsinn!), eine Vampirin. Ich bin in der deutschen Gesellschaft angekommen! Trotzdem war meine Lieblingsrolle im vergangenen Jahr die 82-jährige Nazi-Oma. Ein Schmuckstück an Rolle! Der israelische Regisseur Oren Schmuckler hatte mich besetzt; meinen Gegenspieler, den Juden, mit einem Schauspieler, der sonst nur Nazis spielen darf. Es ging auf.

Rolle

Warum? Weil wir Schauspieler sind. Aussehen, Herkunft, sexuelle Ausrichtung sind eines, Talent, Handwerk und Ausbildung das andere. In vier Jahren Schauspielschule und 40 Berufsjahren habe ich meinen Beruf geübt. Der geht nämlich so, dass man in eine Rolle schlüpft oder sie sich aneignet oder sie, ganz nach Bertolt Brecht, mit einem Verfremdungseffekt darstellt oder sich selbst spielt. Und nun hat sich in die Cancel-Culture-Debatte die Schauspielerin Maureen Lipman eingemischt. Sie findet, Golda Meir müsse von einer Jüdin gespielt werden anstatt von Helen Mirren. Warum sie und nicht eine von uns? Vielleicht hätte man in Israel oder in der jüdischen Gemeinde Bonn eine Golda gefunden? Es gibt Erfahrungen, die Helen Mirren sicherlich fehlen, z. B., wie es ist, in einem Wüstenstaat Millionen Meschuggene zu regieren. Mir wäre sie auch nicht auf den ersten Blick als Golda eingefallen, zu britisch, hätte ich gedacht. Zu britisch? Auch ein Vorurteil. Denn neben dem Faktor, dass Frau Mirren ein Weltstar ist und sich mit ihr jeder Film finanzieren lässt, ist sie eine wunderbare Schauspielerin. Ich bin gespannt, wie sie die durchaus widersprüchliche Figur der Golda Meir verkörpern wird.

Man muss kein Kaufmann sein, um den »Kaufmann von Venedig« zu spielen. Ich habe bei KDD –Kriminaldauerdienst, ausgestrahlt bei Arte, eine türkisch-lesbische Köchin gespielt. Ich bin nichts von alldem. Ich muss meine Kinder nicht am Wochenende verspeisen, um am Montag auf der Probe oder beim Dreh Medea verkörpern zu können.

»Blackfacing«

Und dass »Blackfacing« seit Langem out ist, hat sich zum Glück an jedem Theater der Republik herumgesprochen. Es gibt schwarze Kollegen, die Othello spielen, aber auch andere Möglichkeiten, ihn darzustellen, denn es geht nicht nur um seine Hautfarbe, sondern um einen Mann, den seine Eifersucht Desdemona töten lässt. Die Rollenbilder im Film sind dabei, sich zu verändern. Dank der Diskussion, die stattfindet. Wenn wieder alle beleidigt sind, weil sie diese oder jene Rolle für sich beanspruchen, wird es wieder eng. Sehr eng. In unseren Köpfen und auf der Leinwand.

Ich plädiere dafür, dass eine Traviata schwarz sein kann, eine Mary Poppins jüdisch, der Staatsanwalt, Nachrichtensprecher schwul. Oder auch nicht. Dass man über alles nachdenken muss, aber am Ende sollten Begabung, künstlerische Freiheit und Vielseitigkeit siegen. Auf der Bühne, im Film und im Leben.

Dieser Artikel ist zuerst in der Jüdischen Allgemeinen erschienen.