Was in Büchern passiert, steht nicht bloß auf dem Papier. Was wir lesen, erzeugt ein »Kino im Kopf«, es prägt unseren Blick auf die Realität – selbst wenn wir ganz genau wissen, dass es bei belletristischen Werken um fiktionale Darstellungen geht. Da hat sich jemand etwas ausgedacht, die Schilderungen sind der Fantasie der Autorin oder des Autors entsprungen. Ganz so simpel ist es allerdings bei genauerem Hinsehen nicht: Erzählte Geschichten müssen auch in Buchform glaubwürdige Anleihen an der Realität nehmen, sonst wird ein Werk nicht viele Lesende finden.

In der Vergangenheit wurden wissenschaftlich vor allem Bücher analysiert, in denen journalistisch Tätige eine Hauptrolle spielen oder die von Medienschaffenden geschrieben wurden. Ein empirischer Blick auf die zeitgenössische Bestseller-Belletristik bildet den literarischen Diskurshaushalt jedoch treffender ab. Viele kennen journalistisch Tätige nicht persönlich. Was sie über den Beruf wissen, haben sie eben zu einem großen Teil fiktionalen Erzählungen entnommen. In der Kriminalistik ist das als »CSI-Effekt« bekannt: In den USA haben Wissenschaftler nachgewiesen, dass die Vorstellungen der Bevölkerung über Gerichte und polizeiliche Arbeit vor allem von der Fernsehserie »CSI« geprägt werden.

Da liegt es nahe, einen solchen Effekt – zumindest teilweise – auch auf den Bereich des Journalismus anzunehmen. Das Bild, das von Medien und sowie ihren redaktionellen Macherinnen und Machern in den erstplatzierten Romanen der Spiegel-Bestsellerliste von 2019 bis 2021 gezeichnet wird, ist in der Summe zuweilen wenig schmeichelhaft. Insgesamt finden sich im Untersuchungsmaterial 51 Bücher mit 1.700 Stellen, die Journalismus thematisieren.

Die Autorinnen und Autoren bedienen prinzipiell häufig negative Klischees, wenn es um ihre Roman-Journalisten geht. Diese folgen überwiegend nicht dem Ideal des Aufklärers, sondern des »Verkäufers«. Damit spiegelt sich eine Entwicklung der realen Welt in der Literatur wider, denn die Finanzierbarkeit professioneller journalistischer Medien ist dort genauso unter Druck wie es die Gehälter der Festangestellten und vor allem die Honorare der freiberuflich Tätigen sind. Dass das zulasten der Qualität geht, bringt die
Autorinnen und Autoren der Bestseller-Belletristik zuweilen auf krude Gedanken, die sie ihren fiktiven Figuren in den Mund legen. Bei Jussi Adler-Olsen reflektiert ein freier Journalist beispielsweise darüber, dass er »das Blaue vom Himmel« lügen und »sein Märchen ein bisschen mit Folklore« aufpeppen wolle, um als freier Journalist Geld zu verdienen.

In der Bestseller-Belletristik der vergangenen drei Jahre treten Journalisten oft im Rudel auf. Sie »belagern« die Polizei bei ihren Ermittlungen, was bei den Beamten nicht gut ankommt. Gerade Roman-Polizisten nutzen deshalb häufig Schimpfwörter, wenn es um Medienschaffende geht. »Wilder Haufen«, »Journaille« oder »Pressefritzen« sind da noch die harmlosen Varianten.

In den Romanen lässt sich aber auch feststellen, dass Journalismus für die Wahrnehmung der Realität durch fiktive Figuren nach wie vor eine große Bedeutung hat. So werden ständig ausgedachte Zitate bekannter Medien verwendet, um Entwicklungen einer Geschichte voranzutreiben. Von der New York Times über Spiegel Online bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung reichen die real existierenden Quellen, die mit erdachten Berichten in den Büchern auftauchen. Zudem prägt die etablierte Presse in den Büchern Begriffe, die komplexe Zusammenhänge einprägsam zuspitzen, beispielsweise wenn von »Dokusoap-Morden« oder dem »Kalender-Killer« die Rede ist.

Wenn in den Situationsbeschreibungen der aktuellen Romane journalistische Produkte genutzt werden, sind es vor allem Tageszeitungen. Das ist überraschend, weil Erhebungen zufolge in der realen Welt eher Fernsehen und Radio dominieren. Auch sonst spielen viele Entwicklungen der jüngeren Zeit noch keine Rolle in den zeitgenössischen Romanen: Alltägliche Übergriffe auf journalistisch Tätige finden sich in den Büchern – im Gegensatz zu dramaturgisch inszenierten Morden – kaum, die zunehmende Technisierung des Berufes wird selten bis gar nicht thematisiert. Immerhin hat sich gegenüber früheren Untersuchungen gezeigt, dass Journalisten in der Belletristik nicht immer männlich sind: Inzwischen halten sie sich mit Frauen die Waage, Figuren mit diversem Hintergrund gibt es dagegen nicht.

An manchen Stellen wird die Faszination des Journalistenberufs in den Romanen deutlich. »Mit seinem Presseausweis und seiner schicken Kamera macht er alle Mädchen im Tal heiß«, lässt etwa Martin Walker über einen Medienschaffenden in »Menu Surprise« sagen. Autor Sebastian Fitzek – der selbst früher Journalist war – lässt die Rolle eines Investigativ-Journalisten an einer Stelle sogar als »sexy« bezeichnen.

Journalismus wird im Roman als wichtig charakterisiert, er ist und bleibt die glaubwürdige Quelle, mit deren Hilfe die Menschen auch in der fiktiven Welt Informationen bekommen. Die in diesem Beruf Tätigen fallen allerdings – wohl auch aus dramaturgischen Gründen – oft dem Klischee zum Opfer, unaufrichtige Zeitgenossen zu sein.

Sich über den öffentlichen Diskurs über Journalismus Gedanken zu machen, ist nicht nur im Hinblick auf die Literatur hochaktuell. Nachdem sich die Regierungskoalition im Deutschen Bundestag laut Vertrag dazu verpflichtet hat, »die Rolle des Journalismus für unsere demokratische Gesellschaft« medienpolitisch in den Mittelpunkt zu stellen, sollte es auch darum gehen, in der Öffentlichkeit ein realistisches Bild dieses Berufes zu zeichnen. Autoren fiktiver Literatur dürfen das durchaus als Einladung verstehen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2022.